Robert J. Shiller und Dirk Schumacher im Interview „Die Notenbanken müssen die inflationäre Psychologie durchbrechen“

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Warum wurde der Klimawandel dann erst durch Greta Thunberg und Katastrophen in den Fokus von Finanzmarkt- und Makroanalysen gerückt?

Schumacher: Die Internalisierung externer Kosten findet bei der Umweltverschmutzung durchaus schon länger statt. Bei den Auswirkungen des Klimawandel passiert das erst jetzt, weil die Evidenz für den Beitrag des Menschen zum Klimawandel mittlerweile erdrückend ist. Das gilt eben auch für die Auswirkungen des Klimawandels, die inzwischen häufiger sichtbar werden. Auch wenn es Unsicherheit über langfristige Prognosen gibt.

Shiller: Nachhaltigkeit als Investmentthema profitiert aber auch davon, dass der Klimawandel manche Unternehmen mehr trifft und ihnen mehr schadet als anderen. Investoren wollen also von diesen Unternehmen fernbleiben – aus Eigennutz.

Können Institutionen und Investoren so etwas bewirken?

Schumacher: Es gibt klare Zielvorgaben für die CO2-Emissionen, auch wenn die vielen Nachhaltigkeitsprogramme der Institutionen durchaus ambitioniert sind. Man kann nur hoffen, dass Regierungen mit einer großen Portion Pragmatismus an die Sache gehen, um diese Herausforderung zu meistern. Die CO2-Emissionen in makroökonomische oder Kapitalmarktszenarien umzurechnen, ist dabei die Schwierigkeit.

Ähnliches dürfte auch für die Narrative gelten, Herr Shiller. Wie lässt sich die Forschung praktisch in finanzielle und ökonomische Analysen einrechnen?

Shiller: Glücklicherweise gibt es durch Internet, Social Media und Suchmaschinen genug Daten, die uns bereits Informationen liefern. Deswegen hat sich etwa das Gebiet der Neuroökonomie entwickelt, die unser ökonomisches Selbstverständnis verändert. Wir haben neue Datenquellen, können Hirnaktivitäten messen und auswerten. Diese Dinge können nicht ignoriert werden, wenn man sie erstmal in voller Pracht vor sich gesehen hat.

Welche Vorteile bringt die Narrative Wirtschaft?

Shiller: Es ist ziemlich befreiend, sich nicht mehr nur auf aggregierte wirtschaftliche Daten wie Bruttoinlandsprodukte oder Beschäftigungsquoten verlassen zu müssen. Und deshalb ist jetzt eine gute Zeit, um Wirtschaftswissenschaftler oder Finanzanalyst zu sein. Denn es macht eine Menge Spaß, an all diesen Möglichkeiten mitzuarbeiten und ein besseres Verständnis von den neuen Datenquellen zu bekommen.

Für wie wichtig halten Sie Narrative in der zukünftigen makroökonomischen Analyse, Herr Schumacher?

Schumacher: Während der Finanz- und Eurokrise war zu beobachten, welche Rolle sie spielen. Irgendwann waren nicht mehr nur finanzwirtschaftliche Fragen Thema der Debatte, sondern es dominierten grundlegende Fragen zur Stabilität des Systems. Das wirkte wie eine Art Brandbeschleuniger. Was allerdings fehlt, ist ein Nachweis dafür, wie Narrative im Detail wirken. Der nächste Schritt ist also eine Quantifizierung.

Shiller: Und es wird noch Jahrzehnte dauern, bis wir wirklich valide Erkenntnisse mittels Behavioral Finance oder Neuroökonomie auswerten können. Und dafür ist es eben auch wichtig, hin und wieder in die Historie zu schauen, damit wir in Zukunft profitieren können.

Apropos Zukunft: Herr Shiller, besitzen Sie Bitcoin?

Shiller: Ich habe mal überlegt, mir einen Bitcoin zu kaufen. Als eine Art Lernerfahrung, um die Psychologie dahinter zu erleben. Aber ich habe es nicht durchgezogen. Also Nein, ich habe nie Bitcoin oder solche Kryptowährungen besessen. Vermutlich zu meinem größten Bedauern.

Sie haben auch Bitcoin schon mit einem Narrativ verglichen. Welche Geschichte, die die Wirtschaft verändern kann, sehen Sie in der Kryptowährung?

Shiller: Das Narrativ hinter Bitcoin: Bitcoin ist cool! Er nutzt moderne Kryptographie, was ziemlich aufregend ist. Dazu kommt die Geschichte von Satoshi Nakamoto, dem unbekannten Erfinder von Bitcoin. Er dürfte also ein Milliardär sein – den niemand finden kann und der seine Privatsphäre hat. Das ist also eine Art Detektivgeschichte, und die mögen viele Menschen eben. Die Ansteckungsrate dieses Narrativs ist hoch, auch bei Menschen, die eigentlich nichts von Finanzen verstehen. Das ist kein neuer Effekt. Wir hatten das ja schließlich schon bei der bekannten Tulpenmanie in den Niederlanden. Und selbst mitten in der Tulpenmanie ließ sich ja noch gutes Geld verdienen.

Ist der Bitcoin eine gefährliche Geschichte?

Shiller: Bitcoin ist unabhängig, ein Kauf eine Maßnahme zur Diversifikation. Aber es ist eben auch eine psychologisches und auf Narrativen basierte Sicherheit. Da Narrative mein Spezialgebiet sind, sollte ich vielleicht auch ein Spezialist für Investments in Kryptowährungen werden. Ich bin allerdings nicht so motiviert, viel Geld zu machen, wie andere Menschen es vielleicht sind. Ich mache Sachen in meinem Leben aus anderen, hoffentlich höheren Gründen. Und ich möchte auch nicht in irgendwelche Blasen springen.

Sehen Sie sich als einen Optimisten oder einen Pessimisten?

Shiller: Eine Mischung aus beidem. Schließlich wissen wir auf der einen Seite, dass wir als Menschheit irgendwann aussterben. Die Sonne wird explodieren, es gibt eine Supernova oder irgendwas in der Art. Auf der anderen Seite haben wir bis dahin immerhin noch etwas Zeit. Und deshalb bin ich optimistisch. Selbst Katastrophen wie die Pandemie bringen uns Vorteile wie etwa den großen Nutzen von Online-Meetings. Weniger Reisen, das Arbeiten von Zuhause: Das ist ein Segen. Und wir erarbeiten ihn uns gewissermaßen mittels Learning-by-Doing, mitten in einer Pandemie. Wir sind also in der Lage, die menschliche Wohlfahrt weiter zu steigern. Und so verschaffen wir uns allen ein besseres Leben. Ein besseres Leben ist nicht immer am BIP ablesbar – und trotzdem etwas sehr Reales.

Ready to reboot in 2022? Erleben Sie Professor Robert J. Shiller live: Moderiert von Malte Dreher, Herausgeber des private banking magazin, spricht der Nobelpreisträger kommenden Donnerstag, den 20.01. um 14.30 gemeinsam mit Dirk Schumacher und Julien Dauchez von Natixis Investment Managers über Narrative in der Wirtschaft, den weiteren Verlauf der Inflation und den ökonomischen Ausblick für die USA und Europa. Hier anmelden.

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