Berenberg ESG-Studie Die wichtigsten Nachhaltigkeitsziele sind selten investierbar

Tabea Weber, ESG-Investment Spezialistin, und Rupini Rajagopalan, Leiterin ESG Büro, beide Berenberg

Tabea Weber, ESG-Investment-Spezialistin, und Rupini Rajagopalan, Leiterin ESG Büro, beide Berenberg, bei der Vorstellung der diesjährigen ESG-Studie. Foto: Lamster

„ESG ist die letzten Jahre zum Mainstream geworden. Es ist kein Wettbewerbsvorteil mehr, sondern ein Must Have“, leitet Matthias Born, Leiter Investments bei Berenberg Wealth und Asset Management die Vorstellung der diesjährigen ESG-Studie ein.

Teilgenommen haben 156 Investoren, unter anderem Privatanleger, institutionelle Investoren, Asset Manager, Vermögensberater, Anlageberater, aber auch Family Offices, vorwiegend aus Deutschland und Großbritannien.

Die Umfrage teilt sich in drei Teile. Im ersten Teil wurden die Teilnehmer danach befragt, welche Ziele für nachhaltige Entwicklung (UN SDGs) den höchsten Stellenwert haben, und welche am besten investierbar sind. Der zweite Teil hat nach den Ansichten zum Klimawandel und seinen Einfluss auf das Investitionsverhalten gefragt. Der dritte Teil fragt nach Lücken des Bereichs und Erwartungen.

Quintessenz des ersten Teils: Die Ziele für nachhaltige Entwicklung richten sich in erster Linie an Regierungen, nicht an Unternehmen. Investoren können sich daran orientieren, doch nicht alle Ziele sind auch investierbar. 47 Prozent der Teilnehmer nutzen die SDGs in ihren Investmentprozess nur als Rahmen, nicht aber, um die Wirkung zu messen. 30 Prozent nutzen sie als Grundlage, um zu beurteilen, ob Investitionen geeignet sind. 15 Prozent nutzen sie gar nicht und nur 16 Prozent nutzen sie, um Wirkungen zu messen.

Und während die drei am besten investierbaren SDGs nach wie vor SDG 7 „Bezahlbare und saubere Energie“, SDG 9 „Industrie, Innovation und Infrastruktur“ und SDG 13 „Maßnahmen zum Klimaschutz“ sind, hat sich das Bild bei den wichtigsten SDGs geändert. Auf Platz eins steht nach wie vor SDG 13. SDG 16 „Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“ ist von fünf Prozent der Angaben im Jahr 2021 auf zehn Prozent der Angaben 2022 auf einen der zweiten Plätze gestiegen. Umgekehrt war es bei SDG 3 „Gesundheit und Wohlergehen“, das von zehn Prozent der Angaben auf fünf Prozent gesunken ist. „Das makroökonomische Umfeld bestimmt die Prioritäten der Anleger“, so Tabea Weber, ESG-Investment-Spezialistin bei Berenberg. „Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und die weniger präsente Pandemie sind dieses Jahr mögliche Treiber.“

Wichtigster Treiber für nachhaltiges Investieren sind für 43 Prozent der Befragten persönliche Überzeugungen. Das politische und regulatorische Umfeld folgt mit 37 Prozent der Angaben. Risiko- und Renditeüberlegungen landen abgeschlagen mit 14 Prozent auf Platz drei. Am wenigsten wichtig sind Berichtspflichten, die nur fünf Prozent nennen. „Persönliche Überzeugungen sind Pull-Faktor für nachhaltiges Investieren, regulatorisch Anforderungen sind Push-Faktor“, fasst Weber zusammen.

 

 

Ernüchternd ist, dass der Klimawandel für Investmententscheidungen nach eigenen Angaben der Investoren dennoch nur durchschnittlich wichtig ist. Er landet bei einer Skala von eins (am wenigsten wichtig) bis fünf (am wichtigsten) bei drei. Die Befragten gehen davon aus, dass dieser Wert in fünf Jahren immerhin bei 3,7 liegen wird. „Hier zeigt sich wieder das typische Dilemma, dass die Tendenz ist, die Bewältigung des Klimawandels auf die Zukunft zu schieben“, kommentiert Weber.

Wer den Klimawandel bei seinen Investitionsentscheidungen bereits berücksichtigt, nutzt dafür meistens „Engagement“. Am wenigsten hilfreich bewerten Investoren Desinvestitionen. Diese Einstellung spiegelt sich auch in der Antwort auf die nächste Frage wider. 87 Prozent würden in Unternehmen mit schlechten ESG-Ratings investieren, wenn diese versichern, sich zu verbessern. Möglicher Grund dafür könnten auch die Probleme mit ESG-Bewertungen sein wie fehlende Standards, Datenmangel, unklare Bewertungsmethoden und die hohen finanziellen und personellen Hürden für kleinere Unternehmen, ihre Daten zu erheben und zu melden.

An die Vorstellung der Studie schloss sich eine Diskussion zur Energiewende an, Teilnehmer waren: Petra Leue-Bahns, Vorständin des Stromproduzenten Clearvise, Peter Vest, Strategievorstand der Greencells Group, einem Anbieter von Photovoltaik-Kraftwerken, Bernd Deeken, Portfoliomanager Aktien/ESG von Berenberg und Torsten Heidemann, Leiter Infrastruktur und Energie, ebenfalls von Berenberg.

Einheitliche Meinung aller Teilnehmer: Die Regierung muss regulatorische Hürden abbauen und die Projektentwicklung beschleunigen, um die Energiewende voranzutreiben. Peter Vest sagt dazu: „Wir müssen europäisch denken und eigentlich sogar global, um CO2 einzusparen, aber das wird durch regulatorische Hürden erschwert.“ Und er sieht ein zweites Problem: „Besonders für Mittelständer sind die Kosten der Projektentwicklung oft zu hoch. Das Dilemma ist, dass die Summen für institutionelle Investoren jedoch wiederum zu gering sind.“ Eine mögliche Lösung dafür nennt Petra Leue-Bahns: „Man muss Projektentwicklungen, die klein vor Ort stattfinden, zu einem Projektentwicklungsfonds kombinieren.“  

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