Bilanz-Check Berenbergs Überschuss bricht 2022 ein – warum die Bilanz trotzdem solide bleibt

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Berenbergs Überschuss bricht 2022 ein – warum die Bilanz trotzdem solide bleibt
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Stefanie Hehn und Gösta Jamin

Stefanie Hehn und Gösta Jamin: Die Bilanz-Analysten des private banking magazins beleuchten diesmal die Situation bei der Berenberg Bank, die in den vergangenen Jahren sehr gute Ergebnisse erzielte. Foto: Gösta Jamin / Stefanie Hehn

Die Hamburger Berenberg Bank, zweitälteste Bank der Welt und zugleich älteste Bank Deutschlands, musste im abgelaufenen Geschäftsjahr 2022 eine Trendwende ihres Erfolgskurses der vier vorangegangenen fulminanten Geschäftsabschlüsse hinnehmen. Der Jahresüberschuss von 55,1 Millionen Euro im Berichtsjahr 2022 wurde dabei in einem besonders anspruchsvollen Marktumfeld erzielt. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, unsichere Energieversorgung, unterbrochene Lieferketten, Rekordinflation sowie die Zinswende belasteten einige Kerngeschäftsfelder Berenbergs spürbar – besonderes die provisionstragenden Dienstleistungen.

Das immer noch respektable Ergebnis der operativen Geschäftstätigkeit verdankt die norddeutsche Privatbank insbesondere ihrer weiterhin konsequenten strategischen Fokussierung auf rentable Kerngeschäftsfelder und einer schnellen und mutigen Anpassung der Geschäftsstrategie auf die disruptiven Veränderungen im abgelaufenen Börsenjahr. Allerdings musste das Institut bei der wichtigen Effizienzkennzahl, der Cost Income Ratio, im Vergleich zu dem sehr guten Vorjahreswert von 65,8 Prozent eine drastische Verschlechterung um 13,1 Prozentpunkte auf 79,0 Prozent im Jahresmittel hinnehmen.

Die Ergebnisse von Berenberg im Detail

In gewisser Weise war das Jahr 2022 für Berenberg bemerkenswert. Denn in der Historie Berenbergs gab es nur wenige Geschäftsjahre, in denen im Vergleich zum jeweiligen Vorjahr das Ergebnisses des operativen Geschäftes einbrach: In der jüngeren Vergangenheit waren dies die Jahresüberschüsse von 2017 und 2018 und davor das Ergebnis von 2014.

Der Rückgang des operativen Ergebnisses im aktuellen Berichtsjahr wirkt sich vor allem auf die zentralen finanzwirtschaftlichen Leistungsindikatoren wie die Aufwands-Ertrags-Relation und die Eigenkapitalrendite aus. Hervorzuheben ist die Cost Income Ratio, die von hervorragenden 65,8 Prozent in 2021 auf 79,0 Prozent anstieg. Dieser Anstieg ist für sich genommen sehr stark und damit eindeutig ein Ausdruck von Effizienzverlusten. Aber immerhin: Eigenen Angaben Berenbergs zufolge konnte die Kennzahl in der zweiten Hälfte des Berichtsjahres bereits aufgrund von eingeleiteten Kosteneinsparungen auf 70,0 Prozent in einen auskömmlichen Zielkorridor gerückt werden konnte. Das Niveau käme einer Verschlechterung von nur 4,2 Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahresniveau gleich.

 

Damit liegt die Cost-Income-Relation des Instituts im Branchenvergleich insgesamt auf einem akzeptablen Niveau. In puncto Eigenkapitalrendite vor Steuern war Berenberg mit eindrucksvollen 82,7 Prozent im Jahr 2021 noch Branchenprimus. Diesen Status muss Berenberg im Geschäftsjahr 2022 aufgeben: Die für 2022 erzielten 28,7 Prozent sind insbesondere vor dem Hintergrund der noch immer herausfordernden geldpolitischen wie regulatorischen Rahmenbedingungen jedoch äußerst lobenswert. Die Eigenkapitalrendite liegt damit etwa auf dem Niveau des Jahres 2019 sowie den jeweiligen Vorjahreswerten.

