Lupus Alpha Investment Fokus 2023 „Ohne Krisen sind auch Fortschritt und Wohlstand nicht möglich“
Wolfgang Ischinger: „Mangelndes Vertrauen kann nicht der Grund sein, einen Friedensvertrag abzulehnen“
Wolfgang Ischinger, unter anderem Präsident des Stiftungsrates der Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz, war weniger optimistisch als sein Vorredner. „Wir dürfen das Ausmaß des Epochenbruchs nicht unterschätzen. Die Zeitenwende wird nicht mit einem Knopfdruck oder Waffenstillstand zu Ende sein. Wir erleben das Ende einer von uns sicher geglaubten Friedensarchitektur“, warnte Ischinger. „Wir haben uns in Deutschland in den Status Quo verliebt.“ Das sei einer der Gründe dafür, dass Deutschland verhältnismäßig stark getroffen wurde.
Zu diesem Status Quo hätte aber auch eine gewisse Reformunwilligkeit gehört und die Partnerschaft mit Russland. „Wir haben diese Liebesaffäre so weit getrieben, dass wir gar nicht sehen wollten, dass dieser Partner gar nicht mehr Partner sein wollte, sondern eigene Ziele verfolgten“, so Ischinger.
„Zum Thema Ukraine liegt mir eins am Herzen“, kam Ischinger auf den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zu sprechen. „Es ist schlicht und ergreifend dummes Zeug, wen man von der Einkreisung Russlands durch die Nato spricht. Neue Nato-Mitglieder an der Grenze zu Russland sind Folge und nicht Ursache des Krieges.“ Ein zweiter Punkt, den Ischinger betonte, ist, dass der Kreml sehr genau wisse, wie empfindlich Deutschland beim Thema Nuklearwaffen ist. „Russland spielt gern auf dieser Klaviatur.“
Putin wird auf Xi Jinping hören
Aber es gebe Wege, um es für Putin schmerzhafter zu machen, auf Atomwaffen zurückzugreifen. Ein Hebel sei China: „Russland wird abhängig von China sein. Xi Jinping wird Russland wie einen Vasalen behandeln können, das weiß Putin und er wird deshalb bereit sein, auf China zu hören.“ Ein weiterer Weg, das Kriegsende zu beschleunigen sei, die Ukraine so intensiv wie möglich zu unterstützen. Der Kreml komme erst dann an den Verhandlungstisch, wenn seine militärischen Mittel ausgereizt sind. Davon gehe Moskau aber noch lange nicht aus.
Sanktionen sind ein wichtiges Mittel für Friedensverhandlungen
Im Gespräch mit Corinna Wohlfeil führte Ischinger diese Punkte weiter aus. Wohlfeil ließ das Publikum darüber abstimmen, ob Deutschland Waffen liefern sollte. 57 Prozent stimmten für „Ja, auch für die Rückeroberung“, 32 Prozent für „Ja, für die Verteidigung“ und elf Prozent lehnten Waffenlieferungen ab. Ischinger unterstützte die Mehrheitsmeinung. „Wir dürfen unseren Beitrag auch nicht überschätzen, die Ukraine verteidigt sich hauptsächlich mit amerikanischen Waffen“, sagte er schon im Vorfeld der Abstimmung.
Anschließend sprach er über die Sanktionen. „Die Sanktionen, beziehungsweise die Ankündigung, sie schrittweise zu lockern, sind ein wichtiges Mittel für die Friedensverhandlungen. Vorher sollte man überhaupt nicht über ihre Aufhebung nachdenken“, so Ischinger.
„Mangelndes Vertrauen kann nicht der Grund sein, einen Friedensvertrag abzulehnen“
Wohlfeil wandte sich erneut an das Publikum mit der Frage, ob Deutschland möglichst bald wieder Erdgas aus Russland beziehen sollte. Zwei Drittel stimmten dagegen, ein Drittel dafür. Ischinger gab zu bedenken: „Niemand hat die Option, nicht mehr mit Putin zu verhandeln, solange er die russische Föderation leitet.“
Man wisse von Putin, dass er seine Gesprächspartner seit Jahren belügt. Vertrauen aufzubauen, sei daher unmöglich. „Wichtig ist aber nicht das Vertrauen, wichtig ist Verifizierbarkeit. Wir dürfen nur Vereinbarungen akzeptieren, die verifizierbar sind. Mangelndes Vertrauen kann nicht der Grund sein, einen Friedensvertrag abzulehnen“, so Ischinger.