Vater und Sohn Böttcher im Gespräch Türkei, Russland oder Saudi-Arabien? „Es kann immer implodieren“

Stefan (l.) und Julius Böttcher (M.) sprachen mit Malte Dreher, Herausgeber des private banking magazins.

Stefan (l.) und Julius Böttcher (M.) sprachen mit Malte Dreher, Herausgeber des private banking magazins. Foto: private banking magazin

private banking magazin: Sie sind seit mehr als 30 Jahren als Investor in den Emerging Markets unterwegs. Wie fing damals alles an?

Stefan Böttcher: Ich bin 1988 direkt nach der Uni zu Marcard Stein in Hamburg gekommen und habe dabei geholfen, das Frankfurter Börsenbüro aufzubauen. Das Bankhaus war seinerzeit Teil der Indosuez-Gruppe, es gab viele internationale Kontakte. Plötzlich saßen wir dann zu zweit in London in einem komplett leeren Büro und es hieß, nun macht mal. Da sind wir losgezogen und haben erst einmal Möbel und Computer gekauft. Alles in allem die perfekte Lektion darin, ein Business komplett von null aus aufzubauen. 

Da ging es dann noch nicht um Schwellenländer? 

Stefan Böttcher: Das begann erst, als ich 1990 zu Flemings kam. Da hieß es dann nach zwei Jahren im Research für europäische Aktien, okay, du sprichst ein bisschen Russisch, du baust jetzt für uns ein Emerging-Markets-Geschäft auf.

Wo kam das Russisch her?

Stefan Böttcher: Aus der Schule. Damals gab es drei Optionen für eine weitere Fremdsprache neben Englisch  – Latein, Französisch, Russisch. Und ich habe mich damals für Russisch entschieden. 

 

Und Sie waren sofort einverstanden?

Stefan Böttcher: Ja klar – aber eher nach dem Motto, ich behalte meine bisherigen Aufgaben und das kommt dazu. Ich hatte nämlich zu der Zeit einen Deutschland-Fonds, der super lief. Den musste ich dann abgeben, aber ich glaube, es war trotzdem eine gute Entscheidung. 

Kann man seither, was die Schwellenländer betrifft, von einer großen Liebe sprechen?

Stefan Böttcher: Vielleicht eher von einer Hassliebe. Auf der einen Seite war es natürlich wahnsinnig spannend, in bis dato fremden Ländern Unternehmen zu analysieren und Kontakte aufzubauen. Ich war damals nahezu Woche auf Reisen und vor allem in Polen und Russland schnell einer der bekannteren Investoren. In so jungen Jahren Erfolg zu haben und teilweise Präsentationen vor 800 Leuten zu halten, war schon toll. 

Steigt einem das zu Kopf?

Stefan Böttcher: Es ist schon ein bisschen irritierend. Aber ich glaube, dass ich immer relativ bescheiden geblieben bin. Als Fondsmanager neigt man manchmal dazu, als arrogant zu gelten, weil man von allen Leuten immer nur …

„Solange Erdoğan da ist, ist die Türkei für uns nicht investierbar“

… hofiert wird. 

Stefan Böttcher: Genau. Später bei Schroders war das nochmal eine andere Hausnummer, weil wir in den Emerging Markets quasi die Nummer 1 waren. Mein Telefon hatte eine Kapazität von 20 Voicemails, und wenn ich mal zwei Stunden weg war, war das Ding voll. Das war am Ende vollkommen nervig. Bei meinem Start bei Charlemagne habe ich dann das komplette Kontrastprogramm erlebt: Dort blieb das Telefon anfangs stumm. 

Das ist ja furchtbar. 

Stefan Böttcher: Nicht unbedingt. Auf jeden Fall war es gut zu sehen, dass viele der Freunde, die man hatte, gar keine Freunde waren. 

Das war also die Herz-Seite. Wo ist denn die Hass-Seite? 

Stefan Böttcher: Da muss man nur nach Russland schauen. Viele Jahre lang hieß es Boom, Bust, Boom, Bust – und heute gehört es zu den unbeliebtesten Ländern überhaupt. Ähnliches gilt für die Türkei. Wir waren dort mal Marktführer, heute setzen wir keinen Fuß mehr hinein. Solange Erdoğan da ist, ist die Türkei für uns nicht investierbar, auch wenn ich die Türkei mag. Ein anderes Beispiel ist die Mongolei, wo ich viel Zeit verbracht habe. Ein Riesenprojekt, das dann jedoch nach hinten losging. Wir haben dort zum Glück nie etwas aufgelegt, aber sehr viel Zeit investiert. Argentinien ist auch so ein Thema. Oder Polen und Ungarn. Als es um den Beitritt in die EU ging, habe ich Vorträge mit dem Thema „Reforms are irreversible“ gehalten. Dann kamen die Gebrüder Kaczyński und Viktor Orbán.

