Portfolio-Dekarbonisierung „Scope 3 wird Standards etablieren, mit denen wir arbeiten können.“

Brandgerodeter Urwald in Sierra Leone,Afrika: Seit 1990 wurden weltweitWälder auf einer Fläche zerstört, die knappzwölf Mal so groß ist wie Deutschland

Brandgerodeter Urwald in Sierra Leone, Afrika: Seit 1990 wurden weltweit Wälder auf einer Fläche zerstört, die knapp zwölf Mal so groß ist wie Deutschland Foto: Imago Images / Imagebroker

Ab 2050 will die Menschheit klimaneutral leben, so das Abkommen von Paris. Deutschland will sogar fünf Jahre früher sauber wirtschaften. Bereits bis 2030 sollen die Emissionen um 65 Prozent gegenüber 1990 sinken, so steht es im Generationenvertrag für das Klima. Die Gesetzesnovelle ist am 31. August 2021 in Kraft getreten. Eine Herkulesaufgabe für die Industrie, in erster Linie – zumindest zunächst einmal – die Finanzindustrie.

„Eigentlich ist dieser Weg ein Umweg, eine Krücke“, sagt Sebastian Römer, Zentral- und Osteuropa-Chef von Natixis. Seiner Meinung wäre es der naheliegendere Weg gewesen, ein ganzheitlich implementiertes CO2-Handelssystem zu entwickeln, das nicht nur die Produktion in Europa erfasst, sondern auch den Import dorthin. Für Römer der wesentlichere Teil, der bislang nicht abgedeckt sei. Idealerweise sollte es auch ein globales Handelssystem geben. „Weil das aber politisch nicht umsetzbar ist, wird die Finanzindustrie von den Regulatoren als Vehikel verwendet“, ergänzt er.

Mit Steffen Fuchs sieht das einer seiner Kunden ähnlich. Er ist für die konzernweite Nachhaltigkeit der VPV Versicherung verantwortlich und hat zuvor deren knapp 6,5 Milliarden Euro an liquidem Vermögen gemanagt. „Unterm Strich versucht die Taxonomie etwas in die richtigen Bahnen zu lenken, was Aufgabe einer europäischen Energiepolitik wäre“, sagt Fuchs und ergänzt: „Der Regulator hat sich nicht getraut, am richtigen Punkt anzusetzen, sondern geht den Weg über die Finanzinstitute. Dann müssen über kurz oder lang alle anderen mitgehen.“


Christian Jasperneite von der Warburg Bank wiederum zeigt durchaus Verständnis für dieses Vorgehen: „Wir sind doch alle gerade auf einer Entdeckungstour.“ Die Regeln, die man vor drei Jahren aufgesetzt hätte, wären heute seiner Meinung nach wieder andere und in fünf Jahren wären es wieder andere. „Abschließend gibt es einfach noch keine gute Lösung“, sagt er zu der Verwirrung rund um Taxonomie und ESG.

Unabhängig von der Vorgehensweise des Regulators ist es für Römer, Fuchs und Jasperneite hingegen, dass der eingeschlagene Weg gegangen werden muss. „Es ist 5 nach 12 für den Planeten und nicht 5 vor 12“, sagt Fuchs. Jasperneites Sorge ist, dass Unternehmen grün werden, weil sie beispielsweise Kohlekraftwerke einfach verkaufen. „Damit ist die Bilanz des Unternehmens sauberer, dem Planeten hilft das aber gar nicht.“

Der Wille ist da – fehlt nur der Königsweg, um das Portfolio zu dekarbonisieren. Das weiß auch Fuchs: „Wir werden als Versicherer, der Verbindlichkeiten einhalten muss, aber nicht einfach nur alle Wertpapiere verkaufen können, die nicht C02-neutral sind.“ Er will CO2 kompensieren und vermehrt in die Private Markets gehen und wenn möglich mit Impact investieren, also mit positiven und messbaren Effekten für Umwelt und Gesellschaft. „Ich mache die Welt nicht besser, wenn ich nur noch in Windparks investiere. Ich muss mir die Unternehmen heraussuchen, die den richtigen Pfad eingeschlagen haben, und darf ihnen das Geld nicht entziehen, auch wenn sie heute noch schlecht oder dreckig sind.“ Aber genau diese Unternehmen sind laut Fuchs schwer zu finden: „Fehlende Daten sind das größte Problem.“

Römers Arbeitgeber Natixis will genau hier helfen. Der Asset Manager setzt dabei unter anderem auf Scope 3. Hierbei werden die Emissionen ermittelt, die durch den Gebrauch von Produkten, den Rohstoffverbrauch bei der Produktion und den Recycling-Anteil der Produkte entstehen. Ein Beispiel: Zwei Automobilhersteller schneiden in Scope 1 – in der die direkten Emissionen, die durch die Aktivitäten eines Unternehmens entstehen – und Scope 2 – bei der die Emissionen aus der Elektrizität, die ein Unternehmen für den Betrieb verwendet, gemessen werden – gleich ab, obwohl die Autos des einen mehr verbrauchen als die des anderen. Erst in Scope 3 führt der geringere Treibstoffverbrauch zu einem Unterschied in der ESG-Bewertung.

Über den Lebenszyklus des Autos hinweg sind diese Scope-3- Emissionen damit der wesentliche Anteil am gesamten CO2-Ausstoß. Klingt gut, hat aber Römer zufolge einen Haken: „Diese Daten sind sehr komplex, weshalb wir dafür ein Team von 15 Analysten haben.“ Und damit sein Team arbeiten kann, müssen die Unternehmen die Daten erst einmal liefern. Weil es daran oft hapert, geht Natixis bei der Klassifizierung der eigenen Fonds zunächst sehr konservativ vor. „Die Reputation ist sehr wichtig. Man gewinnt nichts, wenn man bei einem zu früh auf Artikel 8 oder 9 klassifizierten Fonds wieder zurückrudern muss“, gibt Römer zu bedenken.