Zinsüberschuss gewinnt an Relevanz – Provisionen trotzdem treibend

Die Analyse der Ertragslage ergibt folgendes Bild: Haupttreiber der operativen Erträge Berenbergs war in 2022 nach wie vor der Provisionsüberschuss. Das unterstreicht, wie fokussiert die Bank auf dienstleistungsorientierte Geschäftsfelder ist. Dazu zählen vor allem die Verwaltung und Vermittlung im Wertpapiergeschäft und komplexe Beratungsdienstleistungen für Firmenkunden.

Das Verhältnis von Zins- zu Provisionsüberschuss (ohne Erträge aus Beteiligungen oder verbundenen Unternehmen) betrug dabei im Berichtsjahr 22:78. Das war im Vorjahr noch anders. Damals lag das Verhältnis bei 6:94 – was den Aufwind der Zinserträge an den Gesamterträgen verdeutlicht, der auf die Zinswende und damit das geänderte geldpolitische Umfeld zurückzuführen ist. Diese stärkere Ausrichtung auf Zinserträge verspricht auch für die kommenden Geschäftsjahre eine auskömmliche und nachhaltige Ertragslage, so dass die Weichen für die Zukunft richtig gestellt zu sein scheinen.

Konkret belief sich der für das Ergebnis weniger relevante Zinsüberschuss inklusive laufender Erträge aus Aktien und anderer nicht verzinslicher Wertpapiere in 2022 auf insgesamt 99,5 Millionen Euro. Damit ist der Überschuss gegenüber dem Vorjahreswert von 37,5 Millionen Euro um 265,3 Prozent gestiegen. Das verdankt das Institut – wie bereits angeführt – zum einen der Zinswende und zum anderen der hohen Bedeutung von Kundeneinlagen an der eigenen Bilanzstruktur. Der Anteil der Kundeneinlagen – also aus Sicht der Bank die Verbindlichkeiten gegenüber Kunden – an der Bilanzsumme beträgt in 2022 89,5 Prozent. Er fällt dabei noch höher aus als der Vorjahreswert von 85,9 Prozent und markiert zugleich den höchsten Wert in der jüngeren Vergangenheit Berenbergs.

Demgegenüber verzeichnete der Provisionsüberschuss im Geschäftsjahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr einen deutlichen Rückgang. Er sank vom Allzeithoch von 572,5 Millionen Euro um 37,1 Prozent auf 359,9 Millionen Euro. Dies war hauptsächlich auf reduzierte Geschäftsabschlüsse im anspruchsvollen Umfeld des Wertpapier- und ECM-Geschäfts sowie auf geringere Performance-Fee-Einnahmen aus dem Asset und Wealth Management zurückzuführen.

Provisionen im kundeninduzierten Wertpapiergeschäft gehen deutlich zurück

Insbesondere die Provisionen aus dem kundeninduzierten Wertpapiergeschäft, die den Großteil von etwa 65 Prozent des Gesamtprovisionsüberschusses ausmachen, verzeichneten einen deutlichen Rückgang um knapp 48 Prozent auf nur noch 232,6 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr. Die vereinnahmten Provisionen in 2022 aus der Fondsbetreuung in Höhe von 119,9 Millionen Euro – ein Anstieg von mehr als 36 Prozent im Vergleich zu 2021 – machen dabei etwa ein Drittel der gesamten Provisionen aus. Die Provisionserträge aus dem Kreditgeschäft beliefen sich auf 40,6 Millionen Euro (im Vorjahr 33,5 Millionen Euro), während die Erträge aus dem Research mit 30,9 Millionen Euro in etwa auf dem Vorjahresniveau lagen.

Ertragsgenerierend schlugen sich also vor allem die um 21,2 Prozent gestiegenen Kreditprovisionen und damit die Erfolge im Geschäftsfeld Corporate Banking in der Bilanz nieder. In 2022 hat das Institut um 22,9 Prozent höhere Forderungen gegenüber Kunden und damit vergebene Kredite (1.321 Millionen Euro in 2022 versus 1.075 Millionen Euro in 2021).

