Stefan Freytag vom Deutsche Oppenheim Family Office „Wir sind frei von Bauchentscheidungen und taktischen Meinungen“

Stefan Freytag, Vorstand des Deutsche Oppenheim Family Office.

Stefan Freytag vom Deutsche Oppenheim Family Office sagt: „Das Gerüst unser strategischen Grundaussage hat sich in den vergangenen 15 Jahren kaum verändert.“ Foto: Deutsche Oppenheim Family Office

private banking magazin: DWS-Chef Stefan Hoops hat kürzlich in einem Linkedin-Beitrag mächtig über Experten gewettert, die vage Prognosen zur Entwicklung von Aktienkursen oder Zinssätzen abgeben. Sprach Ihnen der Beitrag aus der Seele?

Stefan Freytag: Den habe ich gelesen, und ich fand ihn sehr erfrischend. Man macht selbst seine Entwicklung und wird zunehmend demütiger. Zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn war ich auch beseelt davon, die kurzfristigen Tendenzen des Marktes zu antizipieren – und bin dann auch über die Zeit geläutert worden. Gerade in den vergangenen 15 Jahren haben wir festgestellt, dass die kurzfristige Kapitalmarktprognose sehr fragwürdig als Orientierungshilfe für ein strategisch aufgestelltes Vermögen ist. Wir sagen immer: Timing braucht zwei gute Entscheidungen, den Eintritt sowie den Austritt. Wer den Ausstieg schafft, findet selten den richtigen Zeitpunkt zum Wiedereinstieg.

„Vergangenes Jahr haben wir eine fundamentale Veränderung der Renditestruktur erlebt.“

Sie vertrauen in Ihrem Beratungsprozess nicht auf hauseigene Prognosen, sondern auf eine neutrale Extrahierung der Markterwartungen aus dem Kapitalmarkt. Wie gelingt das?

Freytag: Das ist natürlich ein hehrer Anspruch, den man gut erklären können und auch immer wieder hinterfragen muss. Für uns ist der Fixpunkt die risikofreie Verzinsung, die wir aus dem Rentenmarkt ableiten können. Insofern ist es schon eine gewisse Kapitalmarktprognose, aber nicht von uns, sondern von tausenden von Marktteilnehmern. Das ist unser neutraler Referenzpunkt. Der verändert sich und wir sind auch bereit, gewisse Variationsbreiten zu akzeptieren, ohne den Fixpunkt direkt anzupassen.

2022 war eine Anpassung aber gewiss notwendig?

Freytag: Vergangenes Jahr haben wir eine fundamentale Veränderung der Renditestruktur erlebt, deshalb haben wir diesen Referenzpunkt neu kalibriert. Darüber hinaus betrachten wir nicht irgendwelche Prognosen für andere Assetklassen, sondern gehen über die Risikoprämientheorie. Man geht in der Wissenschaft von einer Risikoprämie für den Aktienmarkt zwischen 3,5 und 6 Prozent aus. Wir orientieren uns in der Mitte. Daraus modellieren wir Risikoprämien für weitere Assetklassen. Damit sind wir frei von Bauchentscheidungen und taktischen Meinungen.

Nehmen Sie mich mal mit: Wie entwickeln Sie die Strategische Asset Allocation für eine Familie?

Freytag: Wenn wir eine neue Mandatsbeziehung eingehen, beginnen wir mit einer Aufnahme der Vermögenswerte. Wir bestimmen die wesentlichen Ziele, die die Familie mit dem Vermögen verbindet: Ist es eher Kapitalerhalt? Oder eine Wachstumsstrategie? Sind Ausschüttungen wichtig, zum Beispiel bei Stiftungen? Sind steuerliche Themen zu berücksichtigen? Sind kurzfristige Änderungen des Vermögens zu erwarten? Gibt es Ausschlusskriterien? In einem Interviewprozess erarbeiten wir die Parameter heraus, mit denen wir Modellierungen durchführen und dem Kunden einen ersten Optionsraum an Gestaltungsmöglichkeiten vorstellen. In weiteren Gesprächen nähern wir uns schrittweise und iterativ dem Sweet Spot in verschiedenen Bandbreiten an.

 

Mit viel Pathos wird oftmals gesagt, in der Strategischen Asset Allocation erkenne man die DNA einer Familie.

