Governance-Element für Familienunternehmen Im gemeinsamen Erarbeiten liegt der Zweck der Familienverfassung

Seite 3 / 3

Zwar bedeutet Einstimmigkeit auch, Vereinbarungen nicht gegen den Willen des Einzelnen durchzusetzen. Insbesondere der oder die Mehrheitsgesellschafter sollte sich jedoch von vornherein gut überlegen, ob und inwiefern sie bereit sind, sich der Dynamik eines Prozesses auszusetzen, in dem sie möglicherweise in die Minderheit geraten und sich zu unliebsamen Kompromissen gedrängt sehen könnten.

Vermeiden lässt sich dieses Risiko, wenn man die Themenfelder einer etwaigen Familienverfassung klar abgesteckt und diejenigen Aspekte von vornherein ausgeklammert, für die allein das Mehrheitsprinzip der Gesellschafterversammlung gelten soll. Dazu gehört zum Beispiel die Ausschüttungs- und Thesaurierungspolitik, die Besetzung der Geschäftsführung oder von Aufsichtsgremien.

Ein gegenwärtig in der Rechtswissenschaft intensiv diskutiertes Risiko im Zusammenhang mit Familienverfassungen sind ungewollte Übertragungseffekte. Denn ungeachtet einer ausdrücklichen Bestimmung, wonach die Familienverfassung rechtlich unverbindlich sein soll, ist es denkbar, dass sie in gerichtlichen Auseinandersetzungen dereinst doch eine Rolle spielt. Wenn die rechtliche Unverbindlichkeit verabredet ist, lassen sich zwar bestimmte Zielvorgaben nicht aktiv einklagen,  etwa zum Engagement der Familienmitglieder oder zur Ausschüttung. Geht es aber etwa um den Ausschluss eines Gesellschafters wegen schwerwiegenden Fehlverhaltens, ist es nicht ausgeschlossen, dass auch Verstöße gegen – rechtlich an sich unverbindliche – Bestimmungen einer Familienverfassung ins Feld geführt werden, wenngleich dies dem Nichtjuristen sonderbar erscheinen mag.

Die juristische Diskussion steht insofern allerdings noch am Anfang, weshalb es keine absolut verlässlichen Absicherungsmechanismen gibt. Es sollte in erster Linie nur überhaupt bedacht werden, dass Aspekte, die in Familienverfassungen als rechtlich unverbindlich festgehalten werden, indirekt auch juristische Konsequenzen haben können. Festlegungen in der Familienverfassung sollten in diesem Bewusstsein entsprechend sorgsam erfolgen.

Das Gegenstück zu jenen überschießenden Effekten ist die Gefahr, dass die grundsätzliche rechtliche Unverbindlichkeit zu Enttäuschungen bei einzelnen Beteiligten führt. Das kann etwa der Fall sein, wenn in der Familienverfassung niedergelegte Intentionen zur Beteiligung oder Information von Minderheitsgesellschaftern oder zur Ausschüttungspolitik schlicht keine Beachtung finden.

Auch mit Blick auf dieses Risiko gilt wiederum, bestimmte Gegenstände entweder von vornherein auszuklammern. Oder – wenn gewünscht – in der Familienverfassung selbst deutlich zu machen, dass für die Umsetzung effektiver Änderungen die Anpassung des Gesellschaftsvertrags und gegebenenfalls weiterer juristischer Dokumente erforderlich ist.

Schließlich lässt sich Unzufriedenheit im Hinblick auf die fehlende Rechtsverbindlichkeit dadurch vermeiden, dass die Beteiligten sich vor Augen führen, dass der Wert der Familienverfassung im – mitunter mühsamen – gemeinsamen Konzeptionsprozess und der regelmäßigen gemeinsamen Überprüfung der darin definierten Zielvorstellungen, nicht aber in einem Schriftstück liegen kann. Wird die Familienverfassung in diesem Sinne als Daueraufgabe betrachtet, ist die Gefahr gering, dass sie als Papiertiger endet.



Über den Autor:
Christian Bochmann ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Flick Gocke Schaumburg in Hamburg und geschäftsführender Direktor des Zentrums Familienunternehmen der Bucerius Law School. Er berät zu allen Fragen des Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts sowie zu Unternehmenstransaktionen und -umstrukturierungen.

Wie hat Ihnen der Artikel gefallen?

Danke für Ihre Bewertung
Leser bewerteten diesen Artikel durchschnittlich mit 0 Sternen