 

Erwähnenswert ist dabei ferner, dass das solide Geschäftsergebnis erneut ohne nennenswerte Sondereffekte erreicht werden konnte und einzig auf operative Werttreiber zurückzuführen ist. Denn auch wenn die Bilanzposition „Abschreibungen und Wertberichtigungen auf Forderungen und bestimmte Wertpapiere sowie Zuführungen und Rückstellungen im Kreditgeschäft“ aufgrund der konservativen Herangehensweise Berenbergs um 16,5 Millionen Euro in 2022 erhöht wurde, verzichtete das Institut gleichzeitig auf außerplanmäßige Abschreibungen gemäß § 253 Absatz 3 Satz 6 HGB in Höhe von insgesamt 14,1 Millionen Euro.

Aufsichtsrechtliche Anforderungen werden immer noch übererfüllt

Diese Wertberichtigungen hätten für Marktschwankungen und dabei hier vor allem für die Zinsanstiege, die während der Laufzeit bei festverzinslichen Papieren auftreten, aber zum Laufzeitende respektiv zum Durationszeitpunkt immunisiert sind, gebildet werden können. Der Verzicht auf also per Saldo nennenswerte Wertkorrekturen ist erwähnenswert, da viele andere Institute ihre Ergebnisse nur unter Nutzung von außerordentlichen Sondereffekten halten können.

Auch die Finanz- und Vermögenslage unterstreicht das positive und nachhaltige Bild. Sämtliche Kenngrößen wie die ausgewiesenen Eigenmittel, die darin enthaltene (harte) Kernkapitalquote oder die Gesamtkapitalquote gemäß CRR und SolvV übererfüllen signifikant die aufsichtsrechtlichen Anforderungen und untermauern die vorsichtige und konservative Unternehmensführung der Privatbank. 

Alle Kennziffern liegen etwa auf dem Vorjahresniveau und besonders die Kapitalausstattung gibt Spielraum für weiteres Wachstum der norddeutschen Privatbank. Die Liquidity Coverage Ratio, die regulatorisch das kurzfristige Liquiditätsrisiko abschätzt, sowie die strukturell orientierte Net Stable Funding Ratio, die besonders aufgrund der jüngsten Turbulenzen im Bankenmarkt stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist, fallen dabei im Berichtsjahr ebenfalls deutlich besser aus als es die Vorgaben verlangen. Die Bilanzsumme ist dabei von 2021 auf 2022 signifikant durch fällige Kundenverbindlichkeiten um 1,3 Milliarden Euro auf 7,7 Milliarden Euro angestiegen.

Breites Geschäftsmodell als Wettbewerbsvorteil gegenüber kleineren Privatbanken

Alles in allem scheint Berenberg eine sehr gute Ausgangssituation für eine weiter hohe und sogar steigende Profitabilität verknüpft mit organischen Wachstumschancen zu haben – allein schon aufgrund der breiten Aufstellung der Geschäftsfelder und damit einer hohen Diversifikation. Sie verspricht besonders gegenüber eher kleineren Privatbanken deutliche Skaleneffekte und einen komparativen Vorteil bei der Kosteneffizienz. Zudem bietet das breite Geschäftsfeld Möglichkeiten, am künftigen Wachstum einzelner Geschäftssegmente zu profitieren.

Des Weiteren ist nicht zu erwarten, dass sich in 2023 ein ähnlich drastischer Einbruch bei den Kapitalmarkttransaktionen wiederholt. Darüber hinaus unterstreicht das breite Spektrum verschiedener Geschäftssegmente sowie die regionale und insbesondere globale Diversifikation die Vorteile Berenbergs: als Beratungsunternehmen mit internationaler Ausrichtung verfügt das Haus bereits über Repräsentanzen in New York und in London. Für das Vereinigte Königreich ist dabei in 2023 die Anerkennung einer Niederlassung nach britischem Recht vorgesehen, was aufgrund der vermutlich weiterhin hohen Bedeutung des Finanzplatzes London eher als Chance denn als Risiko für Berenberg eingeschätzt werden kann. In 2023 wurden 86 Prozent der Provisionserträge im Inland (84 Prozent in 2022) generiert, während sogar 72 Prozent der sonstigen betrieblichen Erträge aus dem Inland stammten (59 Prozent in 2022), so dass die Fokussierung der Geschäftstätigkeiten auf Deutschland als angemessen gesehen werden kann.

