Wegzugsbesteuerung, Teil 1 Das müssen Unternehmerfamilien zur aktuellen Rechtslage wissen

Sven Oberle (l.) und Sven Wanka von EY

Sven Oberle (l.) und Sven Wanka von EY: Die beiden Steuerexperten beleuchten in drei Teilen die geplante Verschärfung der Wegzugsbesteuerung. Foto: EY

Zweifelsohne ist Deutschland ein schönes und lebenswertes Land. Dennoch gibt es berufliche, familiäre oder andere persönliche Gründe, Deutschland für einen längeren Zeitraum oder für immer den Rücken zu kehren und sein Glück im Ausland zu suchen. In einer globalisierten Welt nimmt zudem die internationale Mobilität stark zu. Doch auch wenn die grundfreiheitlich garantierte Freizügigkeit im europäischen Raum eine freie Wahl des Wohnsitzes in Europa ermöglicht, kann das deutsche Steuerrecht Wegzugsüberlegungen „ausbremsen“.

Dies ist dann der Fall, wenn die wegzugswillige Person wesentliche Vermögenswerte in einer Kapitalgesellschaft hält. Im schlimmsten Fall werden die steuerlichen Folgen eines Wegzugs gänzlich übersehen und die bisher nicht versteuerten offenen und stillen Reserven in den Kapitalgesellschaftsanteilen der weggezogenen Person „aus Versehen“ aufgedeckt.

Die Wegzugsbesteuerung erfasst aufgrund ihres weiten Anwendungsbereichs verschiedene Personengruppen und Lebenssituationen. So kann eine Nachfolgeplanung mit einer Übertragung von Kapitalgesellschaftsanteilen eines Familienunternehmens auf die nächste Generation im Wege der vorweggenommenen Erbfolge problematisch sein. Stolpersteine ergeben sich zum Beispiel dann, wenn die Kinder, die Vermögenswerte übertragen bekommen, gerade ein Masterstudium im Ausland absolvieren oder anschließend im Ausland Arbeitserfahrung sammeln wollen.

Aber auch der Gründer und Mehrheitsgesellschafter eines erfolgsreichen Start-ups in Deutschland, der nun eine neue Idee im Silicon Valley verfolgen und dorthin übersiedeln will, ist von der Wegzugsbesteuerung betroffen. Denn Start-ups und Venture Capital-Investments sind oftmals als Kapitalgesellschaften strukturiert.

Eingeführt wurde die deutsche Wegzugsbesteuerung, das heißt die Regelungen in Paragaf 6 des Außensteuergesetzes, als Reaktion auf eine Debatte um steuerlich motivierte Wegzüge vermögender Unternehmer in den 1970er Jahren. Konkreter Anlass war der Wegzug des Kaufhaus-Unternehmers Helmut Horten in die Schweiz, sodass die Regelungen zur Wegzugsbesteuerung zum Teil auch als „Lex-Horten“ bezeichnet werden.

Aktuelle Rechtslage zur Wegzugsbesteuerung

Anwendungsbereich: Kapitalgesellschaftsbeteiligungen natürlicher Personen im steuerlichen Privatvermögen

Die Wegzugsbesteuerung ist auf Privatpersonen anwendbar, die mindestens zehn Jahre in Deutschland der unbeschränkten Steuerpflicht unterlegen haben, also für diesen Zeitraum ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatten. Die Staatsangehörigkeit ist dabei nicht von Bedeutung. Die Wegzugsbesteuerung betrifft nur Anteile an Kapitalgesellschaften wie etwa der GmbH oder der AG. Beteiligungen an Personengesellschaften sind hingegen nicht Gegenstand der Regelung, sofern diese wiederum keine Anteile an Kapitalgesellschaften halten.

Weitere Voraussetzung ist, dass die steuerpflichtige Person in den vergangenen fünf Jahren mit mindestens 1 Prozent am Gesellschaftskapital beteiligt war. Wichtig ist dabei, dass die relevante Beteiligungshöhe von 1 Prozent, für ältere Anteile können andere Grenzwerte gelten, nur einmal zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb der zurückliegenden fünf Jahre erreicht worden sein muss. Sie muss also weder dauerhaft noch zum Zeitpunkt des Wegzugs vorliegen. Von der gesetzlichen Regelung erfasst sind grundsätzlich in- und ausländische Kapitalgesellschaftsbeteiligungen.

Ferner setzt die Wegzugsbesteuerung voraus, dass die Anteile dem steuerlichen Privatvermögen zuzuordnen sind. Sofern Anteile an einer Kapitalgesellschaft dem steuerlichen Betriebsvermögen, zum Beispiel dem Gesamthandsvermögen einer Personengesellschaft zugeordnet sind, an dem die wegzugswillige Person beteiligt ist, muss anhand des konkreten Einzelfalls entschieden werden, ob die Personengesellschaft einen „steuerlichen“ Wegzug der Anteile an der Kapitalgesellschaft verhindert. Was diesbezüglich aus Sicht des Bundesfinanzhofs geklärt ist, dass eine oftmals als „Familienpool“ verwendete steuerlich vermögensverwaltende GmbH & Co. KG nicht vor der Wegzugsbesteuerung abschirmt.

Auslöser der Wegzugsbesteuerung

Die Wegzugsbesteuerung wird ausgelöst, wenn die steuerpflichtige Person ihren Wohnsitz und/oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland aufgibt und dadurch die unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland endet, die sogenannte Steuerentstrickung. Das Gesetz enthält darüber hinaus noch weitere sogenannte Ersatztatbestände, in denen die Wegzugsbesteuerung ausgelöst wird, wie zum Beispiel die Schenkung oder Vererbung von Kapitalgesellschaftsanteilen an eine im Ausland lebende Person. Ferner existiert mit dem Tatbestand des „Ausschlusses des Besteuerungsrechts Deutschlands“ eine zusätzliche weite allgemeine Auffangklausel.