Martin Rohm von der ALH-Gruppe „In der Kapitalanlage brauchen wir keine Egoshooter“

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Martin Rohm von der ALH-Gruppe
„In der Kapitalanlage brauchen wir keine Egoshooter“
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Martin Rohm von der ALH Gruppe

Martin Rohm von der ALH Gruppe: „Wenn der Regulator möchte, dass die Versicherungsbranche verstärkt in Infrastruktur investiert, wäre es selbstverständlich hilfreich, die Eigenkapitalanforderungen dementsprechend anzupassen.“ Foto: ALH Gruppe

private banking magazin: Herr Rohm, 2022 war sehr fordernd, 2023 bleibt spannend. Wie haben Sie die vergangenen Monate erlebt und welchen Einfluss haben diese auf ihr tägliche Arbeit?

Martin Rohm: Das Jahr 2022 war – insbesondere aufgrund der geopolitischen Ereignisse und der Inflations- und Zinsentwicklung – sehr herausfordernd. Ich bin seit Mitte der 90er Jahre in der Verantwortung in der ich heute bin und habe das so noch nicht erlebt. Der Zinsrückgang hat uns über einen Zeitraum von rund zehn Jahren begleitet. Die letzten fünf bis sechs Jahre Zinsrückgang haben wir jetzt in einem Jahr wieder aufgeholt. Das war eine große Herausforderung, die auf der anderen Seite nun auch Chancen für uns bietet.

Welche meinen Sie konkret?

Rohm: Als Lebens- und Krankenversicherung, als institutioneller Investor, bieten sich uns nun ganz neue Möglichkeiten, Anlagen oberhalb unseres Garantiezinses zu tätigen und unsere über die Jahre stetig gesunkenen Verzinsungszahlen in den kommenden Jahren sukzessive und kontinuierlich nach oben zu bringen. Auf dem Papier hat die Zinswende für uns im wahrsten Sinne des Wortes für Lasten gesorgt, aber die Möglichkeiten überwiegen in unseren Augen.

Wie sehen Sie sich derzeit aufgestellt?

Rohm: Wir sind gut aufgestellt für die zukünftigen Herausforderungen, weil wir unsere Hausaufgaben machen. Bereits 2016 haben wir gesehen, dass der Zins zunächst niedrig bleiben und sogar weiter sinken wird, weshalb wir eine relativ grundlegende Veränderung unserer Allokation beschlossen haben. Wie viele Versicherer waren wir damals zu rund 90 Prozent in Fixed Income investiert, die übrigen Anlagen waren Immobilien und Aktien. 2016 haben wir entschieden, dass wir über einen Zeitraum von mehreren Jahren diese Quote deutlich reduzieren wollen, und zwar zugunsten von Private Markets – vorrangig Infrastruktur-Investitionen im Equity und im Debt-Bereich. Zudem haben wir unser Engagement im Immobilienbereich ausgebaut.

Was ist Ihre derzeitige Zielquote in Fixed Income?

Rohm: Wir wollen uns in einer Spanne zwischen 70 und 75 Prozent bewegen. 2016 hatten wir eine Zielquote von 70 Prozent. Allerdings lag da das Zinsniveau bei einem Prozent. Bei einem Zehn-Jahres-Swap-Satz von rund 3 Prozent im aktuellen Umfeld bieten sich wieder andere Anlagemöglichkeiten – auch immer bezogen auf unsere Passivseite und das Asset Liability Management. Dennoch weichen wir jetzt nicht in erheblichem Umfang von unserer Zielallokation ab, die wir uns für 2025/2026 vorgenommen haben. Im Jahr 2022 haben wir bei klassischem Fixed Income bereits einen Wert von unter 80 Prozent erreicht.

 

 

 

Bei Aktien und Private Equity streben wir zukünftig zwischen 7 und 8 Prozent an, Immobilien in ähnlicher Größenordnung. Bei alternativen Anlagen - einer Klasse, die wir 2016 angefangen haben langsam aufzubauen, und die bei uns in erster Linie Investitionen in Infrastruktur umfasst – liegen wir aktuell bei 9 Prozent. Wir können sehr erstrebenswerte Renditen in diesem Bereich erwirtschaften, deshalb wollen wir ihn noch etwas ausbauen.

Welche Zahl ist das Ziel?

