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Die Märkte auf kurz- bis mittelfristige Sicht „Insbesondere für Europa sind wir zuversichtlich“

Größtes Containerschiff der Welt bei der Einfahrt in den Hafen von Rotterdam

Größtes Containerschiff der Welt bei der Einfahrt in den Hafen von Rotterdam: Die Anleger erwarten, dass die Weltwirtschaft zunehmend an Stärke gewinnt. Foto: imago images / Pro Shots

Nadège Dufossé, Candriam

Frau Dufossé, die Märkte geraten derzeit wegen verschiedener Ereignisse unter Druck, geben aber nicht sonderlich stark nach. Wie lässt sich das erklären?

Nadège Dufossé: In der Tat war das Anlageumfeld zuletzt problematisch. Die Auswirkungen der Delta-Variante und die neuen regulatorischen Maßnahmen der chinesischen Regierung haben die Anleger beunruhigt. Zugleich sorgen sie sich um die Folgen der anhaltenden Beschränkungen auf der Angebotsseite durch die Arbeitskräfteverknappung und Probleme bei den Lieferketten. Dessen ungeachtet reagierten die Märkte jedoch ruhig; die Volatilität blieb relativ niedrig. Offenkundig sind die Marktteilnehmer in Bezug auf das Wachstum weiterhin zuversichtlich, das von wachstumsorientierten Haushaltsplänen und nach wie vor reichlich Liquidität getragen wird. Vor diesem Hintergrund sind die Rohstoffpreise nur leicht rückläufig, während sich der US-Dollar nach wie vor stark zeigt und die Anleiherenditen etwas angestiegen sind.

Noch zeigen sich die Anleger weitgehend unbeeindruckt, aber die Schwierigkeiten an den Märkten werden nicht kleiner, oder?

Dufossé: Die Konjunkturindikatoren drehten in den vergangenen Wochen etwas nach unten. Es ist offensichtlich, dass die Konjunkturabschwächung in China die Weltwirtschaft belastet. Die jüngsten regulatorischen Maßnahmen haben zwar die Finanzmärkte nicht wenig schockiert, doch der coronabedingte Lockdown des zweitgrößten Frachthafen Chinas und drittgrößten der Welt, an dem jedes Jahr 28 Millionen Standard-Container umgeschlagen werden, richtete global mehr Schaden an.

Darüber hinaus hat jüngst US-Finanzministerin Janet Yellen gewarnt: Ohne Erhöhung der US-Schuldenobergrenze droht eine Finanzkrise. Sollte der Kongress der Regierung nicht erlauben, noch mehr Schulden aufzunehmen, sind die USA zahlungsunfähig. Alle diese Faktoren führten in den Vereinigten Staaten und in China zu einem insgesamt schwächeren dritten Quartal als erwartet. Was die Lage nicht einfacher macht: Obwohl in den entwickelten Märkten die Impfkampagnen recht gut vorankommen, stehen für die Schwellenländer immer noch nicht ausreichend Impfstoffe zur Verfügung.

Aber warum spiegeln die Aktienkurse weltweit diese Eintrübungen des Bildes noch nicht?

Dufossé: Es dominiert die Zuversicht. Die Anleger erwarten, dass die Weltwirtschaft zunehmend an Stärke gewinnt. Der Optimismus basiert beispielsweise auf soliden Einkaufsmanagerindizes, auch wenn sich deren Dynamik zuletzt verlangsamt hat. Außerdem beginnen die Zentralbanken zwar damit, ihre Bereitschaft zur Verringerung der geldpolitischen Unterstützung zum Ausdruck zu bringen, doch sie werden sehr langsam in diese Richtung gehen. Sowohl die US-Notenbank als auch die Europäische Zentralbank weisen stets darauf hin, dass sie die Inflation als vorübergehend ansehen. Sie rechnen frühestens in 18 Monaten mit einer Zinserhöhung. Vor diesem Hintergrund bleibt die Volatilität bei den Währungen und Anleiherenditen vergleichsweise niedrig. Insbesondere der US-Aktienmarkt, aber auch Large-Caps und Wachstumsaktien rund um die Welt haben bisher von diesem Umfeld profitiert.

Welche Risiken sehen Sie?

