Zwischen Systemrelevanz und Innovation „Abseits der gesättigten Märkte steckt noch Leben im Technologiesektor“

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Zwischen Systemrelevanz und Innovation
„Abseits der gesättigten Märkte steckt noch Leben im Technologiesektor“
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Lei Qiu, Portfoliomanagerin von Alliance Bernstein

Lei Qiu, Portfoliomanagerin von Alliance Bernstein: „In vielen Bereichen des Marktes werden die Marktführer erst noch bestimmt. Hier wird von Marktsättigung noch lange keine Rede sein.“ Foto: Alliance Bernstein

Investoren von Technologiewerten hatten es schwer in diesem Jahr. Während der MSCI World Index Technology bis Ende September um fast 33 Prozent eingebrochen ist, erlitten unprofitable Technologiewerte sogar noch stärkere Verluste. Nach mehreren Jahren stetiger Zuwächse stehen Technologie-Investoren nun vor einer Zäsur. Werden die Aktienbewertungen lediglich an die tatsächlichen Gewinne der Unternehmen angepasst? Oder spiegeln die Kurseinbrüche einen Sektor wider, der nach dem intensiven Nutzen durch die Verbraucher während der Covid-19-Pandemie schließlich ausgereizt ist?

Fragen wie diese sind unvermeidlich, gehen aber am Thema vorbei. Tatsächlich verändert sich der Markt für Technologie. Innovationen werden breiter und neue Marktführer entstehen. Auf der Suche nach Wachstum können Investoren bei genauerem Hinsehen neue Chancen entdecken.

Der Markt ist gesättigt

In den letzten zwei Jahrzehnten wurden Innovationen durch den Fortschritt im Bereich Breitband und Mobilität vorangetrieben. Seit der Markteinführung des iPhones im Jahr 2007 haben Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt die neuen Funktionen ihrer mobilen Geräte zum Surfen, Einkaufen und Spielen genutzt. Dadurch sind solche Unternehmen, die das mobile Ökosystem betreiben – wie Netzbetreiber, Chip- und Telefonhersteller – massiv gewachsen.

Ebenso haben Mediengiganten wie Facebook, Apple, Amazon, Netflix und Google stark zugelegt. Sie wurden als FAANGs bekannt – eine Gruppe hochprofitabler Mega-Cap-Aktien, die bis vor Kurzem unaufhaltsam zu sein schienen.

Inzwischen sind jedoch einige dieser Märkte gesättigt. Beispielsweise hat die weltweite Anzahl von Smartphones die 100 Prozent-Marke erreicht, womit der Bedarf an Smartphones vollständig gedeckt und das Marktvolumen ausgeschöpft ist. Infolge der gesunkenen Nachfrage gehen die Absatzzahlen zurück: Eine aktuelle Untersuchung des Analysehauses Canalys zeigt, dass die schwache Nachfrage im dritten Quartal 2022 zu einem Rückgang der weltweiten Smartphone-Auslieferungen um neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr geführt hat.

 

 

 

Ein ähnliches Szenario erlebt auch der Markt für soziale Medien. Während 2018 weltweit noch rund 3,2 Milliarden Menschen soziale Netzwerke nutzten, sind es im Jahr 2022 bereits mehr als 4,6 Milliarden Menschen – und das schnelle Wachstum könnte seinen Höhepunkt bald erreicht haben.

Nichtsdestotrotz werden die Unternehmen, die im letzten digitalen Jahrzehnt im Mittelpunkt standen, sicherlich auch weiterhin Wachstum erzielen. Sie sind aber zu Versorgungsunternehmen geworden, die systemrelevante Dienstleistungen erbringen. Damit haben sie möglicherweise den Höhepunkt ihrer Profitabilität erreicht.

Innovationen treiben den Wandel voran

Abseits der gesättigten Märkte steckt aber noch Leben im Technologiesektor. Innovationen treiben den Wandel der technologiegestützten Infrastruktur voran, die aufgrund des veränderten Verbraucherverhaltens zu einer Notwendigkeit geworden ist.

Das liegt daran, dass die Zukunft der Gesellschaft in der digitalen Technologie verwurzelt ist. In der neuen Normalität nach der Covid-19-Pandemie müssen Unternehmen die Flexibilität und Effizienz ihrer Belegschaft sicherstellen. Weil sie dazu die Arbeit in die Cloud verlagern und Geschäftsanwendungen sowie Datenverwaltungstools nutzen müssen, wird der Umsatz solcher Infrastruktur-Anwendungen und -Dienstleistungen in den kommenden Jahren stark wachsen.

