Digitalisierung ist kein Selbstzweck Der Server ist König

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Zusätzlich müssen Informationen, die für ein Leistungsangebot eingeholt wurden, auch für andere Beratungsdienstleistungen rund um alle Lebensphasen des Kunden zur Verfügung stehen. Eckpfeiler für einen erfolgreichen Ansatz sind:

  • Berater müssen ihre Kunden früh in deren Entscheidungsprozessen erreichen und Beratungsangebote – beispielsweise für die Vorsorge oder Nachfolgekonzepte – vorhalten, die sich auf die Motive der Kunden beziehen und nicht digitalisierbar sind.
  • Kundendaten müssen mit dem Einsatz von Software effizient verfügbar sein, damit Berater sie mit vernetztem Denken und Lust am Gestalten in der Beratung nutzen können.
  • Das Denken in Silos wie Private Banking und Firmenkundengeschäft müssen die Banken auflösen, damit Kunden nicht in Monokultur beraten werden und vielmehr wertvolle Potenziale, unter anderem in der Nachfolgeplanung, gehoben werden können.

Letztlich ist die Digitalisierung nur dann sinnvoll, wenn sie den Menschen dient. Viele Anforderungen der Regulatorik zu Anlageplattformen und Risikoprofilen haben vom Ansatz her die Kunden orientierung im Sinn. Es mangelt letztlich an der vernetzten Betrachtung. Und bei aller Euphorie für die Digitalisierung gilt es zu bedenken, dass sich nicht alle Kunden in der digitalen Welt wohlfühlen oder dazu in der Lage sind, weil sie entweder keinen Zugang zu den Neuen Medien haben oder aus Sicherheitsgründen dem Thema vorsichtig bis ablehnend gegenüberstehen.

Gretchenfrage ist bei alledem, wie die Berater die Kunden dazu bringen, dass sie bereit sind, sich zu öffnen. Reicht es aus, wenn sich die Informationen überwiegend auf das Vermögen aus Bankensicht beziehen, also auf Anlagethemen und Wertpapiere? Und was ist, wenn Immobilienkredite mit in die Kundenbetrachtung genommen werden, aber das Immobilienvermögen als Ganzes ein Schattendasein führt? Ist das ganzheitliche Beratung oder zieht der Kunde eine unsichtbare Grenze und gibt nicht mehr preis? Welche Mehrwerte und Dienstleistungen folgen konkret, und wann ist der Kunde bereit, sich komplett zu öffnen?

Machen wir uns nichts vor: Das Produktangebot in der Branche ist zu einem sehr großen Teil austauschbar. Bislang gibt es bei der Beratung im Private Banking sowohl vonseiten der Berater als auch der Kunden ein gewisses Schubladendenken. Wer daraus ausbrechen möchte, braucht neue Ansätze. Ich bin überzeugt, dass digitale Kompetenz im Private Banking bedeutet, dass der Kunde künftig ein digitales Erlebnis bekommt, das mit einem menschlichen Beratungser lebnis verbunden ist. Die Geburtsstunde des hybriden Modells also.

Die fortschreitende Individualisierung benötigt individualisierte Produkte und Dienstleistungen. Dabei kann die Digitalisierung nur das Werkzeug für den Berater sein – und nicht umgekehrt. Sich ändernde Bedürfnisse in einer alternden Gesellschaft erfordern intelligente Verzehrstrategien, die sich auf das Leben des Kunden beziehen – und die sich eben nicht vollständig digitalisieren lassen.



Über die Autorin
Angelika Thiedemann (Certified Estate Planner) ist seit 2003 im Generationsmangement tätig. In ihrem Unternehmen Erntezeit berät sie Mandanten zu Vorsorge- und Nachfolgethemen. Zudem arbeitet sie als freie Mitarbeiterin im Fachinstitut Estate Planning Gene.

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