Immobilienmarkt „Der Kapitalbedarf mit Blick auf ESG und Gebäudekonzepte ist gewaltig“

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Auch wenn sich aktuell die Baupreise aufgrund der zurückgegangenen Nachfrage stabilisieren und mittlerweile die neuen Rahmenbedingungen für eine Förderung feststehen – zahlreiche Grundstücke oder Konversionsprojekte mit und ohne Baugenehmigung, aber auch Projekte – teilweise schon mit Bautätigkeit – stehen bereits zum Verkauf. Dazu gehören insbesondere Projekte, die zu spät, überteuert und mit hohem Leverage beziehungsweise entsprechend verzinsten Mezzanine-Tranchen finanziert sind.

Der Abschwung im Immobilienzyklus wird in der Branche zu einem Anstieg der Restrukturierungen sowie von Kreditausfällen und Insolvenzen führen. Dennoch ist dieser Abschwung nicht vergleichbar mit der Finanzkrise in den Jahren 2007 beziehungsweise 2008. Der Überhang an Immobilien ist geringer, der Leverage basierend auf konservativen Kreditstandards niedriger und Liquidität prinzipiell im Markt vorhanden

Risikofaktor Bestandsgebäude

Auch Bestandsbauten mit schlechter energetischer Substanz – also nicht ESG-konform – oder Büroimmobilien, die den modernen Büroanforderungen wie ausreichende Deckenhöhe für offene Bürolandschaften, Kühlung oder optimale digitale Vernetzung nicht mehr genügen, geraten ins Straucheln. Das Ergebnis: Stranded Assets – Ladenhüter, die sich entweder gar nicht oder nur unter starken Preisabschlägen verkaufen lassen.

 

 

 

Diese Herausforderungen machen deutlich: Der Kapitalbedarf mit Blick auf ESG-Konformität und zukunftsfähige Gebäudekonzepte ist gewaltig. Die Bewertungen haben diesen Aspekten aufgrund der Niedrigzinspolitik bislang kaum Rechnung getragen. Um die notwendigen Maßnahmen zu finanzieren, ist eine Korrektur der Kaufpreisfaktoren unumgänglich.

Banken und alternative Finanzierer stehen unter Druck

Die aufgezeigten Entwicklungen wirken sich auf den Wert der Kreditforderungen von Banken und alternativen Finanzierern aus. Zumindest im Bankensystem haben die Regulierungsinstanzen potenzielle Risiken erkannt und neue Rahmenwerke zum Umgang mit einer Verschlechterung der Kreditqualitäten geschaffen.

Im Zuge der Umsetzung des „Aktionsplans für den Abbau notleidender Kredite in Europa“ wurden neue Regelungen zur aufsichtsrechtlichen Letztsicherung für notleidende Risikopositionen – sogenannte NPL-Backstop – eingeführt. Diese Regelungen sehen eine Mindestdeckung notleidender Risikopositionen vor. Das Ziel: Den hohen Bestand an notleidenden Risikopositionen abzubauen beziehungsweise innerhalb einer bestimmten Frist vollständig durch eine Risikovorsorge abzudecken. Für den Fall, dass die getroffene Risikovorsorge die Mindestdeckungsanforderung unterschreitet, ist der Abzug des Differenzbetrags vom harten Kernkapital der Bank vorgesehen. Die anziehende Regulierung wird für mehr Dynamik im NPL-Markt sorgen und die Herausforderungen im Immobilienmarkt sichtbar machen.

Zusätzliche Risiken auf der Finanzierungsseite sind auch außerhalb der regulierten Bankenwelt entstanden. Die Vergabe unterschiedlicher Finanzierungen von Debt über Mezzanine bis Whole-Loan durch Nicht-Banken ist in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen. Zu den Kreditgebern gehören neben Versicherungen verschiedene Fonds. Diese Finanzierungen sind zwar für Investoren renditestärker, aber zugleich auch risikoreicher. Gerade diese Positionen sind in den offiziellen und zugänglichen Daten jedoch kaum oder gar nicht enthalten. Aufgrund des Risikoprofils ist es wahrscheinlich, dass der Nicht-Bankensektor die Entwicklung eines NPL-Marktes noch einmal deutlich beschleunigen wird. 

Keine Untergangsstimmung, aber eine Zeitenwende mit neuen Chancen

In der Gesamtbilanz lässt sich festhalten: Es gibt keinen Anlass für eine Weltuntergangsstimmung auf dem Immobilienmarkt. Eine deutliche Preiskorrektur für bestimmte Assets und Assetklassen und steigende Risiken durch leistungsgestörte Kredite sind jedoch bereits Realität. Projektentwickler und Investoren sowie Gläubiger und Schuldner müssen sich diesen Herausforderungen gleichermaßen stellen. Ohne signifikante Bewertungsabschläge und zusätzliche Liquidität haben viele Projekte keine Zukunft.

 

 

 

Off-Market werden bereits Objekte beziehungsweise leistungsgestörte Kredite mit erheblichen Preisabschlägen gehandelt. Insbesondere für professionelle Anleger bietet sich aktuell die Gelegenheit, antizyklisch zu investieren. Immobilienprojekte mit Potenzial können so zukunftssicher aufgestellt werden.  ESG-konformes Investieren ist dabei längst Pflicht und keine Kür mehr.  

Für potenzielle Anleger heißt das: Sie können kurz- bis mittelfristig nicht nur von direkten Immobilientransaktionen, sondern auch vom Erwerb leistungsgestörter Kredite profitieren. Zum einen direkt über den Erwerb und die Verwertung von Kreditforderungen. Zum anderen indirekt über ein aktives Management der Forderungen und Immobilien, die als Sicherheiten dienen. Die Zeitenwende auf dem Immobilienmarkt bietet eine Fülle an Chancen. Genau hinzuschauen bleibt jedoch bei jedem Investment die oberste Priorität.

Über die Autoren

Thorsten Brogt ist Mitglied der Geschäftsleitung bei Engel & Völkers Investment Consulting (EVIC) und für die Akquise neuer Transaktionsmandate sowie die Beratung von Bestandskunden bei der Restrukturierung und der Verwertung von Immobilien aus notleidenden Krediten und Kreditportfolios zuständig. Brogt verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Immobilien- und Private-Equity-Branche. Zu seinen beruflichen Stationen gehören neben EVIC der Asset-Manager Lapithus Management, wo er als Director Real Estate GRP (German Residential Platform) den Aufbau einer deutschlandweiten Investment- und Asset-Management-Plattform für Wohnportfolios im Value-Add-Bereich verantwortete. Weitere berufliche Stationen waren unter anderem Hudson Advisors und die Commerzbank.

Oliver Platt ist Managing Partner von Arcidia Advisors, einer inhabergeführten Beratungsplattform für leistungsgestörte Kredite und die Repositionierung von Immobilien. Als Partner der Anwaltskanzlei KUCERA ist er zudem Leiter der Praxisgruppe Real Estate, Finance & Transactions. Zuvor war Oliver Platt Gründungsmitglied und Carry Partner von Arminius Funds sowie deren General Counsel. Weitere berufliche Stationen führten ihn unter anderem zu Hudson Advisors, Deutsche Bank Real Estate Germany, Dechert, ING Real Estate Germany und Lovells in Frankfurt am Main.

 

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