Rohm: Leicht höher als die benannten 9 Prozent. Aber der Markt hat sich auch hier durch die Zinswende stark verändert. Es ist ähnlich wie im Immobilienbereich, bei dem ein der Situation Rechnung tragendes Preisniveau gefunden werden muss. Damit meine ich, dass der Markt sich erst einmal wieder finden muss. Vor zwei Jahren war eine Infrastructure-Equity-Investition mit einer Renditeerwartung von 5,5 Prozent attraktiv, das ist sie jetzt nicht mehr. Unter 7 bis 7,5 Prozent Renditeerwartung schauen wir uns Infra-Equity derzeit gar nicht mehr an. Die Verkäufer sehen das noch anders. Investoren und Verkäufer sind momentan in einer Findungsphase.

Wie schaut es bei Ihnen mit Quoten aus?

Rohm: Solvency II hat die Anlageverordnung aufgebrochen. Wir haben keine Höchstquote bei Infrastruktur oder Aktien. Unser Job ist es, die Anlagen zu verstehen und sie bewerten zu können. Zudem müssen sie zu unserer Passiv-Seite passen und wir müssen unsere Liquidität im Augen behalten. Die Prämie beispielsweise bei Infrastruktur wird ja nicht nur für Kreditrisiken bezahlt, sondern auch für die Illiquidität. In unserer Kapitalanlage muss jedoch zu jedem Zeitpunkt genügend Liquidität vorhanden sein. Die Zinswende ist dabei eine neue Herausforderung, weil durch diese im Fixed Income-Bereich Bewertungslasten entstanden sind.

Sie sagen erstrangig Infrastruktur – nur in Deutschland oder breiter streuen?

Rohm: Der Markt wäre zu eng und zu klein, würden wir nur in Deutschland investieren. Privates Kapital hat sich hierzulande ja auch erst in den vergangenen Jahren bei Infrastruktur etabliert – auch, das ist zumindest mein Eindruck, weil die Politik das als nötig anerkennt. Wir schauen europaweit, haben Investitionen in Frankreich, Spanien, Portugal und den skandinavischen Ländern, weil das teilweise reifere Märkte sind. Über den Atlantik in die USA gehen wir nicht, auch weil dann die Währung ein Thema wird, und wir wollen uns im Bereich Infrastruktur keine Währungsrisiken einkaufen. Zudem muss man sich gerade bei Infrastruktur auch die regulatorischen Rahmenbedingungen sehr genau ansehen. In Europa sind diese von Land zu Land nicht gleich, aber relativ ähnlich.

Die Regulatorik in den USA ist sehr viel einheitlicher und die Auslegung – unter anderem was ESG angeht – nicht so streng. Durch Investments könnte sich auch gegen Währungsrisiken abgesichert werden. Zudem nimmt die Biden-Regierung viel Geld in die Hand, das alles wirkt doch verlockend…

Rohm: In einem Punkt gebe ich Ihnen recht. Die Sicht auf nachhaltige Investitionen hat sich in den USA verändert. Vor Biden war das kein Thema. Aber selbst, wenn wir in den USA investieren würden, müssten wir, um diese Investitionen hier als nachhaltig ausweisen zu können, ja trotzdem die gleichen Daten und Informationen einholen, die wir brauchen, wenn wir in Europa investieren. Nur weil in den USA andere regulatorische Rahmenbedingungen gelten, heißt das ja nicht, dass wir hier benötigte Informationen nicht liefern müssen.

 

 

 

In Europa ist es kompliziert, alle geforderten Daten zu bekommen. Ich vermute aber, dass es in den USA noch komplizierter ist. Mir zumindest reicht die Komplexität in Europa, zumal sich das Regelwerk in einem dynamischen Prozess befindet. Was ist nachhaltig? Welche Daten brauche ich? Da gibt es noch keinen festen Rahmen, das macht es ungemein schwierig. Unser Haus hat einen hohen dreistelligen Millionenbetrag in erneuerbare Energien investiert. Diese aber als nachhaltige Investments auszuweisen, ist nicht einfach.

Woran hakt es?

Rohm: Die Projektgesellschaften, in denen beispielsweise Windanlagen gehalten werden, sind oft so klein, dass sie nicht verpflichtet werden können, Daten zu liefern. Das ist frustrierend. Das hat zur Folge, dass wir diese Investments derzeit nicht als nachhaltige Investitionen ausweisen.   Ich möchte nicht hinterher Greenwashing-Vorwürfen ausgesetzt sein.

Können Sie als großer Geldgeber den kleinen Projektgesellschaften nicht helfen, oder auf der anderen Seite Druck aufbauen, oder nur in solche investieren, die Daten zusagen?

