Zwischen SFDR und Erlössteigerung Nachhaltigkeit bei Privatbanken – schon Pflicht oder noch Kür?

Von links nach rechts: Carsten Pohl, Stefanie Hehn und Gösta Jamin.

Von links nach rechts: Carsten Pohl, Stefanie Hehn und Gösta Jamin.

Aktuelle Forschungsergebnisse belegen: ESG-Performance von Unternehmen und Produkten nehmen spätestens seit der Covid-19-Pandemie einen deutlich höheren Stellenwert bei Anlageentscheidungen ein. Manchen Quellen – wie etwa die Global Sustainable Investment Alliance, der Bericht der UN PRI, aber auch Umfrageergebnisse großer Vermögensverwalter wie BlackRock, Morgan Stanley oder Natixis – zufolge zählt die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien in der Kapitalanlage bereits heute zu den mächtigsten Trends innerhalb der Investmentszene.

Die zunehmenden globalen wirtschaftlichen Herausforderungen und strengeren Regulierungen tragen ebenfalls hierzu bei. Nachhaltige Investmentinitiativen wie die „Net Zero Asset Managers“ erfreuen sich einer steigenden Nachfrage. Auch Privatbanken, Fondsgesellschaften sowie Vermögensverwalter bieten verstärkt Produkte mit verschärften Anlagekriterien in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance an. Sie sollen dem gestiegenen Interesse – seitens privater wie auch institutioneller Anleger – nach ethisch, ökologisch und sozial verantwortungsvollen Investments gerecht werden.

Dem Passiv-Trend auf Produktseite entgegenwirken

Dennoch stellt sich bei der Analyse von Geschäftsdaten wie den Geschäftsberichten und der Websites die Frage, ob Privatbanken eine proaktive und zugleich „nachhaltige“ Nachhaltigkeitsstrategie fahren und die sich bietende Chancen sinnvoll ausnutzen. Denn schließlich können die unternommenen Bestrebungen auch durchaus bloß eine Antwort auf regulatorische Notwendigkeiten und den Druck des Marktes darstellen. Ist Nachhaltigkeit für deutsche Privatbanken also eher Pflicht oder Kür?

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht lassen sich folgende Aspekte aufführen, die bei deutschen Privatbanken für eine konsequente Verfolgung einer Nachhaltigkeitsstrategie sprechen: Erstens bieten sich quantitative Wachstumschancen, an den steigenden Marktvolumina ESG-konformer Produkte und Dienstleistungen wie Green- und Sustainability-linked Bonds, Loans sowie ESG-konformer Investmentfonds zu profitieren. So lassen sich die verwalteten Assets under Management durch „grüne Anlagen“ deutlich steigern.

 

Zudem können eher komplexe, gemanagte ESG-Produkte auch hinsichtlich der Produktmargen interessante Chancen bieten: Grüne Anlagetrends offerieren die Möglichkeit, höhermargige, zumeist aktiv gemanagte Produkte zu vertreiben. So lässt sich vermeiden, dass immer mehr Gelder in niedrigmargige Tracking-ETFs abwandern – ein anderer Megatrend der 2010er Jahre. Für Privatbanken könnten so also unter diesen Gegebenheiten eine höhere Profitabilität im Anlagegeschäft erzielbar sein.

Entsprechend dient Nachhaltigkeit auch als qualitativer Wachstumstreiber, indem er für Privatbanken neue Geschäftschancen und weitere Einlagen bietet. Das ist wiederum ein Hebel für Wachstum beim verwalteten Vermögen sowie für Erlössteigerungen durch Höher-Margen-Produkte. Dafür spricht, dass es allein in Deutschland gemäß einer Erhebung des BVI bereits per Ende des vierten Quartals 2022 knapp 740 Investmentfonds – davon 604 Publikums- und 135 Spezialfonds – gibt, die ihre Assets mit Nachhaltigkeitsmerkmalen gemäß EU-Offenlegungsverordnung anlegen. Tendenz steigend.