 

Die Privatbank selbst glaubt dabei an die Tragfähigkeit ihres Geschäftsmodelles, das sich auf Dienstleistungen und Provisionen konzentriert. Sie erwartet steigende Bruttoerträge und plant weiteres organisches Wachstum. Aber: Die Zukunftsfähigkeit hängt von der Digitalisierung der Geschäftsprozesse, der Prozesseffizienz und der strategischen Ausrichtung an den mittel- und langfristigen Perspektiven der Kapitalmärkte ab. Die aktuellen Megatrends wie Klimawandel und Nachhaltigkeit spielen dabei eine Rolle. Die Bank plant, neue Geschäftsfelder zu erschließen, um dem technologischen Fortschritt und ESG-Trends gerecht zu werden. Gleichzeitig erwartet sie einen verstärkten Konsolidierungsdruck in der Branche und steigende regulatorische Anforderungen aufgrund der Bankenkrise.

Ausblick auf die weitere Geschäftsentwicklung

Für das kommende Berichtsjahr 2023 wird prognostiziert, dass die Investmentbanksparte sich verhalten positiv entwickeln wird. Im Wealth Management strebt Berenberg die Gewinnung weiterer Marktanteile an, um eine nachhaltig hohe Profitabilität zu gewährleisten. Das Unternehmen strebt an, im deutschen Wealth Management Markt die Qualitätsführerschaft zu erlangen. Zudem wird erwartet, dass der Wachstumskurs im Asset Management fortgesetzt wird.

Der Bereich Corporate Banking war 2022 bereits sehr erfolgreich – und dieser positive Trend wird sich voraussichtlich auch in 2023 fortsetzen. Durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit Volksbanken und Sparkassen wird erwartet, dass das Volumen weiterhin wächst. Bereits jetzt vertrauen einige Sparkassen und Volksbanken in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf Berenberg, wenn es um die Vermögensverwaltung ihrer Private-Banking-Kunden geht. Für deutsche Sparkassen kann Berenberg außerhalb des öffentlich-rechtlichen Sektors und für Volksbanken außerhalb des genossenschaftlichen Sektors ein bedeutender Kooperationspartner sein. Berenberg ist auch im Megatrend Nachhaltigkeit gut aufgestellt, insbesondere auf der Finanzierungsseite, mit Artikel 8- und Artikel 9-Fonds, die den nachhaltigkeitsbezogenen Offenlegungspflichten im Finanzsektor entsprechen. Es ist jedoch wichtig, dass die Performance entsprechend stimmt.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Berenberg trotz Herausforderungen und Einbußen im Geschäftsjahr 2022 ein respektables Ergebnis erzielen konnte. Die Bank hat sich erfolgreich auf rentable Kerngeschäftsfelder fokussiert, sich schnell an Veränderungen im Marktumfeld angepasst und ihre Ertragslage stabilisiert. Mit einer soliden Finanz- und Vermögenslage sowie Erfolgen im Corporate Banking ist Berenberg gut positioniert, um weiter zu wachsen und profitabel zu sein. Für das Geschäftsjahr 2023 wird eine positive Entwicklung in der Investmentbanksparte und im Wealth Management erwartet. Berenberg sieht die Tragfähigkeit des Geschäftsmodells trotz Konsolidierungsdruck und regulatorischer Anforderungen und plant, neue Geschäftsfelder zu erschließen, um den technologischen Fortschritt und ESG-Trends gerecht zu werden.


Über die Autoren:
Stefanie Hehn lehrt an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen als Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Corporate Finance & Kapitalmarkttheorie. Sie war von 2005 bis 2018 bei der Deutschen Bank tätig und bekleidete dort mehrere Führungspositionen im In- und Ausland. Zudem berät sie privatwirtschaftliche wie auch öffentliche Unternehmen bei finanzwirtschaftlichen Themen.

Gösta Jamin lehrt an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen als Professor für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre. Zudem begleitet er als Berater Banken, Fintechs und andere Finanzdienstleister bei Projekten der digitalen Transformation. 

 

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