Schwingt da gerade ein bisschen Resignation mit?

Stefan Böttcher: Das ist, glaube ich, natürlich, wenn man so viele Erfahrungen macht. Mit Statements, dieses oder jenes wird immer nur in eine Richtung gehen, sollte man allerdings in den Schwellenländern vorsichtig sein. Saudi-Arabien ist auch so ein Beispiel. Da läuft es gerade phänomenal, es gibt viele Profiteure. Wir machen das momentan mit. Aber kann es implodieren, in fünf oder zehn Jahren? Auf jeden Fall. 

 

Nun zu Dir, Julius – darf ich dich duzen? 

Julius Böttcher: Ja. 

Wann bist du denn angesteckt worden vom Investieren?

Julius Böttcher: Schon sehr früh. Ich habe das natürlich als Kind alles miterlebt. Wir sind auch früher ständig in diese Märkte in den Urlaub gefahren.

Und habt dabei in der Mongolei auch mal in einer Jurte gewohnt? 

Stefan Böttcher: Nicht in der Mongolei in der Jurte. Aber wir waren eigentlich überall, ob das in Afrika war oder in Vietnam oder in Südamerika. Ich wollte immer, dass die Familie mitkommt und sieht, was ich mache. Um manche Länder zu verstehen, ist es auch gut, mal ein bisschen privat sein zu können. Ich habe auch, als ich jung war, nicht die typischen Geschäftsreisen gemacht, die ich häufig bei der Konkurrenz sehe. Sprich, man fliegt vielleicht Montag raus und fliegt Freitag zurück. 

Und sitzt eh nur in einem Hotel rum.

Stefan Böttcher: Eben, und was nehme ich da schon mit? Ich glaube, das ist auch genau das, was Julius so viel Spaß macht. 

„Letztendlich fand ich dieses Dynamische am Aktienmarkt noch um einiges spannender“

So viel Spaß, dass du irgendwann ins Team gerutscht bist.

Julius Böttcher: Die ersten richtigen Geschäftsreisen, die ich mitgemacht habe, waren glaube ich 2013 Sri Lanka und Vietnam. Ins Team gekommen bin ich dann 2016, obwohl das am Anfang nie meine Überlegung war. Ich habe mich damals sehr für die Emerging Markets interessiert und wollte irgendwo in einer großen Institution erst einmal den Prozess lernen. Nach sechs Monaten habe ich jedoch festgestellt, ist, dass es viel mehr Spaß macht, hier so eng zusammenzuarbeiten und auch schon früh viel Verantwortung zu tragen. Also bin ich geblieben, und wir haben von Beginn an sehr gut und auch sehr dynamisch zusammengearbeitet. Das für die Schwellenländer typische Boom and Bust habe ich dann in Argentinien miterlebt. Als der Markt zusammengebrochen ist, bin ich nach Pakistan gegangen und war damals natürlich nicht sonderlich begeistert, das schöne Argentinien aufgeben zu müssen.

Du hast in Buenos Aires gelebt? 

Julius Böttcher: Das nicht, aber wir waren oft da. 

Stefan Böttcher: Du hast ja auch während deines Studiums schon viel Zeit in den Frontier Markets verbracht. 

Julius Böttcher: Das stimmt, das war immer eine Faszination. Ich habe Geologie studiert und meine Bachelor-Arbeit über eine Goldfirma in Nicaragua geschrieben. Und ich war auch in Myanmar mit einer anderen Goldfirma. Das hat mich schon sehr gereizt, aber letztendlich fand ich dieses Dynamische am Aktienmarkt noch um einiges spannender. 

Wie sind denn die Aufgaben zwischen euch verteilt im Tandem?

Stefan Böttcher: Ein Tandem im eigentlichen Sinne ist es noch nicht. Ich leite das Unternehmen, Julius ist Mitglied des Teams und dort zuständig für Saudi-Arabien, Lateinamerika und die ehemaligen Sowjetrepubliken. 

Im Endeffekt heißt das also, du musst deinem Vater auch Ideen aus deinem Beritt präsentieren. 