Rohm: Natürlich haben wir als institutioneller Investor die Möglichkeit, einen gewissen Druck auf die Projektgesellschaften auszuüben. Die Bereitschaft, Daten zu liefern, wird auch zunehmend größer. Aber das ist eben kein Selbstläufer, sondern mit erheblichem Aufwand verbunden. Das bindet große Personal- und IT-Ressourcen.

 

 

Rohm: Wir müssen die Daten nicht nur bekommen, sondern auch speichern und auswerten. Ich will das nicht beklagen, ich bin auch kein Gegner von ökologischer Erneuerung. Wir brauchen das und leisten durch unsere Investitionen gerne einen erheblichen Beitrag dazu. Mein Wunsch ist es jedoch, dass es in den kommenden Jahren einfacher wird.

Es wirkt immer, als hätte der Regulator die Probleme an die Finanzindustrie ausgelagert. Auf der einen Seite bedeutet das, wie Sie gesagt haben, viel Arbeit, aber bedeutet es auf der anderen Seite nicht auch, dass gestalterisch mitgewirkt werden kann im Regelwerk?

Rohm: Die regulatorischen Hürden aus Brüssel sind sehr hoch. Über unterschiedliche Interessengruppe kann ein großer mittelständischer Investor wie wir sich aber Gehör verschaffen, und das versuchen wir natürlich. Wir sind dabei aber immer in einem Spannungsfeld. Wird zu locker gestaltet, kommt Greenwashing ins Spiel. Gibt es zu dezidierte und kleinteilige Anforderungen, können diese nicht ausgewiesen werden.

Wie investieren Sie in alternative Investments?

Rohm: Wir gehen nur über externe Asset Manager. Aber wir haben uns für jede Asset-Klasse, die wir in den vergangenen Jahren aufgebaut haben, eine entsprechende Kompetenz im Haus aufgebaut, mit Mitarbeitern, die langjährige Erfahrungen in ihren Bereichen mitbringen. Das ist nötig, um einschätzen zu können, welche Chancen und welche Risiken mit den jeweiligen Investments eingekauft werden. In der Regel arbeiten wir mit circa drei Asset Managern pro Anlageklasse.

Besprechen Sie mit diesen Managern auch, inwieweit Sie Unternehmen bei der Transformation unterstützen wollen?

Rohm: Im Bereich der Infrastruktur-Finanzierungen ist das eine wichtige Frage. Unternehmen müssen sich auch hier Nachhaltigkeitsziele setzen, die glaubwürdig, gut durchdacht und damit umsetzbar sind. Ist das nicht der Fall, nehmen wir Abstand von dem Investment.

Auch der Immobilien-Markt wurde von der Zinswende getroffen, dazu ESG-Auflagen, aus Berlin gibt es Ideen, die sehr kostspielig werden würden, wie schätzen Sie den Markt hierzulande ein?

Rohm: Wir sind ein großer Immobilienbesitzer. 7,5 Prozent des Bestandes unserer Kapitalanlagen bei der Alte Leipziger Lebensversicherung sind Immobilien. Historisch haben wir dazu viele Immobilien direkt auf der Bilanz, also nicht über beispielsweise Spezialfonds. ESG und die Ideen aus Berlin gehören da selbstverständlich zu den Themen, der wir intensiv diskutieren. Wir haben uns das Ziel gesetzt, die CO2-Emissionen unseres Wohnimmobilienportfolios bis 2025 deutlich zu reduzieren. Das bedeutet, dass unsere Mitarbeiter im Moment unser gesamtes Portfolio durchgehen, um sagen zu können, an welchen Stellen wir selbst energetische Sanierungen durchführen können, oder – und das gebe ich ganz offen zu - wo Bestände sind, bei denen sich die Sanierung für uns nicht rechnet.

 

 

 

Wir sind ein institutioneller Anleger, wir sind ein Versicherungsunternehmen, aber wir sind kein Projektentwickler oder Sanierer. Bis zu einem bestimmten Umfang können wir das mit unseren Partnern selbst tun, aber für das gesamte Portfolio würde uns das überfordern. Wir sind Langfristinvestoren, deshalb achten wir insbesondere bei Neuinvestitionen sehr genau auf die Energieeffizienz, weil jede saubere Immobilie uns hilft, den CO2-Austoß des Gesamtportfolios zu verringern.