Freytag: Man kann in der Tat sagen, dass die DNA einer Familie in der Strategischen Asset Allocation zu Tragen kommt – gerade, wenn es historische Vermögensstrukturen oder –präferenzen gibt, wie zum Beispiel zu Immobilien- oder Beteiliungsinvestitionen. Die DNA einer Familie spiegelt sich auch im Risikoverhältnis wider. Bin ich ein Investor der Volatilität aushalten kann, weil ich weiß, Volatilität ist ein statistisches Maß und wird nicht zum Risiko, wenn ich zur Unzeit realisieren muss? Oder ist die Risikobereitschaft geringer? Diese Risikomodellierung wird später auch in die Strategische Asset Allocation übersetzt.

Dennoch gibt es sicher auch Mandanten, die ihre Risikotoleranz überschätzen. Mussten Sie im vergangenen Jahr auch unangenehme Gespräche führen, als Depots zwischenzeitlich 20, 25 Prozent eingebüßt hatten?

Freytag: Tatsächlich hatten wir wenig solcher Gespräche. Jetzt könnten wir uns auf die Schulter klopfen und sagen, wir haben die Kunden darauf vorbereitet – das wäre aber wohl zu optimistisch. Wir merken, dass Investoren, die schon Kapitalmarkterfahrung gesammelt haben, an diese Ausschläge gewöhnt sind. Gerade am Aktienmarkt ist einem in den vergangenen Jahren ein dickes Fell gewachsen, weil Krisen wie die Corona-Pandemie oder die Finanzkrise 2008 bekanntlich schnell korrigiert wurden. Böse Überraschungen gab es tatsächlich am Rentenmarkt; das war ja in der Tat ein Jahrhundertereignis. Es war aber insofern verkraftbar, weil viele Privatinvestoren dem Rentenmarkt ohnehin kaum noch Volumen beziehungsweise lange Zinsbindungen gegeben haben. Seit Anfang des Jahres haben wir Kunden gesagt, dass jetzt die Chance ist, dem Anleihenmarkt wieder mehr Aufmerksamkeit in der Asset Allocation zu geben, und das haben wir auch umgesetzt.

Können Anleihen künftig wieder die stabilisierenden Eigenschaften bieten, die Investoren in der Vergangenheit gewohnt waren?

Freytag: Wenn wir nicht eine Wiederholung des Jojo-Effekts der Inflation erleben, wie wir es in den 1970er Jahren gesehen haben, dann ja. Wenn wir aber nochmal nach einer weiteren Beruhigung der Inflation einen zweiten starken Schub bekommen, der viele Marktteilnehmer auf dem falschen Fuß erwischt, kann das für ein weiteres Desaster auf den Rentenmärkten sorgen. Dieses Szenario ausgeschlossen, bieten Anleihen wieder einen Carry beim laufenden Ertrag, der zwar noch nicht die Inflation ausgleicht, aber eben einen Carry darstellt, der teilweise höher ausfällt als Dividendenrendite von Aktien. Im Falle der deflatorischen Risiken, der systemischen Risiken – wenn doch noch mehr Banken in Schwierigkeiten kommen oder aus dem Immobilienbereich die nächste Sresssituation kommt – werden erstklassige Rentenpapiere genau das bieten können, was wir in einem ausgewogenen Konzept brauchen. Da trauen wir den US-amerikanischen Titeln unter der Prämisse eines Dollar-Hedge noch mehr zu, weil sie einen höheren Puffer als Euro-Anleihen bieten.

War 2022 ein schlechtes Jahr für die Strategische Asset Allocation?

Freytag: Die Frage haben wir uns auch selbst gestellt. Das Jahr 2022 war für die ganz klassische und mit den höchsten Wahrscheinlichkeiten unterlegten Erwartungen ein schlechtes Jahr – insofern ein schlechtes Jahr, weil kaum etwas funktioniert hat, was Diversifikation anging. Wir haben auf dem Radarschirm, dass sowas passieren kann. 2022 hat damit auch gezeigt, dass man die Risikoszenarien, die wir modellieren, nicht vernachlässigen darf. Wir wissen nicht, wann solche Jahre eintreten, aber wir wissen, dass es sie gibt. Insofern hatte das Jahr auch etwas Gutes, weil es die Sinne geschärft hat.

