Auswirkungen in der Praxis Arbeitszeiterfassung im Private Banking: Kein Problem – oder doch?

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Arbeitszeiterfassung im Private Banking: Kein Problem – oder doch?
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Die Rechtsanwältinnen Jana Riech (links) und Verena Hagen von der Wirtschaftskanzlei Hoffmann Liebs

Die Rechtsanwältinnen Jana Riech (links) und Verena Hagen von der Wirtschaftskanzlei Hoffmann Liebs über die Auswirkungen der Arbeitszeiterfassungspflicht in der Private-Banking-Branche. Foto: Hoffmann Liebs/Studio Ignatov

In den letzten Jahre wurde immer wieder diskutiert, ob und in welchem Umfang Arbeitgeber die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter zu erfassen haben. Bisher hatte nur das Arbeitszeitgesetz eine Aufzeichnungspflicht für die Arbeitsstunden vorgesehen, die über die werktägliche Arbeitszeit von acht Stunden hinaus oder an Sonn- und Feiertagen geleistet werden.

Sowohl die europäische als auch die deutsche arbeitsrechtliche Rechtsprechung sind zuletzt jedoch medienwirksam zu der Erkenntnis gelangt, dass Arbeitgeber zur Erfassung der gesamten geleisteten Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter verpflichtet sind. Doch gilt dies auch uneingeschränkt für professionelle Dienstleister wie Privatbanken und (Multi) Family Offices und wie wäre mit einer solchen Pflicht umzugehen?

Die Ausgangslage: Das „Stechuhr“-Urteil

Bereits im Mai 2019 hatte der Europäische Gerichtshof in seinem viel beachteten „Stechuhr“-Urteil 14. Mai 2019 (C-55/18) erkannt, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Arbeitgeber dazu verpflichten müssen, die (ganze) Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter systematisch zu erfassen. Nur so könnten die Einhaltung der Arbeitszeitregeln durchgesetzt und kontrolliert und der bezweckte Gesundheitsschutz gewährleistet werden. Der sich daraus auch für den deutschen Gesetzgeber ergebende Auftrag blieb bislang jedoch unerfüllt, sodass die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs bislang noch nicht in das nationale Recht überführt wurde.

Großes Aufsehen erregte dann zuletzt die der Auffassung des Europäischen Gerichtshofs folgende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 13. September 2022 (1 ABR 21/22), deren Entscheidungsgründe Anfang Dezember 2022 veröffentlicht wurden. Darin schließt sich auch das Bundesarbeitsgericht der Auffassung an, Arbeitgeber seien zur Erfassung der gesamten Arbeitszeit verpflichtet: Dies folge zwar nicht aus dem Arbeitszeitgesetz, wohl aber aus dem Arbeitsschutzgesetz und der sich daraus ergebenden Pflicht der Arbeitgeber, die für die Sicherheit und die Gesundheit ihrer Mitarbeiter erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Von einem „Paukenschlag“ war anlässlich dieser Entscheidung oft die Rede, es wurde gar „das Ende der Vertrauensarbeitszeit“ prophezeit.

Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung: Auswirkungen für Berateralltag

Nun wird in aller Regel nicht so heiß gegessen, wie gekocht und der Vertrauensarbeitszeit eine vollständige Absage zu erteilen oder gar Stechuhren an der Bürotür zu installieren, ginge zu weit. Ganz ohne Auswirkungen für die aktuelle und zukünftige Praxis bleibt die dargestellte Rechtsprechungsentwicklung allerdings – auch in der Private Banking Branche – nicht.

 

 

Die Pflicht zur vollständigen Arbeitszeiterfassung trifft ohne Ausnahmen alle denkbaren Arbeitgeber. Sie gilt ab sofort (beziehungsweise genaugenommen bereits seit dem Inkrafttreten des Arbeitsschutzgesetz im Jahr 1996 – nur hat dies vor dem Bundesarbeitsgericht im Jahr 2022 niemand erkannt), ohne Vertrauensschutz oder Fristen zur Umsetzung. Umfasst sind alle Arbeitnehmer. Eine Ausnahme nimmt das Bundesarbeitsgericht parallel zum Anwendungsbereich des Arbeitszeitgesetzes nur für leitende Angestellte an, also insbesondere Prokuristen und Mitarbeiter, die aufgrund ihrer selbständigen Einstellungs- und Kündigungsbefugnis beziehungsweise ihrer sonstigen herausragenden Stellung eindeutig der Arbeitgeberseite zuzuordnen sind. Dem weitreichenden Anwendungsbereich der Zeiterfassungspflicht können sich folglich auch Privatbanken und Family Offices nicht entziehen.

Wie die Arbeitszeiterfassung zu erfolgen hat, ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Arbeitsschutzgesetz. Das Bundesarbeitsgericht leitet hieraus nur die grundsätzliche Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ab, konkrete Vorgaben zur Umsetzung sind dort jedoch nicht enthalten. Bis der Gesetzgeber eine Regelung verabschiedet hat, besteht bei der Ausgestaltung des Systems zur Arbeitszeiterfassung daher ein großer Gestaltungsspielraum.

Was passiert, wenn ein Arbeitgeber sich nicht an seine Pflicht hält?

Derzeit können Arbeitgeber beispielsweise noch wählen, in welcher Form (ob elektronisch oder manuell) die Erfassung der Arbeitszeit erfolgen soll. Der Arbeitgeber kann die Verpflichtung zur Zeiterfassung außerdem auch auf die Beschäftigten delegieren, solange es keine entgegenstehenden Regelungen gibt. Wichtig ist jedoch, dass der Arbeitgeber seine Mitarbeiter zur Nutzung des von ihm bereitgestellten Systems anweist und dies – auch im Falle von Vertrauensarbeitszeit – zumindest stichprobenartig überprüft. Eine bloßes Zurverfügungstellen zur freiwilligen Nutzung soll nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts nicht ausreichen.

Die Antwort ist kurz und mag überraschen: Erstmal nichts. Das Arbeitsschutzgesetz sieht für diesen Fall keine unmittelbaren rechtlichen Sanktionen wie etwa die Verhängung von Bußgeldern vor. Diese sind erst dann zu befürchten, wenn der Gesetzgeber die Pflicht zur allgemeinen Zeiterfassung gesetzlich verankert oder ein Arbeitgeber der Anordnung zur Einführung eines Zeiterfassungssystems durch eine zuständige Behörde zuwiderhandelt.

 

Auch negative Folgen im Sinne etwa einer Beweiserschwerung im Überstundenprozess sind nicht zu befürchten. Bislang müssen Mitarbeiter zur Durchsetzung von Zahlungsansprüchen aufgrund von Überstunden die Ableistung derselben und deren Notwendigkeit im Prozess darlegen können. Daran hat sich jedenfalls nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen durch die Annahme einer Pflicht zur Zeiterfassung nichts geändert (Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 6. Mai 2021, 5 Sa 1292/20). Der nachlässige Arbeitgeber wird also nicht durch eine Beweislastumkehr abgestraft.

Übrig bleibt damit, dass ein gegebenenfalls bestehender Betriebsrat den nachlässigen Arbeitgeber im Rahmen seiner Mitbestimmungsrechte zur Einführung eines Zeiterfassungssystems zwingen kann – wobei dem Arbeitgeber aber die Auswahl des Systems (elektronisch oder manuell) überlassen bleibt.