Ein weiterer Treiber der Technologieausgaben ist die Inflation: Unternehmen stehen aufgrund von Arbeitskräfte- und Ressourcenknappheit unter Kostendruck. Auf der ganzen Welt überprüfen Firmen die Schwachstellen in ihren Lieferketten. Angesichts der verschiedenen globalen Krisen der letzten Jahre wollen sie wieder mehr Tätigkeiten internalisieren. Zudem versuchen sie, inmitten der sich verändernden geopolitischen Landschaft energieunabhängig zu werden.

Große Chancen in neuen Bereichen

Verschiedene Unternehmensarten werden unterschiedliche technologische Lösungen benötigen. Einige Trends sind jedoch bereits erkennbar. Beispielsweise ist die Robotik auf dem Vormarsch. Sie hat eine schnellere und leistungsfähigere Rechenleistung als jemals zuvor und kann dank künstlicher Intelligenz Entscheidungen treffen, die denen des Menschen ähneln. Damit ist sie nicht länger nur für Branchen wie die Automobil- und Elektronikindustrie interessant. Auch in der Gesundheitsversorgung, der Landwirtschaft sowie im Einzelhandel und der Logistik entdecken immer mehr Unternehmen, dass die Robotik Effizienzen steigern und Kosten einsparen kann. Hier sind die Auslieferungszahlen in vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen.

 

Ein weiterer Trend ist das Internet der Dinge (IdD), über das immer mehr Menschen und Maschinen kommunizieren. Laut einer Prognose von Statista sollen im Jahr 2025 weltweit rund 19 Milliarden Geräte über das Internet der Dinge verbunden sein. Wichtige Treiber werden dabei sogenannte Smart Cities sein; also Städte, die durch den Einsatz moderner Technologie effizienter, sicherer und lebenswerter werden sollen. Aber auch das Gesundheitswesen spielt hier eine große Rolle. Neben dem Trend zur Telemedizin und Fernversorgung helfen auch vernetzte medizinische Geräte dabei, kontaktlos Daten über den Zustand von Patienten zu sammeln.

 

Darüber hinaus sind innovative Technologien auch für die weltweiten Bemühungen um Energieunabhängigkeit unerlässlich. Sie werden Solar- und Windenergie sowie Elektrofahrzeuge wirtschaftlicher machen. Doch nicht nur Energieerzeugung und -speicherung benötigen technologische Lösungen, sondern auch das Energiemanagement hängt von Technologien ab.

Die Zeit ist reif für die nächste Generation

Was haben diese Themen nun gemeinsam? Zum einen wird die neue Innovationswelle lange anhalten, da sie sich mit wachsenden und andauernden Bedürfnissen befasst. Zum anderen sind die Unternehmen, die technologische Innovationen ermöglichen, noch in der Reifephase. In vielen Bereichen des Marktes werden die Marktführer erst noch bestimmt. Hier wird von Marktsättigung noch lange keine Rede sein.

 

 

 

Das Legenden und Marktführer über die Jahre hinweg ständig abgelöst werden, ist nicht neu, sondern ein normaler Prozess – insbesondere im Technologiesektor. Das fing bereits in den 1970-er Jahren mit den sogenannten Nifty Fifties – den damalig beliebtesten Blue Chip-Aktien – an, ging in den 1990er-Jahren zu den „Four Horsemen“, den vier Reitern der Apokalypse, wie die Unternehmen Microsoft, Dell, Cisco und Intel genannt wurden, über und endete zuletzt bei den FAANG (Facebook, Amazon, Apple, Netflix und Google).

Aktienanleger sollten sich also nicht von den diesjährigen Kurseinbrüchen im Technologiesektor abschrecken lassen. Die Zeit ist reif für die nächste Generation innovativer Technologieführer. Sie werden die Industrienationen der Welt umgestalten und dabei ein Ertragspotenzial für Aktien erschließen.

Über die Autorin: Lei Qiu ist seit 2012 Portfoliomanagerin bei Alliance Bernstein. Vor dieser Zeit war sie unter anderem Gründungspartnerin von Phidias Capital Management und als Analystin bei Goldman Sachs tätig.

 

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