Mehr Beratungsbedarf bei ESG-Produkten – Chance für das Private Banking

Gleichzeitig haben ESG-Produkte zumeist komplexere und vor allem individuelle Zieldimensionen. Das bedeutet im Umkehrschluss eine höhere Beratungsintensität. Durch diese Abstimmung von Investmentzielen mit den persönlichen Werten des Kunden kann das Modell der persönlichen Kundenberatung weiteren Aufwind erfahren. Die Beratungsleistung und die -qualität wird in diesem Szenario neben verschärften Reporting- und Compliance-Vorschriften wichtiger. Darin schlummert ein weiteres Potenzial für mehr persönlichen Kundenkontakt, welcher hinsichtlich Vertrauen und Bindung ein Game Changer werden könnte.           

Auf der Hand liegt, zunächst unabhängig von der Ausrichtung der jeweiligen Geschäftsstrategie und den Kerngeschäftsfeldern, dass nachhaltige und ressourcensparende Geschäftsprozesse, unmittelbare Effizienzvorteile versprechen. Das gilt für Banken ähnlich wie für Unternehmen in anderen Branchen. Klar wird das bei Maßnahmen wie die Umstellung von Geschäftsreisen auf Videokonferenzen sowie der Schonung von Ressourcen in der gesamten Organisation, beispielsweise durch den Einsatz von weniger Papier, die Reduzierung von Müll oder flexiblere Arbeitsmodelle.

 

Auch die Nutzung erneuerbarer Energien und die Erzeugung von Solarstrom mit eigenen Anlagen oder klimaneutrale Heiz- und Kühlsysteme können positive Effekte haben und bieten. Nicht zuletzt könnte auch die Mitarbeiterzufriedenheit durch Zusatzleistungen wie E-Bikes, günstige Lademöglichkeiten für E-Autos auf dem Bankparkplatz oder ein kostenloses Deutschlandticket gesteigert werden. Zudem wird der Arbeitsplatz eines Bankberaters vielseitiger und interessanter, fungiert er künftig doch zusätzlich zu seinen normalen Beratungsaufgaben als Change Agent in der Nachhaltigkeitstransformation.

Andererseits führt der deutliche Ausbau von ESG-Kapazitäten zwangsläufig zu höheren Kosten in der Kundenberatung und dem Asset Management. Das spricht auf den ersten Blick ökonomisch gegen ein stärker als regulatorisch gefordertes ESG-Commitment. So werden beispielsweise die Ausgaben für das Research steigen, insbesondere da ESG-Vorgaben zunehmend umfangreicher und komplexer werden. Auch in der IT sind Mehrausgaben zu erwarten, zum Beispiel für Datenmanagement, Überwachung und Reporting.

Motivation der Privatbankenkunden bleibt ungewiss

Da die EU-Taxonomie noch nicht final ausgearbeitet ist, müssen die technischen Anforderungen in der Real- und Finanzwirtschaft kontinuierlich angepasst und weiterentwickelt werden. Auch die weitere Konzentration bei den ESG-Datenlieferanten wird voraussichtlich zu steigenden Kosten führen. Das stützt die vorgenannte These, dass Margen und schließlich Erträge „grüner“ Produkte und Dienstleistungen aus Bankensicht steigen müssen. Steigende Analyse-, Beratungs- und Marketingaufwendungen müssen bepreist und entgolten werden.

Aus volkswirtschaftlicher, übergeordneter Perspektive ist die Lenkungsfunktion des Kapitals ein weiteres, häufig angeführtes Pro-Argument für „grüne“ Finanzprodukte. Fraglich ist jedoch, ob diese Motivation auch bei Anlageentscheidungen in der Klientel deutscher Privatbanken Berücksichtigung findet. Schließlich könnte eine Nachhaltigkeitsorientierung auch eher im Zusammenhang mit dem sogenannten Mental Frame der Kunden stehen. Demzufolge beziehen vor allem diejenigen Personen, die in anderen Lebensbereichen etwa Bio- und Fair-Trade-Produkte kaufen und sich ohnehin aktiv mit Nachhaltigkeitsaspekten auseinandersetzen, auch in Finanzfragen Nachhaltigkeitsinformationen in ihre Anlageentscheidung ein.

