Immobilienmarkt „Der Kapitalbedarf mit Blick auf ESG und Gebäudekonzepte ist gewaltig“

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„Der Kapitalbedarf mit Blick auf ESG und Gebäudekonzepte ist gewaltig“
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Thorsten Brogt (l.) von Engel & Völkers und Oliver Platt von Arcida Advisors „Aufgrund des Risikoprofils ist es wahrscheinlich, dass der Nicht-Bankensektor die Entwicklung eines NPL-Marktes noch einmal deutlich beschleunigen wird.“

Thorsten Brogt (l.) von Engel & Völkers und Oliver Platt von Arcida Advisors „Aufgrund des Risikoprofils ist es wahrscheinlich, dass der Nicht-Bankensektor die Entwicklung eines NPL-Marktes noch einmal deutlich beschleunigen wird.“ Foto: Engel & Völkers / Arcida Advisors

Nach Jahren des Wachstums, der Stabilität und der Rekordbewertungen sind auf den deutschen Immobilienmärkten dunkle Wolken aufgezogen. Immer wieder bestimmen Schlagzeilen über große deutsche Marktakteure in wirtschaftlicher Schieflage die Titelseiten. Der Immobilienmarkt kann sich einem deutlich veränderten Zinsniveau, den anziehenden ESG-Anforderungen und weiteren gesamtwirtschaftlichen Herausforderungen zunehmend schlechter erwehren.

Im Jahr 2022 ist das Transaktionsvolumen in vielen Teilmärkten bereits deutlich zurückgegangen. Käufer und Verkäufer müssten erst wieder zueinander finden, heißt es. Im Klartext bedeutet das: Die Käufer glauben vielerorts nicht an ein steigendes beziehungsweise an das zuletzt historisch hohe Preisniveau für zahlreiche Assetklassen.  

Die wenigen Transaktionen, die derzeit stattfinden, weisen Abschläge von bis zu 30 Prozent auf den ursprünglichen Angebotspreis aus Anfang 2022 auf. Durch mangelnde Transaktionen und einem zeitlichen Nachlauf der Gutachterausschüsse wurden die Buchwerte zum 31.12.22 noch nicht so stark nach unten angepasst wie erwartet. Doch spätestens Ende des Jahres 2023 wird das passieren müssen und dann werden die Covenants bei vielen Finanzierungen gebrochen. Hierdurch drohen vermehrt Notverkäufe, die durch das zusätzliche Angebot den Druck auf die Immobilienpreise erhöhen. Britische Gewerbeimmobilien haben schon im vergangenen Jahr 13 Prozent an Wert verloren, sagt CBRE.

Erhebliche realwirtschaftliche Risiken

Vor 15 Jahren stand das Weltfinanz- und Wirtschaftssystem am Rande des Abgrunds. Spekulationsgeschäfte mit amerikanischen Hauskrediten führten zu einer globalen Liquiditäts- und Vertrauenskrise zwischen den Banken. Heute stellen der Krieg in Europa, Inflation, steigende Zinsen, teure Energie, der Megatrend ESG und eine zunehmend komplexere Regulatorik den Immobilienmarkt vor besondere Herausforderungen. Anders ausgedrückt haben die aktuellen Risiken ihre Ursachen weniger in der spekulativen Übertreibung als in realwirtschaftlichen Entwicklungen.

 

 

 

Im Fokus steht dabei der zunehmende Druck auf die Mieter, nicht nur, aber insbesondere bei Gewerbeimmobilien. Denn die wirtschaftlichen Verwerfungen lassen deutliche Auswirkungen auf die Zahlungsfähigkeit erwarten. Entsprechend hat die Bundesvereinigung Kreditankauf und Servicing (BKS) bereits im November 2022 mitgeteilt, dass die Zahl der Insolvenzen in Deutschland steigen wird. Das zeigt sich bereits bei Großinsolvenzen ab 50 Millionen Euro Umsatz, deren Anzahl sich branchenübergreifend im dritten Quartal 2022 im Vergleich zum Vorjahresquartal verdoppelt hat. Anfang Januar 2023 teilte das Statistische Bundesamt mit, dass sich die Zahl der beantragten Regelinsolvenzen von November auf Dezember 2022 um 3,1 Prozent erhöhte. Im November 2022 betrug der Anstieg zum Vormonat lediglich 1,2 Prozent.

Das Non-Performing-Loan-Barometer (NPL) der BKS aus dem Sommer 2022 zeigt darüber hinaus: Im Bereich der Wohnimmobilienkredite rechnen 36 Prozent der befragten Risikomanager mit einem weiteren Anstieg der NPL-Bestände. Bei den gewerblichen Immobilienkrediten sind es sogar 47 Prozent.  Ein weiterer Frühindikator für Kreditausfälle sind Stage-2-Kredite, die nach IFRS 9 ein signifikant erhöhtes Risiko aufweisen. Ihr Anteil wuchs 2022 deutschlandweit im Vergleich zum Vorjahr laut Zahlen der European Banking Authority von 8,7 auf rund 10,4 Prozent und schreibt damit einen Aufwärtstrend fort.

Laut der aktuellen Erhebung des NPL-Barometers erwarten Risikomanager in den deutschen Kreditinstituten einen weiteren deutlichen Anstieg der NPL-Quote. Im Jahr 2023 könnte das NPL-Volumen auf 37,6 Milliarden Euro anwachsen. Für Ende 2024 wird bereits ein NPL-Volumen von 38,1 Milliarden Euro erwartet. Bei der NPL-Betrachtung bleibt es wichtig, den starken zeitlichen Verzug zu berücksichtigen. Häufig schlagen sich die realen Ereignisse erst Monate später in den Statistiken nieder.

Vor diesem Hintergrund erscheinen auch Indexmieten nicht zwingend als der Weisheit letzter Schluss. Selbst sicher erscheinende Assetklassen wie Betreiberimmobilien in der überwiegend staatlich garantierten Pflege haben in jüngster Zeit Federn gelassen. Die Insolvenzen von Pflegeheimbetreibern zeigen, dass multiple Preissteigerungen die Fähigkeiten des Mieters schnell überschreiten können.

Der Abschwung im Immobilienzyklus wird in der Branche zu einem Anstieg der Restrukturierungen sowie von Kreditausfällen und Insolvenzen führen.

Doch auch die Immobilienbranche selbst ist von den wirtschaftlichen Verwerfungen der vergangenen Monate betroffen. Besonders hart hat es Projektentwickler und Bauträger erwischt, die durch die Verknappung von Bauvorprodukten und Baumaterial mit Kostenexplosionen von bis zu 30 Prozent kalkulieren mussten. Gleichzeitig hat das Wirtschaftsministerium von heute auf morgen Förderungen gekappt, die einst einen Großteil der Entwicklermarge abdeckten. Verzögerungen durch zusätzliche knappe Ressourcen an Handwerkern und fehlenden Baumaterial führen oft zu Regressforderungen bei nicht rechtzeitiger Fertigstellung oder zu höheren Finanzierungskosten.