Investitionszeitpunkte, Nutzungsarten und Standorte Unterbewertete Objekte: Wo am Immobilienmarkt jetzt Chancen bestehen

Britta Roden und Matthias Weber von KGAL

Britta Roden und Matthias Weber von KGAL analysieren die Situation am Immobilienmarkt. Foto: KGAL

Liest man die immer schrilleren Beiträge über den deutschen Immobilienmarkt in den allgemeinen Medien, kann man den Eindruck bekommen, die Branche erlebe eine Kernschmelze. Zwar ist die Lage für einige Unternehmen schwierig, dennoch muss man den inflationär verwendeten Begriff „Krise“ relativieren. Die letzten Jahre waren ein beispielloser und ungewöhnlich langanhaltender Boom, genährt von historisch niedrigen Zinsen. Damit ist es nun vorbei – und mit einer Normalisierung der Zinsen normalisieren sich auch die Bewertungen.

Benchmark-Transaktionen im zweiten Halbjahr erwartet

Die Folge: Auch die Erwartungen müssen sich anpassen. Das aber dauert eine Weile und geht mit Verwerfungen einher. Diejenigen, die nur den Boom kennen, mögen das als Weltuntergang empfinden. Für erfahrenere Marktteilnehmer ist es eine längst überfällige Korrektur.

Obwohl risikoärmere Anleihen wieder Erträge liefern, ist das Interesse an Immobilien weiterhin rege – auch dank ihrer stabilisierenden Eigenschaften in Inflationszeiten. Das geopolitische Umfeld drückt die Stimmung weit weniger als viele zu Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine erwartet hatten. Und neben neuen Belastungsfaktoren gibt es auch neue Chancen für Investments in Immobilien.

Die spannende Frage ist, wann das Repricing abgeschlossen ist. Nach Preisabschlägen von 20 bis 30 Prozent über alle Nutzungsarten hinweg warten viele institutionelle Investoren, die ihr Pulver trocken gehalten haben, auf sogenannte Benchmark-Transaktionen, die als Startsignal dienen können, liquide Mittel wieder verstärkt in Immobilien zu investieren. Wir erwarten, dass das im Lauf des zweiten Halbjahrs passieren wird.

Büroflächen weiter gefragt, aber andere

Einige offene Immobilienfonds haben bereits begonnen, selektiv Objekte anzukaufen, die deutlich günstiger zu haben sind als noch vor einigen Monaten. Besonders im Fokus steht das Bürosegment. Obwohl sich das Homeoffice infolge der Pandemie etabliert hat, ist die Nachfrage nach bestimmten Büroflächen weiterhin groß, was teilweise sogar weiter steigende Mieten erlaubt. 

 

Allerdings gibt es Verschiebungen bei den Präferenzen innerhalb des Segments. So haben sich bestimmte B-Städte und deren Umgebung zu Top-Standorten entwickelt, die eine ebenso gute Standortqualität bieten wie A-Städte, bei – bislang noch – spürbar niedrigeren Preisen.

Zudem achten Mieter und Investoren immer stärker auf den Nutzen für die Mitarbeiter, da Büros ihnen zunehmend einen Grund zum Kommen liefern müssen. Das rückt auch die Mikrolage stärker in den Fokus. So werden sogenannte konsolidierte urbane Lagen immer beliebter, die an die Innenstädte gut angebunden sind, aber den Mitarbeitern auch in der Mittagspause oder auf dem Fußweg ins Büro ein angenehmeres Umfeld bieten als sterile Bürostädte oder überfüllte Citys.

Bei den baulichen Qualitäten vom Büroobjekten kommt es neben der Aufenthaltsqualität für die Mitarbeiter zunehmend auch auf ökologische Nachhaltigkeit an. Über die verschärften gesetzlichen Anforderungen zur Energieeffizienz hinaus sind alle ESG-Maßnahmen gefragt, die angesichts hoher Energiepreise die Nebenkosten senken. Außerdem wird ein hoher Nachhaltigkeitsstandard immer mehr zum Prestigefaktor für viele Unternehmen.