Was wünschen Sie sich als großer Immobilienbesitzer vom Regulator?

Rohm: Umsetzbare Regelungen. Nehmen wir das Beispiel GEG. Nicht jedes Gebäude ist für den Einsatz einer Wärmepumpe geeignet. Unser Weg ist, dass wir uns Reduktionsziele setzen, die dann durch unterschiedliche Maßnahmen erreicht werden. Alles auf ein Pferd zu setzen, ist nie clever. Beispielsweise kann ich den CO2-Ausstoß eines Hauses, welches über eine klassische Gasheizung verfügt, durch die Sanierung der Dämmung optimieren. Ein weiterer wichtiger Punkt: Der CO2-Ausstoß wird auch durch das Nutzungsverhalten der Mieter beeinflusst. Um zurück zu meinem Wunsch zu kommen: Ich würde es sehr begrüßen, wenn die Politik uns einen breiter aufgestellten Werkzeugkasten zur Verfügung stellen würde.

Ihre Kunden sind ja oftmals auch Mieter – der Wohnungsmarkt hierzulande ist extrem schwierig, Selbst Familien mit guten Einkommen finden vielerorts einfach nichts. Was ist zu tun?

Rohm: Wenn wir das Patentrezept hätten, würden wir es umsetzen. Wir haben es leider nicht. Die Regulatorik und die Rahmenbedingungen müssen so sein, dass diejenigen, die über Jahrzehnte in die Assetklasse Immobilien und Wohnen investiert haben – und dazu gehört die deutsche Versicherungsbranche – noch irgendeinen Anreiz haben, das auch zukünftig zu tun. Unser Anreiz liegt darin, den Standort Deutschland insgesamt auch in den Punkten Infrastruktur und Wohnen zu fördern. Aber dieser Anreiz muss sich mit unserer Verpflichtungsseite decken. Wir müssen für unsere Versicherungskunden auskömmliche Renditen erwirtschaften. Unsere Kunden erwarten, dass Sie ihre Garantieleistung und eine Überschussbeteiligung bekommen.

 

 

 

Unser zweites großes Anliegen ist die Energiewende. Wir isolieren, dämmen, tauschen Fenster aus und vieles mehr– in einem Rahmen, der wirtschaftlich für uns Sinn macht. Vor dem Hintergrund, dass immer mehr Belastungen von der Mieter- auf die Vermieterseite verlagert wird, schrumpft unser Handlungsspielraum. Hier für alle den richtigen Weg zu finden: Für jene , die künftig in den Bereich Immobilien investieren wollen und sollen, und für diejenigen, die bezahlbaren Wohnraum erwarten und verdienen. Das ist eine große Herausforderung, auch für die Politik. Denn eines ist ganz klar: Werden die Anforderungen für uns zu hoch, dann müssen wir uns überlegen, ob wir weiter in den Wohnungsmarkt investieren.

Die Zinswende trifft einige Projektentwickler hart, was bedeutet das für Sie?

Rohm: Im Immobilienbereich hat sich die Zinswende sehr stark bemerkbar gemacht. Die Planung eines Projektentwicklers geht über mehrere Jahre. Grundstückserwerb, Planung, Realisierung, das dauert. Steigen innerhalb dieses fein aufeinander abgestimmten Verlaufs die Zinsen innerhalb eines Jahres so drastisch, wie es gerade geschehen ist, steigen dementsprechend die Finanzierungskosten. Dazu gehen die Preise eher zurück, was wegen der Zinswende nur logisch ist, da der Käufer ja auch eine attraktive Rendite haben möchte. Unterm Strich bedeutet das, dass ein Projektentwickler alles richtig gemacht haben kann und trotzdem Probleme bekommt. Zusätzlich hatte die Branche wegen Corona Probleme mit den Lieferketten. Der Markt wird deshalb bestimmt noch bis zu zwei Jahre brauchen, bis er wieder einen Level gefunden hat, auf dem Projektentwickler und Investoren zueinander finden können.

Wie meinen Sie das?

Rohm: Viele Projektentwickler, die es sich leisten können, halten ihre Projekte momentan eher zurück, führen sie teilweise auch nicht fort. Wir glauben, dass es in den kommenden Jahren durchaus wieder die eine oder andere interessante Investitionsmöglichkeit geben wird. Im Moment sehen wir in unserem Portfolio, dass die Angebotsseite deutlich nachlässt. Für Bestandshalter ist das aber gar nicht so schlecht. Aufgrund des geringeren Zubaus neuer Wohnungen sind die Mieten sehr stabil. Die Nachfrage steigt, die Neubautätigkeit sinkt.

