Roundtable Zwischen Zinswende und Inflation – Experten diskutieren die Zukunft der Rentenmärkte

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Frau Shulman, wie bewerten Sie als Indexanbieter die aktuelle Situation? 

Smadar Shulman: Für die globalen Anleihemärkte war es bisher ein schwieriges Jahr. Die Mischung aus Inflation, geldpolitischer Straffung und geopolitischen Risiken hat Anleihen zu schaffen gemacht. In den Segmenten mit langer Laufzeit kam es zu Rückgängen, wie wir sie seit einer Generation nicht mehr erlebt haben. Die Märkte für Staatsanleihen in den Industrieländern sind nach wie vor tief und sehr liquide. Kurzfristige Anleihen haben weitaus weniger gelitten und waren in diesem Jahr ein gutes Pflaster. Im Bereich der Unternehmensanleihen haben Emittenten mit Qualitäts-Rating besser abgeschnitten als Hochzinsanleihen. Bei den Schuldtiteln der Schwellenländer gab es eine Zweiteilung: Länder, die von hohen Energiepreisen profitieren, haben sich relativ gut gehalten, während Entwicklungsländer, die von Energieimporten abhängig sind, in diesem Jahr eine schwere Zeit hatten.

Welche Veränderungen gab es bei den Indizes?

Smadar Shulman, S&P
Smadar Shulman, Leiterin
Fixed Income Indizes EMEA
bei S&P Dow Jones Indices.
© S&P Dow Jones Indices

Shulman: Der technische Zahlungsausfall Russlands im März hat im Bereich der Schwellenländer sowohl die Staats- als auch die Unternehmensindizes beeinträchtigt. Die Zahlungsunfähigkeit Sri Lankas im April und die Umschuldung der Ukraine im Juli haben sich auf die Staatsanleihenindizes der Schwellenländer ausgewirkt. Die asiatischen Märkte für hochverzinsliche US-Dollar-Anleihen waren von einer Reihe von Zahlungsausfällen und Umstrukturierungen im chinesischen Immobiliensektor betroffen – eine beträchtliche Anzahl von Anleihen ist aus diesen Indizes herausgefallen. In den Industrieländern waren die Indizes relativ stabil, und die Performance scheint in erster Linie von Zinsänderungen und der allgemeinen Inflationsentwicklung bestimmt zu sein. Der britische Anleihemarkt wiederum hat ausgesprochen volatil auf die jüngsten steuerlichen Änderungen reagiert.

Und welche Bewertung können Sie seitens eines der weltgrößten Asset Manager geben, Herr Wang?

Matthias Wang: Es gibt wieder Zinsen fürs Risiko – aber damit einhergehend leben wir heute in einer gänzlich anderen Welt als vor einem Jahr. Seit Februar ist Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Die Preise für Energie stehen im Fokus und wir sehen Inflation in einem von nahezu niemand erwarteten Ausmaß. Zentralbanken wie die Fed und die EZB konzentrieren sich darauf, die Inflation zu bekämpfen. So steigen die Leitzinsen und weitere Zinsanstiege werden eingepreist. Dass es wieder Zinsen gibt, bedeutet perspektivisch neue Chancen für Anleihen und führt dazu, dass viele Investoren wieder einen Blick auf diesen Markt werfen.

Sie tragen die „Strategie“ in der Job-Beschreibung, Herr Wang – Was ist die Strategie für Fixed Income-Lösungen bei Blackrock?

Wang: Als Indexed Fixed Income Produkt-Stratege steckt Strategie in meiner Job-Beschreibung. Im Kern bedeutet das, dass ich unsere Kunden und Investoren bei Fragen zu Index-basierten Fixed Income Strategien helfe, insbesondere auch zu Fixed Income ETFs von iShares. Fragen spannen von Zugangsmöglichkeiten zu Märkten, über Verständnis existierender Produkte bis hin zu der Entwicklung neuer Strategien.

Sind Zinserhöhungen eher Fluch oder Segen?

Franck: Kurzfristig führen Zinssteigerungen zu Abschreibungen auf die Bestandsportfolien. Für längerfristig orientierte Anleger sind sie eher positiv einzuordnen, da neue Anlagen zu attraktiveren Zinsen erfolgen können. Somit in der Summe trotz kurzfristiger Neubewertungen eher Segen und eine gute Gelegenheit zum Investieren.     

Jurczyk: Das kommt darauf an. Die ultra-lockere Geldpolitik der vergangenen Jahre bringt diverse Auswirkungen mit sich, die derzeit beginnen, sich zu bereinigen. Beispielsweise wird oft nicht gesehen, dass es vor der hohen Konsumentenpreisinflation bereits lange Jahre eine hohe Asset-Preis-Inflation mit teils historisch hohen Bewertungen und hohem Leverage am Kapitalmarkt gegeben hat. Diese wird durch die Zinsanhebungen zumindest teilweise bereinigt werden – den Anfang haben wir in diesem Jahr gesehen. Für den Konsumenten hat diese Zeit auf der anderen Seite viel Positives gebracht, zum Beispiel äußerst günstige Finanzierungsbedingungen. Letztlich haben negative Realzinsen mittel- und langfristig für die Gesamtwirtschaft wohl eher negative Auswirkungen, daher ist eine Rückkehr zu einem neutralen Zinsniveau gesund. Spannend in diesem Zusammenhang ist natürlich die Frage, wo ein solch neutrales Zinsniveau anzusiedeln ist. Sicherlich auf einem niedrigeren Niveau als in den vergangenen Jahrzehnten.

Orthgieß: Ich denke, langfristig ist es wichtig, dass die Welt wieder Zinsen auf einem Niveau hat, dass der Zins als Anker für die Bewertung jeder Asset-Klasse dienen kann. Kurzfristig sind die Zinserhöhungen und der damit einhergehende Liquiditätsentzug aber Gift für die Märkte.

Alexander Orthgieß, Bagus Capital
Alexander Orthgieß, Gründer der
Vermögensverwaltung Bagus Capital.
© Bagus Capital

Vogt: In einem „normalen“ Umfeld stehen Zinserhöhungen für eine starke Wirtschaft, die durch eine Verteuerung des Geldes gebremst werden muss. In einem solchen Umfeld steigen zum Beispiel Aktienkurse zunächst weiter. Zinserhöhungen werden anfänglich als Segen wahrgenommen. Treffen Zinserhöhungen dagegen auf eine durch gestörte Lieferketten, Produktionsausfälle, einen engen Arbeitsmarkt oder sprunghaft steigende Inflation angeschlagene Volkswirtschaft, sind Zinserhöhungen ein Fluch, weil sie die Wirtschaft zusätzlich belasten. Eine konjunkturelle Abwärtsspirale wird noch beschleunigt.