 

Einige Fonds akquirieren bewusst Objekte mit Sanierungsstau

Während viele Investoren stark darauf achten, dass Akquisitionsziele unter ESG-Gesichtspunkten zukunftssicher sind und für einen hohen energetischen Standard erhebliche „green Premiums“ zu zahlen bereit sind, kann es sich lohnen, gerade den anderen Weg zu gehen. Einige Fonds akquirieren bewusst Objekte, die einen Sanierungsstau, einen veralteten ökologischen Standard und deswegen Leerstände aufweisen, wenn sie dafür beim Preis einen attraktiven „grey Discount“ erhalten. Mit einem aktiven Asset Management und energetischer Sanierung lässt sich dann unter Umständen die Vermietungsquote steigern, das Mietniveau erhöhen und ein deutlicher Bewertungsgewinn erzielen.

Das erfordert aber eine hohe Kompetenz bei der Objektauswahl und im Asset Management. Angesichts hoher Bau- und Sanierungskosten kann es sonst passieren, dass sich ein Objekt gar nicht mehr mit vertretbarem Aufwand auf einen zeitgemäßen Standard bringen lässt. Es wird dann zum stranded Asset – einem Objekt, das nicht mehr vermietbar oder verkäuflich ist.

Chancen bei Einzelhandelsimmobilien

Chancen für selektive Zukäufe bieten auch Einzelhandelsimmobilien. So weisen Objekte, die Nahversorger wie zum Beispiel Supermärkte als Mieter haben, eine hohe Wertstabilität auf. Das galt während der Corona-Pandemie und das gilt auch im aktuellen Umfeld. Zwar drücken die durch die Inflation sinkenden Realeinkommen und die unsichere ökonomische und politische Lage auf die Konsumlaune der Menschen, doch das betrifft den Absatz von Gütern des täglichen Bedarfs kaum. Discounter erfreuen sich teilweise sogar größeren Konsumenteninteresses als vor einem Jahr noch.

Die gewisse Konsumzurückhaltung, die bei zyklischen Gütern zu beobachten ist, könnte sich bald auflösen und auch die Nachfrage nach Immobilien mit entsprechenden Einzelhändlern als Mietern wieder beflügeln. Zwar haben die Verbraucher real weniger im Portemonnaie, doch für eine tiefe Krisenstimmung gibt die aktuelle wirtschaftliche Lage keinen Anlass. Was sie von klassischen Rezessionsphasen unterscheidet, ist, dass die Beschäftigungsquote weiterhin hoch ist und die Arbeitnehmervertreter höhere Löhne durchsetzen können.

Unter dem Strich bietet der Immobilienmarkt weiterhin gute Opportunitäten – allerdings andere als während der Boomzeiten. Zu beurteilen, wann der richtige Zeitpunkt für Zukäufe ist und welche Objekte aussichtsreich sind, ist anspruchsvoller als das Investieren in Boomzeiten mit auf breiter Front steigenden Bewertungen. Doch Fonds mit der Fähigkeit, die unterbewerteten Perlen zu entdecken, können ihren Investoren gerade im aktuellen Umfeld große Freude machen.


Über die Autoren:

Britta Roden ist seit Anfang 2023 Leiterin Research bei KGAL. Die Volkswirtin verfügt über fast 20 Jahre Berufserfahrung und war zuletzt Leiterin Real Estate Research bei der Münchner Hypothekenbank.

Matthias Weber ist Vertriebsleiter Retail Business bei KGAL. Er verfügt über langjährige Erfahrung im Vertrieb von Fondsprodukten. Vor seinem Start bei KGAL 2018 war er mehr als zehn Jahre für die Commerz Real tätig, zuletzt als Abteilungsleiter Vertrieb.

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