Dufossé: Ein Risiko besteht darin, dass die Beschränkungen auf der Angebotsseite länger anhalten könnten als erwartet. Halten sich viele Arbeitnehmer mit ihrer Jobsuche weiterhin zurück, könnte das die weitere Entwicklung des Konsumsektors aufs Spiel setzen. Die Unternehmen drohen dann in eine unangenehme Lage zwischen einer höheren Inflation und geringeren Umsätzen zu geraten. Ebenso muss die Ausbreitung der Virusvarianten aufmerksam beobachtet werden: Obwohl die Impfstoffe offenbar auch gegen die aktuellen Varianten wirksam sind, könnte eine weitere Ausbreitung die konjunkturelle Entwicklung in den nächsten Monaten einschränken. Dies würde die langfristigen Renditen nach unten treiben.

Zu welchem Eindruck hinsichtlich der Märkte könnten die Anleger in diesem Fall kommen?

Dufossé: Ihre Zuversicht hinsichtlich eines bevorstehenden „Goldilocks“-Szenarios mit vorübergehender Inflation und einem soliden und dauerhaften Wirtschaftswachstum würde auf die Probe gestellt. Folglich müssen die Zentralbanken bei ihrer geplanten Reduzierung der geldpolitischen Unterstützung sehr vorsichtig vorgehen.

Mit welchen Erwartungen gehen Sie in die nächsten Wochen und Monate?

Dufossé: Wir glauben, dass das schwierige Umfeld in den nächsten Wochen anhält, die Belastungen letztlich aber vorübergehen. Auf sehr kurze Sicht könnte das Quartalsende zu einer gewissen Neupositionierung unseres Portfolios führen, nachdem wir Aktien im Zuge einer sehr guten Performance verkauft haben. Allerdings wird die Sitzung des Offenmarktausschusses der US-Notenbank am 22. September die Unsicherheit über das Mantra der Fed verstärken. Und natürlich bleibt die Situation in China schwierig, wo aktuell das Straucheln des mit 305 Milliarden US-Dollar verschuldeten Evergrande-Immobilienkonzerns für Ausverkaufspanik an der Hongkonger Börse sorgt und weltweit die Börsen in Mitleidenschaft zieht.

Insgesamt sind wir für die strukturelle Komponente des Wachstums allerdings zuversichtlich, insbesondere in Europa, weil hier die Pläne für einen nachhaltigen Wiederaufbau der Wirtschaft die konjunkturelle Dynamik in den kommenden Monaten verstärken dürften. Darüber hinaus könnte die Inflation auf relativ hohem Niveau verankert werden. Daher sind wir der Ansicht, dass die langfristigen Zinssätze steigen dürften, vor allem in den USA, wo die Haushaltspläne von Präsident Joe Biden erst noch umgesetzt werden müssen.

Wo sehen Sie Chancen am Markt?

Dufossé: Wenn die Markthistorie einen Anhaltspunkt bietet, dürften sich der Value-Sektor sowie europäische und japanische Aktien zukünftig besser entwickeln als US-Aktien. Wir gehen davon aus, dass die Small-Cap-Sektoren bei einem weiteren Wirtschaftsaufschwung in den kommenden Monaten aufholen könnten, da sie weiterhin hinter der Entwicklung von Large- und Mid-Caps zurückgeblieben sind.

Wir behalten zudem die gesellschaftlichen Veränderungen, wie das Streben nach einer grüneren und gerechteren Gesellschaft, aufmerksam im Blick. Dieser Megatrend wird dauerhafte Auswirkungen auf die Märkte, die Entscheidungen der Anleger und die Margen der Unternehmen haben, je nach ihrer Fähigkeit, sich an die neuen Spielregeln am Markt anzupassen.

Letzte Frage: Wie sieht Ihre derzeitige Multi-Asset-Strategie aus?

Dufossé: Über die nächsten Wochen wollen wir Aktien neutral gewichten, stehen aber bereit, um im Fall einer stärkeren Korrektur von Chancen zu profitieren. Im festverzinslichen Bereich bleiben wir bei Staatsanleihen untergewichtet, die vermutlich in den vergangenen Sommermonaten die Talsohle durchschritten haben. Dieses Umfeld dürfte dem Value-Sektor und Nicht-US-Aktien, insbesondere europäischen und japanischen Titeln, zugutekommen. Ansonsten sehen wir Chancen bei einzelnen Schwellenländern, vor allem bei chinesischen A-Aktien, die von neuen geldpolitischen Lockerungen profitieren könnten. Kaufgelegenheiten sehen wir ferner bei lateinamerikanischen Aktien, denen das Wiederanziehen der Konjunktur zugutekommen könnte. Aussichtsreich wirkt auf uns, wie schon erwähnt, auch der Small-Cap-Sektor, der in letzter Zeit wenig gefragt war.

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