Julius Böttcher: Genau. Ich verbringe zum Beispiel ziemlich viel Zeit in Saudi-Arabien, und mein Job ist es, die Aktien, die wir im Portfolio haben, zu betreuen. Also zu entscheiden, wo wir vielleicht zukaufen, wo wir vielleicht ein bisschen was zurücknehmen und was wir wann verkaufen. Aber eben auch, die eine oder andere neue Ideen vorzuschlagen. Auf diese Weise arbeitet jeder im Team mit Stefan in seinen Märkten zusammen. 

Was nimmst du als Know-how von deinem Vater mit?

Julius Böttcher: Nun ja, im Grunde genommen habe ich fast alles von ihm gelernt. Als ich anfing, wusste ich nicht viel. Aber wir haben einen wirklich gut definierten Prozess. Jeder Investment Pitch und jedes Meeting hat die gleiche Struktur, und dann ist es egal, ob wir uns jetzt eine Rohstofffirma, eine Konsumfirma, ein Krankenhaus oder eine Bank anschauen. Ich weiß ganz genau, was der nächste Punkt ist und habe so auch schnell gelernt, wie man Dinge hinterfragt.

 

Stefan Böttcher: Weil wir diese Plattform haben bei der Kommunikation, ist es relativ einfach, Ideen zu kommunizieren und dann umzusetzen. Man muss die gleiche Sprache sprechen, und damit meine ich nicht Deutsch oder Englisch. Wenn Julius oder jemand anders aus dem Team mir irgendwas präsentiert, dann weiß ich genau, was er analysiert hat und was er tatsächlich meint mit dem, was er ausdrückt, Das ist schon sehr wichtig. Davon abgesehen ist Julius natürlich nicht hier, weil er mein Sohn ist, sondern weil er wirklich eine Kompetenz hat. Er hätte auch überall anders arbeiten können, aber wir haben das Glück, dass er bei uns ist.

Wie neugierig muss man sein, speziell als junger Fondsmanager?

Julius Böttcher: Schon sehr. Wie Stefan schon sagte, man kann ein Frontier-Markets-Portfolio nicht allein von London aus verwalten. Und wenn man vor Ort ist, lernt man jeden Tag etwas Neues hinzu. Im vergangenen Jahr beispielsweise war ich zusammengerechnet zwei Monate in Saudi-Arabien, habe inzwischen sehr viele Freunde dort und auch einen Teil meines Urlaubs dort verbracht. Im Dezember etwa war ich mit einheimischen Freunden auf einem lokalen Musikfestival, und so lernt man dann auch die Kultur kennen. Momentan versuche ich gerade, Arabisch zu lernen. Das ist ein ziemlich großes Projekt.

Wenn du dich entscheiden müsstest nach Lebensqualität, in welches Land würdest du gehen? 

Julius Böttcher: Ich würde nie sagen, ich will den Rest meines Lebens in irgendeinem Land verbringen. Lateinamerika hat mich immer begeistert. Aber für die nächsten drei Jahre könnte ich mir schon Saudi-Arabien vorstellen. Das Land boomt, und es ist echt spannend, wie es sich gerade verändert. 

Sie sind glühender HSV-Fan mit Dauerkarte und besuchen aus London heraus viele Spiel der Rothosen. Wird das dieses Jahr was mit dem Aufstieg?

Stefan Böttcher: Das ist ein schwieriges Thema. Jedes Jahr habe ich bisher gesagt, das wir aufsteigen. Geklappt hat es nicht. Sehen wir es mal positiv. Die Hoffnung stirbt zuletzt. 


Über die Interviewten:
Stefan Böttcher wechselte 2001 als Investmentchef zur heutigen Fiera Capital und ist Mitglied des Oaks-Teams. Böttcher arbeitete zuvor bei Schroders Investment Management, wo er als Executive Director und Leiter Global Emerging Markets tätig war. Bevor er zu Schroders kam, war Stefan neun Jahre lang Direktor bei Flemings Investment Management. Bei Flemings baute er den Emerging European and Middle East Desk auf, den er mehr als sechs Jahre lang leitete. Böttcher begann seine Karriere als Analyst bei W.I.Carr und Marcard, Stein & Co. in London und Frankfurt. Er investiert seit über 30 Jahren in Schwellenländer.

Julius Böttcher kam im Juli 2016 als Investmentanalyst zu Fiera Capital. Er konzentriert sich auf Länder und Sektoren in den Märkten EMEA und Lateinamerika. Böttcher ist Mitglied des Oaks-Teams und hält einen Bacherlorabschluss in Naturwissenschaften von der Universität Cambridge mit Schwerpunkt auf geologischen Wissenschaften.

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