Martin Rohm von der ALH-Gruppe „In der Kapitalanlage brauchen wir keine Egoshooter“

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Martin Rohm von der ALH-Gruppe
„In der Kapitalanlage brauchen wir keine Egoshooter“
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Martin Rohm von der ALH Gruppe

Martin Rohm von der ALH Gruppe: „Wenn der Regulator möchte, dass die Versicherungsbranche verstärkt in Infrastruktur investiert, wäre es selbstverständlich hilfreich, die Eigenkapitalanforderungen dementsprechend anzupassen.“ Foto: ALH Gruppe

private banking magazin: Herr Rohm, 2022 war sehr fordernd, 2023 bleibt spannend. Wie haben Sie die vergangenen Monate erlebt und welchen Einfluss haben diese auf ihr tägliche Arbeit?

Martin Rohm: Das Jahr 2022 war – insbesondere aufgrund der geopolitischen Ereignisse und der Inflations- und Zinsentwicklung – sehr herausfordernd. Ich bin seit Mitte der 90er Jahre in der Verantwortung in der ich heute bin und habe das so noch nicht erlebt. Der Zinsrückgang hat uns über einen Zeitraum von rund zehn Jahren begleitet. Die letzten fünf bis sechs Jahre Zinsrückgang haben wir jetzt in einem Jahr wieder aufgeholt. Das war eine große Herausforderung, die auf der anderen Seite nun auch Chancen für uns bietet.

Welche meinen Sie konkret?

Rohm: Als Lebens- und Krankenversicherung, als institutioneller Investor, bieten sich uns nun ganz neue Möglichkeiten, Anlagen oberhalb unseres Garantiezinses zu tätigen und unsere über die Jahre stetig gesunkenen Verzinsungszahlen in den kommenden Jahren sukzessive und kontinuierlich nach oben zu bringen. Auf dem Papier hat die Zinswende für uns im wahrsten Sinne des Wortes für Lasten gesorgt, aber die Möglichkeiten überwiegen in unseren Augen.

Wie sehen Sie sich derzeit aufgestellt?

Rohm: Wir sind gut aufgestellt für die zukünftigen Herausforderungen, weil wir unsere Hausaufgaben machen. Bereits 2016 haben wir gesehen, dass der Zins zunächst niedrig bleiben und sogar weiter sinken wird, weshalb wir eine relativ grundlegende Veränderung unserer Allokation beschlossen haben. Wie viele Versicherer waren wir damals zu rund 90 Prozent in Fixed Income investiert, die übrigen Anlagen waren Immobilien und Aktien. 2016 haben wir entschieden, dass wir über einen Zeitraum von mehreren Jahren diese Quote deutlich reduzieren wollen, und zwar zugunsten von Private Markets – vorrangig Infrastruktur-Investitionen im Equity und im Debt-Bereich. Zudem haben wir unser Engagement im Immobilienbereich ausgebaut.

Was ist Ihre derzeitige Zielquote in Fixed Income?

Rohm: Wir wollen uns in einer Spanne zwischen 70 und 75 Prozent bewegen. 2016 hatten wir eine Zielquote von 70 Prozent. Allerdings lag da das Zinsniveau bei einem Prozent. Bei einem Zehn-Jahres-Swap-Satz von rund 3 Prozent im aktuellen Umfeld bieten sich wieder andere Anlagemöglichkeiten – auch immer bezogen auf unsere Passivseite und das Asset Liability Management. Dennoch weichen wir jetzt nicht in erheblichem Umfang von unserer Zielallokation ab, die wir uns für 2025/2026 vorgenommen haben. Im Jahr 2022 haben wir bei klassischem Fixed Income bereits einen Wert von unter 80 Prozent erreicht.

 

 

 

Bei Aktien und Private Equity streben wir zukünftig zwischen 7 und 8 Prozent an, Immobilien in ähnlicher Größenordnung. Bei alternativen Anlagen - einer Klasse, die wir 2016 angefangen haben langsam aufzubauen, und die bei uns in erster Linie Investitionen in Infrastruktur umfasst – liegen wir aktuell bei 9 Prozent. Wir können sehr erstrebenswerte Renditen in diesem Bereich erwirtschaften, deshalb wollen wir ihn noch etwas ausbauen.

Welche Zahl ist das Ziel?

Rohm: Leicht höher als die benannten 9 Prozent. Aber der Markt hat sich auch hier durch die Zinswende stark verändert. Es ist ähnlich wie im Immobilienbereich, bei dem ein der Situation Rechnung tragendes Preisniveau gefunden werden muss. Damit meine ich, dass der Markt sich erst einmal wieder finden muss. Vor zwei Jahren war eine Infrastructure-Equity-Investition mit einer Renditeerwartung von 5,5 Prozent attraktiv, das ist sie jetzt nicht mehr. Unter 7 bis 7,5 Prozent Renditeerwartung schauen wir uns Infra-Equity derzeit gar nicht mehr an. Die Verkäufer sehen das noch anders. Investoren und Verkäufer sind momentan in einer Findungsphase.

