Wegzugsbesteuerung, Teil 1 Das müssen Unternehmerfamilien zur aktuellen Rechtslage wissen

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Folgen: Besteuerung der stillen Reserven in den Anteilen

Kommt die Wegzugsbesteuerung zur Anwendung, so fingieren die Regelungen im Zeitpunkt des Wegzugs eine Veräußerung der Kapitalgesellschaftsbeteiligung. Hierbei werden die in der Beteiligung enthaltenen offenen und stillen Reserven realisiert und der „fiktive Veräußerungsgewinn“ besteuert. Dieser berechnet sich aus dem gemeinen Wert der Kapitalgesellschaftsbeteiligung, welcher dem Verkehrswert im Wesentlichen entspricht, abzüglich der steuerlichen Anschaffungskosten.

Die Ermittlung des gemeinen Wertes der Beteiligung muss dabei nach einem anerkannten Bewertungsverfahren erfolgen. Hier können sich interessante Gestaltungsspielräume ergeben. Nichtsdestotrotz liegen gerade bei Beteiligungen an Familienunternehmen oder Start-ups die Anschaffungskosten niedrig, was zu hohen stillen Reserven führt. In solchen Fällen kann die Wegzugsbesteuerung oftmals existenzbedrohende Wirkung für die Betroffenen entfalten. Die gute Nachricht ist, dass der Gesetzgeber Möglichkeiten vorgesehen hat, diese gravierenden steuerlichen Folgen in bestimmten Fällen abzumildern.

Stundungsmöglichkeit bei Wegzug innerhalb EU/Europäischer Wirtschaftsraum (EWR)

Die größte praktische Bedeutung kommt hierbei der Stundungsmöglichkeit bei einem Wegzug innerhalb der EU/EWR zu. Dabei wird die festgesetzte Steuer von Amts wegen gestundet. Diese Stundung erfolgt zinslos und ohne Sicherheitsleistung. Sie gilt dabei grundsätzlich für unbestimmte Dauer, sodass es zunächst nicht zu einem Liquiditätsabfluss kommt. Voraussetzung ist lediglich, dass die wegziehende, erbende oder beschenkte Person in dem EU-/EWR-Staat einer mit der deutschen Einkommensteuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht unterliegt und dass gegenseitige Amtshilfe und Unterstützung bei der Beitreibung zwischen den betroffenen Mitgliedstaaten gewährleistet ist.

Diese Voraussetzungen sind derzeit in allen EU-/EWR-Staaten zumindest erfüllbar. Erst wenn die steuerpflichtige Person die Kapitalgesellschaftsanteile dann tatsächlich veräußert oder gänzlich aus der EU/EWR wegzieht, wird die gestundete Steuer fällig. Wie jüngst vom Europäischen Gerichtshof entschieden, gilt diese Stundungsregelung wohl auch im Verhältnis zur Schweiz. Dies folgt aus dem zwischen Deutschland und der Schweiz bestehenden Freizügigkeitsabkommen.

Zieht die steuerpflichtige Person hingegen in einen Drittstaat, zum Beispiel UK oder USA, sieht die gesetzliche Regelung nur eine verzinsliche Stundungsmöglichkeit mit regelmäßigen Teilbeträgen für einen Zeitraum von fünf Jahren vor. Dies gilt jedoch auch nur dann, wenn der steuerpflichtigen Person durch die sofortige Steuerzahlung erhebliche Härten drohen. Von einer Sicherheitsleistung darf ausschließlich dann abgesehen werden, wenn der Steueranspruch nicht gefährdet erscheint.

Erlöschen der Steuer bei Rückkehrabsicht

Plant die steuerpflichtige Person lediglich eine vorübergehende Abwesenheit aus Deutschland und ist die Rückkehrabsicht schon im Zeitpunkt des Wegzugs nachweisbar, entfällt die Wegzugsbesteuerung rückwirkend, sobald der Anteilsinhaber nach Deutschland zurückkehrt. In EU-/EWR-Konstellationen gilt dies ohne zeitliche Einschränkung.

Im Verhältnis zu Drittstaaten muss die Rückkehr innerhalb der nächsten fünf Jahre erfolgen. Eine Verlängerung dieses Zeitraumes ist nur bei Vorliegen beruflicher Gründe möglich. In der Praxis bedeutet dies jedoch, dass zunächst Liquidität abfließt und es darüber hinaus über die Glaubhaftmachung der Rückkehrabsicht und der „beruflichen Gründe“ zu Diskussionen mit der Finanzverwaltung kommen kann.

Fazit und Ausblick

Schon die derzeitigen Regelungen zur Wegzugsbesteuerung stellen eine erhebliche Belastung dar, gerade für den deutschen Mittelstand. In den oftmals familiengeführten Unternehmen sind die niedrigen Beteiligungsquoten von 1 Prozent auch in der nächsten Generation schnell erreicht. Gleichzeitig sind auch erfolgreiche Start-up-Unternehmer betroffen, für die ihre internationale Mobilität ein unverzichtbares Asset ist.

Umso weniger verständlich erscheint es, dass der deutsche Gesetzgeber diese Regelungen mit Wirkung zum 1. Januar 2022 im Rahmen des sogenannten ATAD-Umsetzungsgesetzes auch noch verschärfen will. Vor diesem Hintergrund bleibt noch bis zum Ende des Jahres 2021 Handlungsspielraum, die „günstigeren“ aktuellen Regelungen für einen Wegzug oder eine Schenkung ins Ausland zu nutzen.

 


Über die Autoren:

Sven Oberle leitet die Steuer-Praxisgruppe Private Client Services der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY. Sein Team berät Familienunternehmen, vermögende Privatpersonen und Family Offices in Steuerangelegenheiten.

Sven Wanka ist Rechtsanwalt und Steuerberater im Bereich Private Client Services bei EY. Er berät Familienunternehmen, vermögende Privatpersonen und Family Offices in deutschen und internationalen Angelegenheiten. Vor seinem Wechsel zu EY war er 4 Jahre bei Flick Gocke Schaumburg in Frankfurt tätig.

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