Stimmen innerhalb der Bundesregierung wollen die Indexmiete abschaffen…

Rohm: Wir haben verhältnismäßig wenig Indexmietverträge. Abseits davon glaube ich nicht, dass ein Verbot von Indexmieten das Problem beheben kann. Preisanpassungsmöglichkeiten muss es geben. Ich kann nicht stetig steigende Kosten haben, ohne Mietanpassungen vornehmen zu können. Spätestens bei Wohnungswechseln, die wir in einem großen Portfolio immer sehen, kann angepasst werden. Ich rede hier nicht nur von uns, sondern von unserer Branche, wenn ich sage, dass wir nicht zu denjenigen gehören, die renditeoptimierend agieren.

 

 

Rohm: Wir wollen angemessene Renditen mit unseren Immobilien erzielen. Wir investieren beispielsweise auch nicht in Luxus-Immobilien, sondern in Projekte, bei denen am Ende eine bezahlbare Miete für die Mieter herauskommt. Das wird immer schwieriger, auch aufgrund der stark steigenden Grundstückspreise, aber das ist und bleibt unser Anspruch.

Wie ist Ihr Immobilienportfolio auf die einzelnen Klassen verteilt?

Rohm: Bis vor gut acht Jahren waren wir fast ausschließlich im Gewerbebereich, und zwar der 1a-Einzelhandelslage tätig. Das haben wir sehr stark diversifiziert. Diese Immobilien machen heute gut 40 Prozent aus. Bei Wohnimmobilien sind wir mittlerweile bei knapp 30 Prozent. Weitere Segmente sind Logistik-Immobilien und Nahversorgungszentren. In Büro-Immobilien sind wir nicht investiert. Im Einzelhandel sind, auch wegen Corona, Mietsteigerungen derzeit nicht durchsetzbar. Corona hat die Welt verändert, die des Einzelhandels sehr nachhaltig.

Immobilien nur in Deutschland?

Rohm: Ja, wir konzentrieren uns auf den deutschen Markt. Von diesem verstehen wir am meisten. Eine Ausweitung auf den europäischen Markt ist – Stand jetzt – nicht geplant.

Wir sprachen bereits über Solvency II, wo sehen sie Nachbesserungsbedarf und was ist geglückt?

Rohm: Die grundsätzlichen Auswirkungen von Solvency II haben gezeigt, dass in den unterschiedlichen Zinsphasen - und ich kann jetzt nur über unser Haus sprechen - die Quoten sehr stabil waren. Wir kommen mit Solvency II zurecht, unsere Quote lag auch 2022 wieder bei deutlich über 300 Prozent. Manchmal ärgert es mich ein wenig, dass Infrastruktur-Investitionen und insgesamt Eigenkapital-Investitionen einen relativ hohen Bedarf an Eigenkapitalhinterlegungen haben. Das belastet die Solvenzquote. Das hält uns nicht von unseren Investitionen ab, weil wir stabile und auskömmliche Quoten haben. Aber wenn der Regulator möchte, dass die Versicherungsbranche verstärkt in Infrastruktur investiert, wäre es selbstverständlich hilfreich, die Eigenkapitalanforderungen dementsprechend anzupassen.

Was wird Sie im weiteren Verlauf 2023 am meisten beschäftigen: Taxonomie, Inflation oder Zinswende?

Rohm: In erster Linie, das kann ich aber leider nicht beeinflussen, hätte ich gerne etwas mehr geopolitische Stabilität. Wir haben Krisenherde in der Welt, bei denen wir noch nicht wissen, wie sie sich entwickeln. Abgesehen davon wünsche ich mir eine kontinuierlich weiter absinkende Inflation.

 

 

 

Die derzeitigen Zahlen sind eine erhebliche Belastung für die Konsumenten. Die Sparfähigkeit lässt nach. Das ist nicht förderlich für das Geschäftsmodell eines Versicherers. Unsere Branche bietet Absicherung und Altersvorsorge – dafür benötigen die Menschen finanzielle Mittel. Bis zum Zwei-Prozent-Ziel der Zentralbanken werden aber sicher noch einige Jahre vergehen, da muss man realistisch sein.

2016 haben Sie angefangen, Ihre Kapitalanlage umzubauen – wie würden Sie die Arbeit der Zentralbanken seit diesem Jahr einordnen?

