Fortune-500-Manager „Bescheidenheit und Bodenhaftung sind wichtig“

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Wo hat Deutschland Handlungsbedarf im Hinblick auf seine internationale Positionierung?

Mit Blick auf Russland haben wir Deutschen massiven Handlungsbedarf. Da müssen wir über unseren Schatten springen, um Feindbilder zu überwinden und die Gespräche mit Russland zu intensivieren. Verhandeln und Einbinden ist hier die Devise. Gleichzeitig sehen die Amerikaner unsere Beziehungen zu Russland kritisch. Die Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 wird auch in Zukunft ein Thema sein. Unter Biden werden die Verhandlungen sicherlich sachlicher erfolgen, aber die kritische Haltung wird bleiben. Ohne Zweifel wird das Thema Russland zu einem Spagat für Deutschland.

Wie sieht es mit Deutschland und China aus?

Gegenüber China sind die Deutschen im Vergleich zu anderen Nationen, sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft, viel nachgiebiger. China ist weiterhin eine Diktatur, das Thema Menschenrechte ist problematisch. Das wird von den Deutschen aber gern übersehen. Ich bin für gute Handelsbeziehungen mit China. Doch dürfen wir dabei nicht unsere ethischen Werte verraten und genau das machen wir bei China gern schon einmal.

Wie beurteilen Sie Deutschlands militärische Präsenz?

Auch Biden wird Deutschlands Nato-Beitrag einfordern. Da kann ich die deutsche Politik nicht wirklich verstehen. Deutschland drückt sich um sein Engagement. Die Bundeswehr ist in einem desolaten Zustand. Die Amerikaner wollen nicht mehr die Rolle der Weltpolizei spielen. Wir Deutschen sind als militärische Verbündete gefordert. Ich sehe das als Chance. Für Deutschland heißt das, dass wir uns nicht nur auf Ausrüstung, Ausbildung und Sanitätsleistungen stürzen, sondern uns auch im Falle von militärischen Auseinandersetzungen an Kampfeinsätzen beteiligen.

Die Ära Merkel geht 2021 nach 16 Jahren zu Ende. Welche Nachfolge, personell und parteipolitisch, würden Sie Deutschland wünschen?

Bei der SPD sehe ich keinen Kanzlerkandidaten. Denkbar ist, dass die Grünen an die Regierung kommen. Diese Partei hat gute, bewährte und auch junge Politiker. Was die CDU angeht, so muss sich nun der Parteivorsitzende Armin Laschet als Kanzlerkandidat beweisen.

AGCO richtet regelmäßig eine Afrika-Konferenz aus, um Investments auf diesem Kontinent zu fördern. In Sambia betreibt der Konzern seit vielen Jahren „a Future Farm“ für die Ausbildung lokaler Bauern. Was passiert da genau?

Für AGCO stand und steht bei der „Future Farm“ immer das Prinzip von Hilfe zur Selbsthilfe im Vordergrund: Kleine, nachhaltig wirtschaftende Bauern sollten nicht mehr nur für ihren Eigenbedarf ihre Felder bestellen, sondern ihre Produktion ausbauen, um Gewinne und damit Kapital für weitere Investitionen zu erzielen. Also verkaufen wir nicht nur Landmaschinen, sondern vermitteln auch das entsprechende Know-how, wie man moderne, mechanische Landwirtschaft betreibt. Jährlich durchlaufen etwa 10.000 Afrikaner diesen Ausbildungsprozess. Wir sind dabei, die Ausbildung zu digitalisieren, um mit unserem Angebot auch ganz entlegene Ecken Afrikas zu erreichen. Außerdem wurde ein Studiengang zum Diplom-Agraringenieur mit betriebswirtschaftlicher Ausrichtung geschaffen, für den AGCO Stipendien vergibt.


Sie haben drei Kinder. War es Ihnen und Ihrer Frau dabei wichtig, Ihren Kindern auch typisch deutsche Werte mitzugeben? Und wenn ja, welche waren das?

Meine Kinder waren bis zu ihrem Abitur in Deutschland, leben und arbeiten jetzt aber in Amerika. Bei ihrer Erziehung haben wir natürlich auch deutsche Werte vermittelt wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Fleiß und – das ist eine besondere Macke von mir – Ordnung.

Sie waren in Ihrem Leben nicht nur sehr erfolgreich, sondern haben sich auf vielen Bühnen, darunter auch der des Pferdesports, engagiert. Verraten Sie uns, was Sie privat und beruflich noch reizen könnte?

Ich habe einen Traum: Ich würde gern ein Dressurpferd züchten und ausbilden, das so gut ist, dass es an der Olympiade teilnimmt.


Dieses Interview wurde uns freundlicherweise von Lupus alpha zur Verfügung gestellt und stammt aus dem aktuellen Leitwolf-Magazin. Link zum Magazin
(https://leitwolf-magazin.de). Dort finden Sie auch weitere Fragen und Antworten von Martin Richenhagen.

Zu dem Interviewten: Wenn Martin Richenhagen das Wort ergreift, wird dem Zuhörer schnell klar, dass er sagt, was er denkt. Bestimmt, aber unaufgeregt. Das hat er als CEO von AGCO ebenso getan wie als Präsident der Deutsch-Amerikanischen Handelskammer oder als Mitglied des President’s Advisory Council on Doing Business in Africa. Er bezeichnet es als besondere Auszeichnung, dass das renommierte Business Council, das Netzwerk führender CEOs in den USA, ihn eingeladen hat, auch als Nicht-mehr-CEO dabeizubleiben.

Weiterhin innehaben wird Richenhagen zudem den Vorsitz des American Institute for Contemporary German Studies (AICGS) an der Johns-Hopkins-Universität in Washington, das sich unter anderem für die Verbesserung des amerikanischen Images in Deutschland einsetzt. Zudem sitzt er im Aufsichtsrat von Daimler Trucks und im Beirat von Stihl. Im April 2021 ist seine Biografie «Der Amerika-Flüsterer» bei Edel Books erschienen, die zugleich ein Plädoyer für mehr kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Austausch zwischen Deutschland und den USA ist.

Martin Richenhagens Leidenschaft für Pferde wird zum Beschleuniger für seine Managerkarriere. Weil ihn seine Tätigkeit als junger Gymnasiallehrer für Religion, Französisch und Philosophie nicht ausfüllt, leitet der passionierte Dressurreiter und spätere Züchter nebenher einen Reitstall – und begegnet so dem Stahlunternehmer Jürgen Thumann, der seinen Reitstall sponsert.

Ein Job in Thumanns Unternehmen und ein BWL-Studium folgen. Nach Karrierestationen in der Schweiz, Frankreich und den Niederlanden zieht Richenhagen 2004 mit seiner Frau Brigitte und seinen drei Kindern in die USA nach Atlanta, um dort als CEO den Landmaschinenhersteller AGCO zu leiten. 2017 wird dem 1952 in Köln geborenen Manager das Bundesverdienstkreuz erster Klasse verliehen – für sein Engagement als Transatlantiker und Afrika-Förderer. Ende 2020 zieht sich der 68-Jährige nach 16 Jahren an der Spitze von AGCO in den Ruhestand zurück.

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