Wie schaut es bei Ihnen mit Quoten aus?

Rohm: Solvency II hat die Anlageverordnung aufgebrochen. Wir haben keine Höchstquote bei Infrastruktur oder Aktien. Unser Job ist es, die Anlagen zu verstehen und sie bewerten zu können. Zudem müssen sie zu unserer Passiv-Seite passen und wir müssen unsere Liquidität im Augen behalten. Die Prämie beispielsweise bei Infrastruktur wird ja nicht nur für Kreditrisiken bezahlt, sondern auch für die Illiquidität. In unserer Kapitalanlage muss jedoch zu jedem Zeitpunkt genügend Liquidität vorhanden sein. Die Zinswende ist dabei eine neue Herausforderung, weil durch diese im Fixed Income-Bereich Bewertungslasten entstanden sind.

Sie sagen erstrangig Infrastruktur – nur in Deutschland oder breiter streuen?

Rohm: Der Markt wäre zu eng und zu klein, würden wir nur in Deutschland investieren. Privates Kapital hat sich hierzulande ja auch erst in den vergangenen Jahren bei Infrastruktur etabliert – auch, das ist zumindest mein Eindruck, weil die Politik das als nötig anerkennt. Wir schauen europaweit, haben Investitionen in Frankreich, Spanien, Portugal und den skandinavischen Ländern, weil das teilweise reifere Märkte sind. Über den Atlantik in die USA gehen wir nicht, auch weil dann die Währung ein Thema wird, und wir wollen uns im Bereich Infrastruktur keine Währungsrisiken einkaufen. Zudem muss man sich gerade bei Infrastruktur auch die regulatorischen Rahmenbedingungen sehr genau ansehen. In Europa sind diese von Land zu Land nicht gleich, aber relativ ähnlich.

Die Regulatorik in den USA ist sehr viel einheitlicher und die Auslegung – unter anderem was ESG angeht – nicht so streng. Durch Investments könnte sich auch gegen Währungsrisiken abgesichert werden. Zudem nimmt die Biden-Regierung viel Geld in die Hand, das alles wirkt doch verlockend…

Rohm: In einem Punkt gebe ich Ihnen recht. Die Sicht auf nachhaltige Investitionen hat sich in den USA verändert. Vor Biden war das kein Thema. Aber selbst, wenn wir in den USA investieren würden, müssten wir, um diese Investitionen hier als nachhaltig ausweisen zu können, ja trotzdem die gleichen Daten und Informationen einholen, die wir brauchen, wenn wir in Europa investieren. Nur weil in den USA andere regulatorische Rahmenbedingungen gelten, heißt das ja nicht, dass wir hier benötigte Informationen nicht liefern müssen.

 

 

 

In Europa ist es kompliziert, alle geforderten Daten zu bekommen. Ich vermute aber, dass es in den USA noch komplizierter ist. Mir zumindest reicht die Komplexität in Europa, zumal sich das Regelwerk in einem dynamischen Prozess befindet. Was ist nachhaltig? Welche Daten brauche ich? Da gibt es noch keinen festen Rahmen, das macht es ungemein schwierig. Unser Haus hat einen hohen dreistelligen Millionenbetrag in erneuerbare Energien investiert. Diese aber als nachhaltige Investments auszuweisen, ist nicht einfach.

Woran hakt es?

Rohm: Die Projektgesellschaften, in denen beispielsweise Windanlagen gehalten werden, sind oft so klein, dass sie nicht verpflichtet werden können, Daten zu liefern. Das ist frustrierend. Das hat zur Folge, dass wir diese Investments derzeit nicht als nachhaltige Investitionen ausweisen.   Ich möchte nicht hinterher Greenwashing-Vorwürfen ausgesetzt sein.

Können Sie als großer Geldgeber den kleinen Projektgesellschaften nicht helfen, oder auf der anderen Seite Druck aufbauen, oder nur in solche investieren, die Daten zusagen?

Rohm: Natürlich haben wir als institutioneller Investor die Möglichkeit, einen gewissen Druck auf die Projektgesellschaften auszuüben. Die Bereitschaft, Daten zu liefern, wird auch zunehmend größer. Aber das ist eben kein Selbstläufer, sondern mit erheblichem Aufwand verbunden. Das bindet große Personal- und IT-Ressourcen.