Wo ist realer Kapitalerhalt über den Rentenmarkt derzeit möglich?
Orthgieß: Im Augenblick nirgends. Aber wir werden vermutlich wieder in eine Phase kommen, in der in selektiven Nischen des Marktes die Zinsen nachhaltig höher sein werden als die Inflationsraten. Allerdings bestehen dort dann Bonitäts- und vor allem Liquiditätsrisiken.
Vogt: Für Euro- oder Dollar-Anleger sehen wir in den etablierten Märkten keinen Ort, an dem das funktioniert. Im Gegenteil: Wir erwarten weiter fallende Realzinsen!
Jurczyk: Die Inflationsraten sind ja vor allem in den kurzen Laufzeiten historisch hoch. Betrachtet man dagegen die zehnjährigen Inflationserwartungen, die auch am Markt gehandelt werden, so lassen sich in dem mittel- bis langfristigen Laufzeitenbändern insbesondere im High-Yield-Bereich derzeit attraktive Renditen erzielen, die bei erwartetem Verlauf auch gute Chancen auf realen Kapitalerhalt mit sich bringen. Allerdings ist das erhöhte Risiko im High-Yield-Bereich nicht zu vernachlässigen.
Wang: Hinter der Frage nach realem Kapitalerhalt im Rentenbereich stecken mindestens zwei Dimensionen: einerseits die aktuell brennende Frage bezüglich realer Renditen nach Inflation und andererseits die Wertrisiken. Ich denke, Antworten darauf lassen sich am besten über den Rentenbereich hinaus und in Abhängigkeit eines Zeithorizontes beantworten.
![Matthias Wang, Mitglied des Fixed Income Product Strategy Teams von Blackrock.](https://www.private-banking-magazin.de/uploads/fm/Matthias-Wang--Mitglied-des-Fixed-Income-Product-Strategy-Teams-von-Blackrock_t2.jpg)
Income Product Strategy Teams
von Blackrock. © BlackRock
Zeitnah, wie zu Eingang unseres Gesprächs angeführt, sehen wir wie Zentralbanken darauf fokussiert sind die Inflation wieder an das vorrangige Ziel von Preisstabilität zu bringen. Damit haben Zentralbanken auch klar kommuniziert, dass wir – marginal betrachtet – weiterhin Zinserhöhungen sehen werden, bis sich die Inflation normalisiert. Aus unserer Sicht bei Blackrock impliziert das höhere Wertrisiken für Aktien und bedeutet damit insbesondere Chancen für qualitativ höhere Rentenmarktsegmente.
Franck: Ich sehe es nicht so kategorisch: Die aktuellen Bewertungen haben in Teilen der Rentenmärkte zu extremen Preisabschlägen geführt. Anleihen von Banken- und Versicherungen liefern im Nachrangbereich zum Teil zweistellige Einstandsrenditen. Auch Unternehmensanleihen im Investment-Grade-Sektor sind wieder sehr interessant, gerade vor dem Hintergrund unserer beschriebenen Zinseinschätzung. Auch ausländische Staatsanleihen bieten Chancen, etwa deutlich attraktiver gewordene italienische Staatsanleihen.
Welche Rolle spielt ESG für Sie als Indexanbieter?
Shulman: Eine große Rolle. S&P Dow Jones Indices konzentriert sich auf die Bereitstellung von Indexlösungen, die ESG- und Nachhaltigkeitsziele einbeziehen. Wir bauen unser bestehendes ESG-Angebot im Bereich der festverzinslichen Wertpapiere weiter aus. Der jüngste Neuzugang ist der iBoxx EUR Corporates Net Zero 2050 Paris-Aligned ESG-Index, der sich am EU-Rahmen für Paris-Aligned Benchmarks orientieren soll. Der Index konzentriert sich auf die Dekarbonisierung des Engagements von festverzinslichen Unternehmensanleihen und nutzt dabei die Klimadaten von S&P Global Trucost, einem der führenden Datensätze für Treibhausgas-Emissionen auf dem Markt. Wir planen die Einführung weiterer Indizes in diesem Bereich und nutzen das Feedback des Marktes, um eine Vielzahl spezialisierter ESG- und nachhaltiger Indexlösungen zu entwickeln.
