Auswirkungen in der Praxis Arbeitszeiterfassung im Private Banking: Kein Problem – oder doch?

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Das eigentliche Problem: Altes Gesetz in moderner Arbeitswelt

Solange es keine gesetzlich konkretisierte Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gibt, besteht somit kein dringender Handlungsbedarf, auch wenn im Unternehmen noch kein Zeiterfassungssystem etabliert ist. Anders kann dies in Unternehmen sein, für die hohe Anforderungen im Bereich Compliance stehen – sei es aufgrund des eigenen Anspruchs, der Kundenansprüche oder aufgrund besonderer gesetzlicher Vorgaben.

Zu einem Problem könnte die Pflicht zur Zeiterfassung jedoch werden, wenn die gesetzliche Konkretisierung der Arbeitszeiterfassungspflicht vor der dringend nötigen Überarbeitung des Arbeitszeitgesetz erfolgt. Das Arbeitszeitgesetz aus dem Jahr 1994 sieht mit Blick auf Höchstarbeitszeit und zwingende Ruhepausen noch die gleichen Regelungen vor wie sein Vorgänger – die Arbeitszeitordnung aus dem Jahr 1924. Die zum Schutze von körperlich arbeitenden Werks- und Fabrikarbeitern eingeführten Arbeitszeitregelungen sind auch heute noch für viele Arbeitnehmer in produzierenden Berufen von großer Bedeutung für den Gesundheitsschutz.

Ein Telefonat mit einem Kunden am Sonntag ist verboten

In der modernen Arbeitswelt, insbesondere im Bereich der Beratungsdienstleistungen, in der die Arbeit zu jeder Zeit von jedem Ort mittels Mobile Device erledigt werden kann, erweisen sie sich hingegen immer wieder als zu sperrig, zu eng und oft auch nicht mit den Anforderungen des Marktes und den Bedürfnissen der Mitarbeiter vereinbar.

Ein Vermögensberater, der seine terminlich ausgelasteten Kunden erst spät am Abend telefonisch erreicht, darf wegen der gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Ruhepause von 11 Stunden am nächsten Arbeitstag erst kurz vor der Mittagspause seine Arbeit aufnehmen, ein Telefonat mit einem Kunden am Sonntag ist gar vollständig verboten. Ob der Vermögensberater seinen abendlichen Einsatz durch mehr Zeit für Sport und Familie am Nachmittag ausgleicht, spielt für die Beurteilung, ob ein Arbeitszeitverstoß vorliegt, wenn er am nächsten Morgen vor Ablauf von 11 Stunden seine Tätigkeit fortsetzt, keine Rolle.

 

 

Es wäre blauäugig, anzunehmen, es gäbe solche Arbeitszeitverstöße nicht. Sie werden nur bislang unter dem Deckmantel der Vertrauensarbeitszeit nicht dokumentiert. Kommt nun eine gesetzlich konkretisierte Arbeitszeiterfassungspflicht, bevor das starre Gerüst des Arbeitszeitgesetz gelockert wird, würden diese Arbeitszeitverstöße sichtbar und nachprüfbar dokumentiert. Den betreffenden Unternehmen kann dann nur geraten werden, sich exakt an die Vorgaben des Arbeitszeitgesetz zu halten und ihre Mitarbeiter entsprechend anzuweisen. Dies entspricht dem Ziel eines durchsetzbaren Gesundheitsschutzes, wird aber von vielen sicherlich als Rückschritt in der andernorts immer flexibler werdenden Arbeitswelt angesehen.

Gesetzgeber muss Regelungen mit Anforderungen der modernen Arbeitswelt in Einklang bringen

Das Bestehen einer Pflicht zur Arbeitszeiterfassung lässt sich nach der jüngsten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes nicht mehr wegdiskutieren. Gleichwohl müssen Unternehmen, die bislang auf das Modell der Vertrauensarbeitszeit gesetzt und von der Arbeitszeiterfassung abgesehen haben, nun nicht in blinden Aktionismus verfallen und schon morgen ein digitales System zur minutiösen Erfassung der Arbeitszeit implementieren. Denn das vom Bundesarbeitsgericht gezückte Schwert ist ein stumpfes: Jedenfalls aktuell ergeben sich aus einer Verletzung der Pflicht keine negativen Konsequenzen.

Da die Arbeitszeiterfassungspflicht nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichtes gesetzlich geregelt ist, besteht eigentlich auch kein Bedarf mehr für die (nochmalige) Umsetzung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in das nationale Recht. Dennoch hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) angekündigt, die sich aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ergebenden Konsequenzen für den Gesetzgeber zur prüfen. Im Anschluss daran, „voraussichtlich im ersten Quartal 2023“, soll ein praxistauglicher Vorschlag für die Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung im Arbeitszeitgesetz gemacht werden.

Wünschenswert wäre es, dass dieser Vorschlag auch das Spannungsverhältnis zwischen Arbeitszeiterfassungspflicht und den für moderne Arbeitsverhältnisse teilweise zu engen Vorgaben des Arbeitszeitrechts berücksichtigt. Es bleibt daher zu hoffen, dass der Gesetzgeber den Ball im eigenen Spielfeld erkennt und Regelungen schafft, die mit den Anforderungen der modernen Arbeitswelt in Einklang zu bringen sind. Der Auftrag ist kein leichter, denn bei allem Streben nach Flexibilität dürfen der Gesundheitsschutz und der Schutz der Mitarbeiter vor fremd- und selbstverschuldeter Überlastung nicht außen vor bleiben.


Über die Autorinnen: 

Jana Riech ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und Partnerin in der Praxisgruppe Arbeitsrecht bei Hoffmann Liebs. Sie berät deutsche und internationale Unternehmen verschiedener Größen und Branchen in allen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Einen Schwerpunkt Ihrer Tätigkeit bilden die Verhandlung und Gestaltung von Anstellungsverträgen und Trennungsvereinbarungen, die Vertretung von Unternehmen und Führungskräften in gerichtlichen Verfahren sowie die Beratung bei tarif- und betriebsverfassungsrechtlichen Fragestellungen.

Verena Hagen ist seit 2022 Rechtsanwältin bei Hoffmann Liebs in Düsseldorf und Mitglied der Praxisgruppe Arbeitsrecht. Sie studierte Rechtswissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf mit dem Schwerpunkt Deutsches und Internationales Privat- und Verfahrensrecht.

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