Ende für Inflationsindexierte Bundesanleihen „Zentrales Selbstverteidigungsinstrument gegen Inflationspolitik geht verloren“

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Ende für Inflationsindexierte Bundesanleihen
„Zentrales Selbstverteidigungsinstrument gegen Inflationspolitik geht verloren“
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Finanzminister Christian Linder stellt nach 17 Jahren die Emission von inflationsindexierten Anleihen (Linker) ein.

Finanzminister Christian Linder stellt nach 17 Jahren die Emission von inflationsindexierten Anleihen (Linker) ein. Foto: Imago Images / Marten Ronneburg

Noch vor wenigen Jahren sicherte der Bund den Ausbau und die Pflege des Segments inflationsindexierter Anleihen zu. Diese Zusage wurde nun überraschend zurückgenommen.

Bernhard Matthes von der BKC: Staat schleicht sich aus Verantwortung

Für Bernhard Matthes von der BKC wirft das Fragen zur Verlässlichkeit des Emittenten auf und sendet für viele Anleger ein fatales Signal.

Er erläutert: „Der Rückzug der Bundesrepublik aus einem international etablierten Rentensegment, setzt sich dem Verdacht aus, dass überhöhte Staatsausgaben künftig vorsätzlich durch Inflation teilfinanziert werden sollen. Solange inflationsindexierte Anleihen einen nennenswerten Anteil am Gesamtvolumen der Staatsschulden haben, geht davon eine disziplinierende Wirkung aus: Staaten werden zu ordnungsgemäßer Haushaltsführung ermutigt.

Zugang zu hochwertigem Inflationsschutz verteuert sich

Inflationsindexierte Anleihen gleichen ihrer Konstruktion nach einer „Kaskoversicherung mit Selbstbeteiligung" : Im Schadensfall trägt der "Verursacher" einen Teil der Kosten. Das führt zu stärker gleichgerichteten Interessen zwischen beiden Vertragsparteien. Fällt nun die „Selbstbeteiligung“ weg, ist ein anderes Risikoverhalten zu erwarten. Gerade nach dem erfolgten Schadensfall der Vorjahre – der seit 2021 spürbar erhöhten Verbraucherpreise als Folge einer von Staaten und Notenbanken „organisierten Inflation“ - drängt sich die Wahrnehmung auf, dass sich der Staat aus der Verantwortung schleicht und einen Teil der Folgekosten auf die Leidtragenden, die Investoren, abwälzt.

Bernhard Matthes leitet seit 2007 das Asset Management der Bank für Kirche und Caritas (BKC) in Paderborn und ist unter anderem verantwortlich für den Stiftungsfonds BKC Treuhand Portfolio.
Bernhard Matthes leitet seit 2007 das Asset Management der Bank für Kirche und Caritas (BKC) in Paderborn und ist unter anderem verantwortlich für den Stiftungsfonds BKC Treuhand Portfolio. © BKC

Anleger wie Stiftungen oder gemeinnützige Einrichtungen werden künftig eines wirksamen Instruments beraubt, das den realen Kapitalerhalt gewährleisten kann. Ein zentrales Selbstverteidigungsinstrument gegen die Inflationspolitik geht verloren. Damit entstehen direkte Schäden bei mildtätigen und gemeinnützigen Einrichtungen, deren Verbindlichkeiten stark inflationsreagibel sind und die sich auf der Anlageseite künftig schlechter vor der Geldentwertung schützen können. 

Bereits investierte Inhaber von Realzinsanleihen profitieren: Am Tag der Ankündigung verteuerten sich die ausstehenden Bundesanleihen deutlich. Sie werden künftig mit einer Knappheitsprämie versehen sein. Für neue Anleger hingegen verteuert sich der Zugang zu hochwertigem Inflationsschutz.“

Tobias Frei von Bantleon: Regierung kann sich Kapitalmarkt nicht entziehen

Damit hatte kaum jemand gerechnet, sagt Tobias Frei und erläutert: „Die Bundesrepublik Deutschland stellt nach 17 Jahren die Emission von inflationsindexierten Anleihen (Linker) ein. Tatsächlich kommt diese Entscheidung zu einem ungünstigen Zeitpunkt, sendet falsche Signale und ist kurzsichtig: Seit März 2022 emittiert die Deutsche Finanzagentur wieder Linker mit einer Breakeven-Rendite – dem Maß der von den Investoren erwarteten Inflationsrate – oberhalb des EZB-Inflationsziels von 2,0 Prozent.

 

Die Finanzmärkte sind gemessen an den langfristigen Inflationswartungen in ein Umfeld zurückgekehrt, das mit der Zeit vor der Finanzkrise von 2008 vergleichbar ist. Eine Fortführung von Linker-Emissionen würde mittelfristig die laufzeitgewichtete Breakeven-Rendite der vier ausstehenden Emissionen, welche bei 1,57 Prozent liegt, wieder in Richtung des EZB-Inflationsziels verschieben. Mit der Einstellung der Neuemissionen friert der Bund den Einstandssatz unterhalb des EZB-Inflationsziels ein.

Tobias Frei ist seit 2015 Senior Portfoliomanager bei Bantleon.
Tobias Frei ist seit 2015 Senior Portfoliomanager bei Bantleon. © Bantleon

Wenn die EZB erfolgreich ist und das Inflationsziel bis zur Rückzahlung des letzten deutschen Linkers im Jahr 2046 trifft, kostet dies den Bund ohne Einbeziehung von Zins und Zinseszins 2,7 Milliarden Euro. Verfehlt die EZB dagegen ihr Stabilitätsziel nach oben, wird es teurer. Eine Fortführung der Emissionen würde den durchschnittlichen Emissionssatz verbessern und einen kostengünstigeren Ausstieg ermöglichen.