Und bei Ihnen als Investor?
Orthgieß: Im Moment noch keine, da es fu?r unsere Dachfonds auch noch keinen Fahrplan fu?r eine Zertifizierung nach Artikel 8 gibt. Außerdem ist meine Erfahrung, dass Kunden das Thema ESG weniger wichtig ist als dem gutmeinenden Regulator oder den Marketingabteilungen der großen Fondsgesellschaften. Zudem mangelt es an wirklich überzeugenden Lösungen, die von einer Mehrheit der Investoren auch als solche anerkannt wird. Zu verschieden sind die Vorstellungen der Geldgeber bezu?glich ESG.
Jurczyk: Ganz anders bei uns. Innerhalb der Auretas Liquiden Vermögensverwaltung sind wir ein reiner Fund-of-fund-Investor. Dabei spielt Nachhaltigkeit eine zentrale Rolle. Auretas hat in den vergangenen Jahren eine eigene Nachhaltigkeitsphilosophie entwickelt, die sich auf Investmentebene im Auretas-Nachhaltigkeits-Score widerspiegelt. Zunächst greifen wir bezüglich der ESG-Einschätzung eines Fonds, also wie das Management der im Fonds enthaltenen Unternehmen mit den ESG-Risiken umgeht, auf den etablierten MSCI ESG Score zurück. Zudem ermitteln wir einen eigenen Auretas SDG-Score, der untersucht, inwiefern sich der Investmentprozess eines Fonds beziehungsweise eine Indexkonzeption im Falle von ETFs auf die Förderung der UN-SDGs ausrichtet. Diese beiden Werte kombinieren wir zu einem eigenen Nachhaltigkeits-Score. In unserem Portfolio äußert sich das beispielsweise darin, dass wir bei den entwickelten Aktienmärkten, die wir vorrangig über ETFs abbilden, wann immer möglich in die nachhaltigen Indexvarianten investieren.
Franck: Auch wir sehen die Entwicklung hinsichtlich ESG grundsätzlich positiv, der Prozess ist aber noch lange nicht abgeschlossen. Noch immer haben wir keine einheitlichen Kriterien. Gerade die jüngsten, weiterreichenden Erweiterungen wie Artikel 8+ erhöhen die Anforderungen nochmal dramatisch. In der Fondsauswahl präferieren wir Artikel-8-Produkte, um unserer eigenen Grundhaltung und der der Kunden gerecht zu werden. Dabei darf der Performancegedanke jedoch nicht außer Acht gelassen werden.
Wang: ESG ist ein wichtiger Fokus im Rentensegment. In Anleihen-ETFs ist im vergangenen Jahr fast jeder zweite US-Dollar in eine nachhaltige Fixed-Income-Strategie geflossen. Vom Jahresbeginn bis dato liegt der Anteil sogar bei über zwei Drittel und in manchen Anlageklassen noch höher. Bei vielen Investoren geht es im Bereich Nachhaltigkeit um Fragen der Umstellung von breiteren traditionellen auf breitere nachhaltige Strategien. Oftmals sehen wir, dass Investoren zunächst diese Umstellung im Aktienbereich angehen und dann erst auf Rentensegmente schauen. Dabei zählt natürlich auch der konkrete Blick darauf, was die Umstellung über traditionelle Strategien hinaus aus Risiko- und Renditesicht bedeutet. Neben breiteren Nachhaltigkeitszielen schauen Investoren in diesem Jahr vermehrt auch darauf, wie Klimaziele im Portfolio eingebracht werden können. Auch Impact-Strategien gewinnen zunehmend an Bedeutung.