Bei Small und Mid Caps So steht es aus Bewertungssicht um Deutschlands Mittelstand

Nils Gehrmann von Warburg Invest

Nils Gehrmann von Warburg Invest: Der Portfoliomanager sieht in der Bewertung kleinerer und mittlerer Unternehmen eine Chance. Foto: Warburg Invest

Die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft wurde in den vergangenen Wochen eingängig diskutiert. Doch was macht die Börse aus dieser Diskussion? So viel ist klar: Die Bewertungen von großen und kleinen Unternehmen an der Börse stehen derzeit kopf: Die Aktienkurse der großen Unternehmen, also von europäischen Large Caps, haben sich in den letzten zwei Jahren besser entwickelt als jene der kleineren Unternehmen, sogenannter Small und Mid Caps. Dieser Trend verläuft jedoch konträr zur Wertentwicklung der letzten zehn Jahre.

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Möglicher Grund für diese Entwicklung ist die Risikoaversion von Anlegenden in den letzten Quartalen. Und die Auslöser dafür sind vielfältig – nicht nur mangelnde Wettbewerbsfähigkeit in manchen Teilen der Erde: Inflation, schnelle Zinserhöhungen der Notenbanken, Verwerfungen in den Lieferketten, Auswirkungen der Corona-Pandemie und internationale Konflikte. Allerdings hat sich der Großteil der Anlegenden auf diese Situation eingestellt. So notierten viele Large-Cap-Indizes in den Sommermonaten dieses Jahres nahe ihren Höchstständen – im Gegensatz zu den Small- und Mid-Cap-Indizes. Klassischerweise sind letztere nachlaufend und profitieren erst, wenn Marktteilnehmende in der ersten Reihe keine attraktiven Bewertungen mehr finden und sich dann bei den Nebenwerten umsehen. Die aktuelle Marktphase ist demnach für Investoren besonders interessant.

Aufgrund der günstigen Bewertungen von Small und Mid Caps sind diese gerade nicht nur für Aktieninvestoren, sondern auch Private-Equity-Fonds oder andere Firmen, die Übernahmeangebote für die jeweiligen Unternehmen aussprechen, attraktiv. Das zeigt sich auch darin, dass die Anzahl an Übernahmeangeboten für gelistete europäische Unternehmen seit dem Tiefpunkt im vierten Quartal 2022 deutlich angestiegen ist. Und das trotz aller ökonomischen Bedenken.

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Zusammengenommen wird hier einmal mehr deutlich, dass sich aus der historischen Unterbewertung von Small und Mid Caps im Vergleich zu Large Caps Chancen bei Investitionen in diesem Segment ergeben.

Besonderes Augenmerk auf Hidden Champions 

Und dann ist da ja noch der deutsche Mittelstand. Viele Nebenwerte zählen in ihrer Nische bekanntlich zwar zu den Weltmarktführern, sind in der Öffentlichkeit aber kaum bekannt. Diese Unternehmen werden gemeinhin ja gerne als Hidden Champions bezeichnet. Bemerkenswert ist, dass über 1.500 und somit fast die Hälfte der weltweiten Hidden Champions aus Deutschland kommen. Damit ist die Bundesrepublik unangefochtener Spitzenreiter vor den USA (350) und Japan (283). Den Grundstein hierfür legt der deutsche Mittelstand, der zu Recht immer wieder als Rückgrat der Wirtschaft, Innovationstreiber und Jobmotor bezeichnet wird. Und das bleibt auch so.

Beispiele hierfür gibt es viele. So kommt einer der führenden Hersteller von Industrieküchengeräten aus Deutschland. Diese stehen auf der ganzen Welt in Restaurants – auch in jenen mit Sternen, Krankenhäusern, Fußballstadien und sogar im Weißen Haus in Washington. Zwar ist das Zubereiten von Speisen ein analoger Vorgang, die Garprozesse lassen sich jedoch auf Wunsch auch über das Internet steuern.