 

Eine bereits bestehende Nachhaltigkeitsorientierung hat dann einen positiven Einfluss auf die nachhaltige Geldanlage, wird aber nicht durch diese bedingt. Genau diese Kundengruppen gezielt anzusprechen, würde zum einen eine große Erfolgswahrscheinlichkeit beim Vertrieb nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen in sich bergen und gegebenenfalls neue Kundensegmente für Privatbanken erschließen. Nur: Eine derart fokussierte Ansprache ist bis dato noch nicht klar erkennbar. Dies wäre eine Kür. Nur so können Banken den gut informierten, nachhaltigkeitsorientierten Anlagekunden einen zusätzlichen Nutzen in Form einer doppelten Dividende bieten: neben der finanziellen Rendite ebenso die konsequente Lenkung von Anlagegeldern in nachhaltige Verwendungen.        

Auch wenn die Politik mit der Regulierung bei der Transformation hin zu einer nachhaltigeren Gesellschaft klar auf die Lenkungsfunktion des Kapitalmarkts setzt: Der aktuelle Umgang mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Breite der Privatbankenbranche erscheint eher als notwendige Erfüllung von regulatorischen Vorgaben wie der EU-Taxonomie oder Mifid III und als Strategie zur Risikoabwehr und damit eine Pflichtaufgabe zu sein. Wie an prominenten Beispielen in der Finanzbranche erkennbar ist, können Fehler bei der Anpassung der Investmentprozesse, der Verdacht von Greenwashing oder gar die Nichteinhaltung von Vorgaben schnell zu großen Reputationsschäden und finanziellen Einbußen führen.

Nachhaltigkeitsranking können Unsicherheiten nicht beseitigen

Werden sie sinnvoll eingesetzt, können ESG-Anlagen jedoch mehr als eine leidige Pflicht darstellen. Nachhaltigkeit – ganzheitlich verstanden – kann dann einen Beitrag zur deutlichen Skalierung der Geschäftsmodelle der Banken leisten. ESG könnte als starker Werttreiber dienen, dessen wirtschaftlicher Wert an den Kapitalmarkt und die Kunden transparent und glaubhaft kommuniziert und bepreist wird. Fehlende Reporting-Standards erschweren dies derzeit noch: Angaben zu Zielen und Erfolgen im Nachhaltigkeitsbereich sind heterogen, ein Goldstandard fehlt noch. Entsprechend sind diese für Investoren nur schwer verständlich und zum Teil leider wenig verlässlich.

Nachhaltigkeitsratings lindern das Problem etwas, allerdings ist noch nicht bewiesen, dass auf deren Grundlage eine umfassende und verlässliche Bewertung erfolgen kann. Daher hat eine Einstufung als Investment Grade durch traditionelle Ratingagenturen am Kapitalmarkt derzeit deutlich mehr Gewicht. Viele börsennotierte Unternehmen orientieren ihr ESG-Reporting an der sogenannten Global-Reporting-Initiative. Für Investoren ist diese nicht-finanzielle Berichterstattung aber kein präziser Kompass – eher eine Schatzkarte, die auf der Suche nach wertvollen Informationen mögliche Wege weist.

 

Fortschritte versprechen internationale Standards, wie sie das neugegründete International Sustainability Standards Board (ISSB) vorsieht. Bis dahin bleibt es vor allem die Aufgabe von Investor-Relations-Abteilungen der einzelnen Institute, den Kapitalmarkt sicher durch die überbordenden Nachhaltigkeitsangaben zu navigieren. Außerdem brauchen Kapitalmarktteilnehmer schlüssige Erklärungen, warum ein Produkt oder eine Dienstleistung als ESG-konform eingestuft wird. Nachhaltigkeitsberichterstattung und Ratings sind zurzeit (noch) mit hoher Unsicherheit bezüglich Glaubwürdigkeit der Aussagen belastet.