Der Rückzug aus dem Linker-Markt zum aktuellen Zeitpunkt lässt vermuten, dass die Politik langfristig eine höhere Inflation als der Markt erwartet und die Emissionstätigkeit deshalb beendet, um noch größeren Schaden abzuwenden. Dieses Argument würde die EZB massiv bestreiten. Doch selbst wenn die Inflation langfristig aufgrund des demografischen Wandels, der Deglobalisierung, höherer staatlicher Defizite und der Dekarbonisierung der Wirtschaft oberhalb des aktuellen EZB-Stabilitätsziels liegen würde, hätte dies auch einen Anstieg der Nominalzinsen zur Folge.

Schuldenportfolio des Bundes

  • Bundesanleihen 63 Prozent
  • Bundesobligationen 14 Prozent
  • Bundesschatzanweisungen 8 Prozent
  • Unverzinsliche Schatzanweisungen 8 Prozent
  • Inflationsindexierte Bundeswertpapiere 4 Prozent
  • Grüne Wertpapiere 3 Prozent

Die Bundesrepublik Deutschland kann sich durch den Wechsel einer Finanzierungform dem Kapitalmarktumfeld also nicht entziehen. Bundesfinanzminister Christian Lindner eliminiert mit seiner Entscheidung ein Benchmark-Finanzierungsinstrument, welches der Notenbank wichtige marktbasierte Signale aufzeigt. Langfristige Inflationserwartungen wurden im Jahr 2022 anlässlich der EZB-Konferenz im portugiesischen Sintra nicht ohne Grund thematisiert.

Die Inflation in der Eurozone wird im Jahr 2024 gemäß unseren Prognosen auf dem EZB-Ziel von 2,0 Prozent liegen. Die EZB erwartet ihren im September 2023 vorgestellten Projektionen zufolge jedoch eine Inflationsrate von 3,2Prozent. Aller Voraussicht nach wird sie diese Prognose jedoch bereits im Dezember weiter nach unten revidieren müssen. Pfeiler unserer eigenen Prognose ist ein Rückgang der Nahrungsmittelpreise in der Eurozone von 5,5 Prozent in diesem Jahr auf rund 2,0 Prozent im kommenden Jahr.

Der Wachstumsbeitrag zur Gesamtinflationsrate wird sich damit von 1,9 Prozent-Punkten auf rund 0,2 Prozentpunkte verringern. Die EZB hat rückblickend offensichtlich zu spät auf den Inflationsanstieg reagiert. Inzwischen ist sie aber auf gutem Weg, durch entschlossenes Handeln das Vertrauen der Finanzmärkte zurückzugewinnen. Bereits 2024 dürfte das Inflationsziel wieder weitgehend eingehalten werden. Es gibt keinen Anlass, dies für die Zukunft infrage zu stellen.“

Holger Brauer von Nomura AM: Auswirkungen für Anleger sind gering

Die Entscheidung des Bundes deutet für Brauer, seit 2005 Senior Portfoliomanager bei Nomura Asset Management, auf die Stärken von inflationsgeschützten Anleihen hin. Für ihn sind folgende Punkte wichtig:

  • Eine höhere Inflation bedeutet höhere Kupons und höhere Rückzahlungskurse für den Anleger, damit auch höhere Kosten für den Bund als Emittenten.
  • Gerade unerwartete Inflationsüberraschungen, wie der Energiepreisschock oder der durch Corona verursachte Angebotspreisschock, zeigen den Vorteil dieser besonderen Anleihen: Sie kompensieren wie eine Versicherung die höheren Lebenshaltungskosten durch höhere Erträge, zumindest im mittelfristigen Trend. Das ist der große Vorteil und der große Unterschied zu den normalen nominalen Anleihen.
  • Aus derzeitiger Sicht geht der Inflationstrend zulasten des Emittenten, das Risiko höherer Finanzierungskosten sieht für den Bund tatsächlich nachteilig aus. Allerdings wird dabei unterschätzt, dass der Bund über höhere Steuereinnahmen eine natürliche Absicherung hat, das heißt, die höheren Zinsaufwendungen dürften durch inflationsbedingt höhere Steuereinnahmen im Großen und Ganzen ausgeglichen werden.
 
  • Für den Anleger sind die tatsächlichen Auswirkungen der Entscheidung der Finanzagentur, keine neuen inflationsgeschützten Anleihen mehr zu emittieren, gering.
  • In Europa stehen neben den weiter am Markt gehandelten, früher emittierten Bundesanleihen mit Frankreich, Spanien und Italien weitere große, liquide Emittenten zur Verfügung.
  • Die für Anleger besonders interessanten globalen Anlage- und Diversifikationschancen bleiben davon unberührt: Er kann von den abweichenden Inflationszyklen oder auch den kurzfristigen Bewertungsunterschieden zwischen der Eurozone und unter anderem Australien, den USA oder Großbritannien profitieren.
  • Aktiv gemanagte, inflationsindexierte Anleihen sollten deshalb in keinem Portfolio, das gegen Inflationsrisiko schützen soll, fehlen. Sie decken das Inflationsrisiko richtig ab und sind deshalb vorteilhafter als die ähnlich risikoarmen nominalen Staatsanleihen.

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