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Die Ergebnisse eines deutschen Herstellers für Druckmaschinen hat in der Regel jede Europäerin beziehungsweise jeder Europäer der Währungsunion im Portemonnaie. Jede Eurobanknote wird mit den Notenpressen dieses Unternehmens gedruckt. Doch damit nicht genug, denn auch jeder US-Dollar und insgesamt vier Fünftel aller Währungen der Welt stammen aus Maschinen „Made in Germany“.

 

Essenziell für die Energiewende sind auch die Anlagen eines weiteren Hidden Champions zur Bearbeitung von Leistungshalbleitermaterialien. Die Maschinen des deutschen Unternehmens dampfen in einem komplexen Prozess bestimmte Chemikalien auf Wafer auf, die dann in späteren Schritten zu Chips weiterverarbeitet werden. Im Endergebnis wird so die Reichweite von Elektroautos verlängert oder die Stromausbeute pro Stunde eines Solarparks erhöht.

Free Cashflow schützt die Gewinnmarge

Dank ihrer Innovationskraft in den jeweiligen Nischen verfügen diese Unternehmen weiter über eine hohe Wettbewerbsqualität und strukturelles Wachstum, da sie häufig Produkte herstellen, die für ihre Kunden unverzichtbar sind. So lassen sich auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten gestiegene Rohstoffkosten weiterreichen und Preise erhöhen. Das schützt die Gewinnmarge und damit die Free-Cashflow-Generierung, was letztlich zu einer hohen Bilanzqualität führt. Nicht selten sind diese Unternehmen noch zu einem wesentlichen Teil in Familienbesitz und damit langfristig orientiert. So verbleibt das verdiente Geld im Unternehmen und wird direkt in die führenden Produkte von morgen investiert. Über den Aktienmarkt lässt sich an diesem operativen Erfolg partizipieren – nämlich über Anlagen in die besagten Hidden Champions, die börsennotiert sind.

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Grundsätzlich sind Small und Mid Caps deshalb im Portfoliomanagement nach wie vor ein ideales Terrain für aktives Stock-Picking. Außerdem können durch die gezielte Einzeltitelauswahl mit einem Investment in Nebenwerte Trends in den jeweiligen Branchen direkter umgesetzt werden. So kann anstatt der Aktie eines großen Industriekonzerns die eines Mittelständlers gekauft werden, der zum Beispiel einen wesentlichen Umsatzanteil mit Teilen für Schnellladesäulen generiert. Bei Direktinvestments ergibt sich allerdings auch ein Risiko auf Unternehmensebene im Vergleich zu breit aufgestellten Large Caps. Daher ist bei Anlagen in Nebenwerte eine Fondslösung zu empfehlen.

Es lässt sich zusammenfassen, dass wir uns aktuell in einer spannenden Marktphase für Nebenwerte befinden. Die derzeitige Risikoaversion vieler Anlegenden hat dazu geführt, dass der Bewertungsabschlag von Small Caps gegenüber Large Caps historisch hoch ist. Ein Zustand, der in der Vergangenheit auch nicht ewig angehalten hat und einen potenziell attraktiven Einstiegszeitpunkt markierte. Entscheiden Anlegende sich für einen entsprechenden Aktienfonds, werden zusammen mit der Gruppe der Nebenwerte auch die Hidden Champions, also gerade jene Unternehmen, die besonders robust und aussichtsreich aufgestellt sind, abgebildet. Nicht zuletzt befindet sich fast die Hälfte aller weltweiten Hidden Champions und damit die Champions League der Nebenwerte vor der eigenen Haustür in Deutschland. So ergibt sich gerade hierzulande ein weiterhin attraktives Investmentumfeld.


Über den Autor:

Nils Gehrmann ist Senior-Portfoliomanager für Aktien mit dem Schwerpunkt deutsche Small und Mid Caps. Er arbeitet seit Juli 2017 für die Warburg Invest KAG und war zuvor über fünf Jahre als Sell-Side Analyst bei Hauck & Aufhäuser tätig.

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