Stefan Freytag Deutsche Oppenheim
Stefan Freytag ist seit 2013 Vorstandsmitglied des Deutsche Oppenheim Family Office. © Deutsche Oppenheim Family Office

In welchem Turnus findet eine Überprüfung der SAA statt? Muss dieser kürzer werden?

Freytag: Unseren Mandanten, mit denen wir uns auf einem klassischen strategischen Beratungsfeld bewegen, bieten wir einmal im Jahr eine Überprüfung an. Das hat in den vergangenen Jahren zu diversen Veränderungen geführt, wie dem sukzessiven Abbau von Euro-Anleihen als Risikoschutz. In diesem Jahr haben wir unsere Renditeerwartung signifikant verändert. Darüber hinaus gibt es Modellierungsveränderungen immer. Bei der Inflationsrate haben wir beispielsweise bereits vorletztes Jahr den Pfad nach oben gesetzt. Das Gerüst unser strategischen Grundaussage hat sich in den vergangenen 15 Jahren aber kaum verändert. Das ist auch wichtig, denn sonst wäre es taktische Beratung.

Lassen Sie uns einen Blick auf die verschiedenen Assetklassen werfen. Worauf kommt es bei der Aktienauswahl aus Ihrer Sicht an?

Freytag: Auf eine weiterhin gute Mischung zwischen Innovation und Substanz. Wir sind derzeit eher im Bereich der Big- und Mid Caps unterwegs. Den ganz kleinen Unternehmen sollte man vorsichtig begegnen, weil es wichtig ist, dass Unternehmen eine hohe Resilienz in ihrer Finanzierungsstruktur haben. Wir sind auch kein Verfechter von reinen Growth- oder Value-Strategien. Die gute Mischung macht´s. Wir haben im ersten Quartal erlebt, was die Diskussion um KI für einen Impuls gegeben hat.

 

Sie sprechen es an: Durch Chat GPT ist der Megatrend Künstliche Intelligenz wieder in aller Munde – auch als Investmentthema. Welche Rolle spielen Megatrends in der SAA?

Freytag: Ganz puristisch sind Megatrends eigentlich Taktik in unserem Modell. Wir diskutieren aber immer wieder kontrovers darüber und überlegen, ob gewisse Bereiche nicht auch strategisch zu modellieren sind. Doch insgesamt sind Megatrends bis auf weiteres nicht das, was wir mit Strategie verbinden.

Wie blicken Sie auf den Immobilienmarkt?

Freytag: Derzeit sind wir noch immer in der Phase, in der die Transaktionsparteien den richtigen Preis am Markt suchen. Die Belastungsfaktoren, die auf dem deutschen Immobilienmarkt liegen, werden noch eine Zeit lang verhaftet bleiben. Gleichzeitig verleiten strukturelle Defizite dazu, dass man Hoffnung haben kann, dass es zu keiner großen Krise kommt, weil wir nach wie vor ein viel zu geringes Angebot haben, das weiterhin bedient werden muss.

Wann wird es wieder attraktiv sein, zu kaufen?

Freytag: Wenn wir ein vernünftiges Bewertungsniveau erreichen, das je nach Lage und Ausstattung 15 und 20 Prozent unter dem Niveau der letzten Spitzentransaktionen sein müsste. Dann könnten Immobilien wieder einen attraktiven Carry erzielen, immer mit dem genauen Blick auf die ESG-Konformität.

Eine eher taktische Anlageklasse, die dieses Jahr ein kleines Comeback gefeiert hat, sind Kryptoassets. Als strategischer Investor für sie ein rotes Tuch?

Freytag: Es ist tatsächlich eine reine taktische Assetklasse, für uns ohne strategischen Wert, weil die Volatilität so hoch ist, dass das für uns in keiner Modellierung Sinn ergibt.


Über den Interviewten: 

Stefan Freytag ist seit 2013 Vorstandsmitglied und seit Januar 2020 Sprecher des Vorstands des Deutsche Oppenheim Family Office. Sein besonderer Verantwortungsbereich ist die Family-Office-Beratung und das Investmentconsulting. Zuvor war Freytag bereits Vorstand beim Wilhelm von Finck Deutsche Family Office, einem von drei Vorgängerunternehmen des Deutsche Oppenheim Family Office.

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