Als Informationsquelle für die Nachhaltigkeitsinformationen für aggregiertere Informationen böte sich der Jahresabschluss an. Er ist die am zweithäufigsten verwendete und die glaubwürdigste Quelle, da auditiert. Zudem könnte eine Kurzzusammenfassung der Nachhaltigkeitsinformationen in der Kurzbeschreibung des Unternehmens und damit im Factsheet sinnvoll sein. Denn es ist mehr als fraglich, ob die aktuelle Nachhaltigkeitsberichterstattung überhaupt den Bedürfnissen der nicht-professionellen Anleger gerecht wird. Tendenziell bevorzugen nicht-professionelle Anleger eher Charts oder Kursverläufe, Factsheets und den jeweiligen Jahresabschluss.

Überlegung fürs Portfolio: Weniger „Performer“, mehr „Improver“

Es dürfte der Transparenz und Glaubwürdigkeit dienen, wenn bei der Einstufung der Anlageprodukte, vor allem von Investmentfonds, die SFDR-Kategorien transparent ausgewiesen wären. Bis dato wird in den Geschäftsberichten und den Websites der Privatbanken davon nur sehr spärlich Gebrauch gemacht. Die Geschäftsberichte sind hinsichtlich der Thematik der Nachhaltigkeit auch eher knappgehalten und die Formulierungen ähneln sich in der Branche doch sehr stark.

Und die ESG-Anlagestrategien? Die könnten gut weiterentwickelt werden, indem sie neben oder alternativ zur „Performer“-Dimension stärker auf die „Improver“-Dimension bei der Auswahl von Zielunternehmen setzen. Dazu eine kleine Erläuterung: Das übliche Vorgehen und damit Ausschlusskriterien anzuwenden oder Best-in-Class-Unternehmen einer Branche auszuwählen ist letztlich ein „Performer“-Ansatz. Das heißt: Man investiert in Unternehmen, die bereits heute eine gute ESG-Performance haben. Ein viel größeres Potenzial für die Nachhaltigkeitstransformation der Welt-Ökonomie liegt ja aber darin, potenzielle „Improver“ zu identifizieren, die ihre Nachhaltigkeitsperformance entweder in der Vergangenheit schon verbessert haben oder noch ein großes Potenzial für künftige Verbesserungen haben.

 

Beispiel: Die Modernisierung von Kohlekraftwerken in Schwellenländern könnte eine technisch und ökonomisch leicht umsetzbare Maßnahme mit immens großer Klimawirkung sein, selbst wenn damit (noch) keine Klimaneutralität erreicht wird. Allerdings dürfen viele ESG-Fonds als Ausschlusskriterium nicht in Unternehmen investieren, die ihr Geld mit Energieerzeugung aus Kohle verdienen. Hier könnten auch Ansätze des Active Ownership, das heißt der aktiven Ausübung von Mitbestimmungsrechen als Aktionär, künftig eine (noch) größere Rolle spielen.

Die Branche der Banken insgesamt und der Privatbanken im Besonderen befindet sich auf einem guten Weg, das Thema Nachhaltigkeit im Sinne einer Pflichtübung umzusetzen. Eine bloße Umsetzung im Sinne der Erfüllung regulatorischer Anforderungen wäre jedoch zu kurz gesprungen. Nachhaltigkeit als Kür, indem sie zur zentralen Säule der Positionierung, Strategie und Wertschöpfungsprozesse eines Instituts gemacht wird, bietet große Chancen für ökonomischen Erfolg für die einzelnen Institute und für die Branche insgesamt die Möglichkeit, zum wichtigen Transmissionsriemen für die Nachhaltigkeitstransformation der Wirtschaft zu werden.


Über die Gastautoren:
Die Autorin Stefanie Hehn ist Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen und ist auf Corporate Finance und Kapitalmarkttheorie spezialisiert. Bis 2018 war sie für die Deutsche Bank tätig.

Der Autor Gösta Jamin lehrt an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen als
Professor für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre. Zudem begleitet er als Berater Banken und Finanzdienstleister bei der digitalen Transformation.

Der Autor Carsten Pohl ist Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen und lehrt und forscht zu quantitativen Daten und SAP-S/4HANA-Anwendungen im Finanzwesen. Zuvor war er bei SAP, Schering und Bayer beschäftigt.

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