Robert J. Shiller und Dirk Schumacher im Interview „Die Notenbanken müssen die inflationäre Psychologie durchbrechen“

Natixis-Chefvolkswirt Dirk Schumacher (l.) und Nobelpreisträger Robert Shiller

Natixis-Chefvolkswirt Dirk Schumacher (l.) und Nobelpreisträger Robert Shiller: Beide Ökonomen sprechen im Interview über Inflation, Makroökonomie und Nachhaltigkeit. Foto: Imago Images / Christian Thiel, Natixis

Professor Shiller, in ihrem jüngsten Buch „Narrative Wirtschaft“ stellen Sie die These auf, dass Geschichten und sogenannte Narrative die Wirtschaft nachhaltig beeinflussen. Welches Narrativ birgt gerade die größte Sprengkraft?

Robert J. Shiller: Die Inflation ist so ein Narrativ. Menschen denken viel über sie nach, weil sie bei jedem Einkauf Preise sehen. Manche Preise waren bis jetzt stabil, steigen nun aber. Daraus wird schnell eine kraftvolle Erzählung. Seit der Hyperinflation in den 1920er und 1930er Jahren übrigens besonders in Deutschland.

Herr Schumacher, warum ist die Inflation weltweit so ein großes Thema?

Dirk Schumacher: Je nachdem, wie sie sich weiterentwickelt, müssen die Zentralbanken ihren Kurs mehr oder weniger radikal ändern. Ihr Spielraum hängt dabei mit der Einschätzung der mittelfristigen Inflationsentwicklung zusammen – und damit auch die weitere Entwicklung an den Finanzmärkten. Damit ist die Inflation derzeit die größte Sollbruchstelle der Wirtschaft.

Wann werden Sollbruchstellen gefährlich?

Schumacher: Eine makroökonomische Betrachtung hilft zumindest, Ungleichgewichte in den Märkten und der Wirtschaft zu identifizieren. Da kann sich dann eine Sollbruchstelle finden oder auch eine Blase. Die Logik ist klar: Wenn eine Entwicklung nicht nachhaltig ist, kann sie nicht ewig weitergehen. Aber der genaue Zeitpunkt, wann es zur Korrektur kommt, lässt sich nicht sehr treffsicher bestimmen.

Einmal aus Sicht der Narrativen Wirtschaft und einmal aus Sicht der Makroökonomie: Wie können sich die Zentralbanken aus dem Szenario steigender Inflationsraten, einer schwachen Wirtschaft und niedriger Zinsen herausmanövrieren?

Shiller: Die Notenbanken müssen die inflationäre Psychologie durchbrechen. Das haben sie bisher aber nicht unbedingt getan. Menschen und auch die Notenbanken haben bei Inflation oft eine Art medizinisches Modell im Kopf, als wäre sie eine ansteckende Krankheit wie Tuberkulose. Sie muss bereits in ihrer Anfangsphase gestoppt werden, bevor sich Inflationserwartungen noch weiter ausbreiten. Ansonsten nehmen Arbeitnehmer sie nämlich auch in ihre Gehaltserwartungen auf – und man kommt in einen Teufelskreis.

Schumacher: Die entscheidende Frage für Zentralbanken ist deshalb, ob der rasante Anstieg der Inflation tatsächlich temporär ist oder ob wir gerade eine anhaltende Beschleunigung der Inflation beobachten. Im ersten Fall wäre es vertretbar, wenn die Zentralbank die Geldpolitik graduell anpassen. Im letzteren Fall wird es zu einer schnelleren Straffung kommen. Und das birgt das Risiko eines größeren wirtschaftlichen Kollateralschadens.

Die Antworten auf die Finanzkrise, die Eurokrise und die Covid-Krise waren allesamt geldpolitisch. War das falsch?

Schumacher: In der kurzen Sicht war das aggressive Eingreifen der EZB richtig. Im Finanzsystem können sich selbstverstärkende Dynamiken entwickeln, die – lässt man sie laufen – nur ziemlich schwer einzufangen sind. An diesem Punkt stehen wir jetzt auch. Die Kunst ist es, zu wissen, wann und in welcher Geschwindigkeit die geldpolitische Medikation zurückgefahren werden muss. Hier können wir also nur hoffen, dass die EZB sich alle Daten objektiv und unvoreingenommen anschaut.

Shiller: Die Notenbanken waren bisher meist erfolgreich mit dem, was sie tun. Und sie wissen inzwischen, dass sie aufpassen müssen, was und wann und wie sie etwas sagen. Eine Aussage wie Mario Draghis „Whatever it takes“ kann schnell Folgen haben. Inflation ist trotzdem vorerst ein Problem, dem sich Portfoliomanager stellen müssen. Aber: Inflation ist im Vergleich zur Historie nun nicht mehr das größte Problem, das wir haben.

Welche Probleme sind größer?

Shiller: Es gibt einige Geschehnisse auf dem Globus, die den Menschen zurecht mehr Angst einjagen. Da sind etwa die Waldbrände oder das Schmelzen der Polarkappen. Dazu kommt, dass solche Narrative durch bekannte Persönlichkeiten getrieben werden. Ich denke dabei an Menschen wie Greta Thunberg, die schon als Teenager ein großes Talent dafür hat, Dinge provokativ und zitierfähig zusammenzufassen.

Schumacher: Die Dekarbonisierung der Wirtschaft ist das größte makroökonomische Thema der kommenden Jahre. Allerdings ist es keine leichte Aufgabe. Der Investitionsbedarf ist riesig. Dazu kommt die nicht geringe Gefahr eines Missmanagements beim Übergang der Wirtschaft zu einer nachhaltigeren Zukunft.