Rohm: Es gab in dieser Zeit einige Ereignisse, die eine lockere Geldpolitik zumindest einmal nachvollziehbar erscheinen lassen. Wir alle, auch die Chefs der Zentralbanken, haben eine derart unbekannte und unvorhersehbare Situation wie Corona noch nicht erlebt. Niemand wusste, welche Auswirkungen das auf die Finanzstabilität haben wird. Dazu kamen die gestörten Lieferketten, der Krieg in der Ukraine und die Sorge vor einer Rezession. Natürlich ist es unglücklich, dass bei weiterhin eher rezessiven Tendenzen Zinserhöhungen zur Inflationsbekämpfung notwendig sind. Aber das muss jetzt einfach sein, zweistellige Inflationsraten können wir uns auf Dauer nicht leisten. Unterm Strich gab es gute Gründe für die Zentralbanken, so zu reagieren, wie sie reagiert haben. Nichtsdestotrotz wünsche ich mir, den Höhepunkt für Zinserhöhungen bereits in diesem Jahr zu sehen.

Sie starteten Ihre Karriere 1991, seit 2013 sind Sie verantwortlich für die Kapitalanlage der ALH Gruppe. Was war früher besser, was ist heute besser?

Rohm: Besser oder schlechter würde ich nicht sagen. Als ich 1996 angefangen habe, Verantwortung in der Kapitalanlage zu übernehmen, hatte wir 7 Prozent Zinsen für 10-jährige Anleihen und 4 Prozent Garantiezins. Es war einfach, Verpflichtungen auf der Passivseite durch Investitionen auf der Aktivseite zu erfüllen. Heute ist das Spektrum der Themen, mit denen man sich beschäftigen darf und muss, viel größer und komplexer geworden. Das ist eine Herausforderung, der man sich als Manager gerne stellt. Das ist ein Antrieb und das ist spannend, weil die Rahmenbedingungen sich in den vergangenen 30 Jahren deutlich verändert haben, und wir immer wieder neue Lösungen finden müssen. Das geht nur, wenn man sich selbst verändert und nicht stehen bleibt.

Ihre Ruhestandspläne sind noch nicht akut, aber Sie sind jemand, der abgeben kann?

Rohm: Solange ich für die Kapitalanlage verantwortlich bin, will ich dieser Verantwortung in vollem Umfang gerecht werden. Aber irgendwann ist die Zeit für neue Ideen und Innovation. Ich habe die Motivation, wenn ich irgendwann in den Ruhestand gehe, eine gut aufgestellte Kapitalanlage zu übergeben.

Woher ziehen Sie Ihre Kraft, um da immer wieder anpacken zu wollen und sich immer wieder zu motivieren?

Rohm: Wenn man die Entscheidung trifft, eine solche berufliche Herausforderung anzugehen, dann steckt dahinter eine gewisse intrinsische Motivation, ein gewisser Gestaltungswille. Hätte ich diesen nicht, hätte ich für mich einen anderen Beruf gewählt. Dazu kommt, dass ich mit meinen Kollegen im Vorstand der ALH Gruppe verantwortlich für über 3.000 Mitarbeiter und über eine Million Kunden bin. Das motiviert. Auch – und das werte ich als großen Erfolg – habe ich es in den vergangenen Jahren immer wieder geschafft, Mitarbeiter zu gewinnen, die in den einzelnen Assetklassen besser sind als ich. Sie unterstützen mich bei allen Herausforderungen und sind ein Hauptgrund dafür, weswegen ich diesen Herausforderungen optimistisch gegenüberstehe. Niemand weiß, was die Zukunft bringt, aber meine Mitarbeiter und ich haben viele Krisen zusammen gemeistert.

Dass Sie ganz offen sagen, dass Sie Mitarbeiter finden, die es besser können als sie, hört man nicht von allen Top-Managern…

Rohm: Niemand kann all das, was wir heute bewegen, hinterfragen und bedenken müssen, ganz allein bewältigen. Wer das von sich behauptet, wird nicht ernst genommen. In der Kapitalanlage brauchen wir Teamplayer und keine Egoshooter.

Über den Interviewten:

Martin Rohm begann seine Karriere 1991 bei der Volkswohl Bund Lebensversicherung, war seit 1996 Mitglied des Vorstands. 2013 wechselte er zur ALH Gruppe, bei der Rohm die Verantwortung unter anderem für die Kapitalanläge trägt und Mitglied der Vorstände der Gruppe ist.

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