Für wegzugswillige Unternehmer Wegzugsbesteuerung rechtswidrig – was das Wächtler-Urteil bedeutet

Michael Tischendorf (l.) und Gabriel Hörnicke von Flick Gocke Schaumburg: Die beiden Fachautoren erklären die Bedeutung des Wächtler-Urteils.

Michael Tischendorf (l.) und Gabriel Hörnicke von Flick Gocke Schaumburg: Die beiden Fachautoren erklären die Bedeutung des Wächtler-Urteils. Foto: Flick Gocke Schaumburg

Dass Familienunternehmer oder ihre Angehörigen zeitweise oder dauerhaft ins Ausland wegziehen, kommt immer mal wieder vor. Nur: Dabei gibt es steuerlich einiges zu beachten. Ein besonderes Risiko in diesem Zusammenhang ist die sogenannte Wegzugsbesteuerung gemäß Paragraph 6 des deutschen Außensteuergesetzes. Diese regelt, dass der Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft – also zum Beispiel einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung – im Falle seines Wegzugs ins Ausland unter bestimmten Voraussetzungen so besteuert werden kann, als hätte er seine Unternehmensbeteiligung veräußert.

Wann die Wegzugsbesteuerung für Unternehmer wichtig wird

Der Gesellschafter muss die in seiner Beteiligung entstandenen Wertsteigerungen dann versteuern. Und das, obwohl ihm kein Veräußerungsgewinn zufließt, aus dem er die Steuer entrichten könnte. In der Praxis stellt dies die betroffenen Unternehmer oft vor erhebliche Liquiditätsprobleme.

Hinzu kommt: Die Wegzugsbesteuerung kann bereits dann greifen, wenn der Gesellschafter nur seinen Lebensmittelpunkt ins Ausland verlegt. Dafür braucht er seinen Wohnsitz in Deutschland gar nicht aufzugeben. Auch kann die Wegzugssteuer dadurch ausgelöst werden, dass der Gesellschafter seine Beteiligung an eine im Ausland ansässige Person verschenkt oder vererbt. Daher müssen Familienunternehmer die Wegzugssteuer auch dann im Blick behalten, wenn sie zum Beispiel über (Neben-)Wohnsitze im Ausland verfügen oder ihre Kinder einen längeren Aufenthalt im Ausland planen.

Die Ewigkeitsstundung bei der Wegzugsbesteuerung

Wohnen Gesellschafter ausschließlich im Inland, müssen sie dagegen erst dann Steuern zahlen, wenn sie ihre Beteiligung tatsächlich veräußern. Schließlich realisieren sie erst dann die entstandene Wertsteigerung. Um ein Beispiel zu nennen: Zieht ein Unternehmer von München nach Zürich, löst das die Wegzugssteuer aus. Zieht der selbe Unternehmer von München nach Berlin, passiert das allerdings nicht. 

 

Das ist eine Ungleichbehandlung – und deswegen steht die deutsche Wegzugsbesteuerung seit jeher im Verdacht, gegen die europäische Niederlassungsfreiheit zu verstoßen. So verwarf der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits mit Urteil vom 11. April 2004 (C-9/02) eine vergleichbare Regelung des französischen Rechts.

Der deutsche Gesetzgeber führte vor diesem Hintergrund für Wegzüge in EU- oder EWR-Staaten die Möglichkeit einer zinslosen und zeitlich unbegrenzten Stundung der Wegzugssteuer ein, die sogenannte Ewigkeitsstundung. Für Wegzüge in Drittstaaten, wie etwa die Schweiz, galt diese Regelung jedoch nicht. Hier gab es lediglich die Möglichkeit, dass den Unternehmern in Härtefällen eine Ratenzahlung gewährt wird.

Warum statt der Ewigkeitsstundung seit 2022 eine Ratenzahlung gilt 

Die oben genannte Ewigkeitsstundung in EU und EWR hat der Gesetzgeber mit Gesetz vom 25. Juni 2021 (BGBl. 2021 I, S. 2035) zwischenzeitlich abgeschafft. Für Wegzüge nach dem 31. Dezember 2021 kommt seither nur noch eine Ratenzahlung über sieben Jahre in Betracht. Für diese Ratenzahlung wird in der Regel zudem eine Sicherheitsleistung verlangt.

Ob der Steuerpflichtige in einen Dritt- oder einen EU- oder EWR-Staat zieht, ist dabei egal: Die Ratenzahlung wird unabhängig davon gewährt. Die Abschaffung der Ewigkeitsstundung begründete der Gesetzgeber mit mehreren Urteilen des EuGH, die jedoch die steuerliche Entstrickung von Betriebsvermögen und damit eine andere Konstellation betrafen als die Wegzugssteuer.

Warum die Ewigkeitsstundung auch rückwirkend eingeschränkt wurde

Die Gesetzesverschärfungen holen nun auch diejenigen ein, die noch vor dem 1. Januar 2022 weggezogen sind und von der Ewigkeitsstundung Gebrauch machen konnten: Denn ein Gesetz vom 21. Dezember 2023 (BGBl. 2023 I, Nr. 397) ordnet an, dass eine in der Vergangenheit gewährte Stundung der Wegzugssteuer insoweit widerrufen werden muss, als aus der Gesellschaft nach dem 16. August 2023 Gewinne ausgeschüttet oder Einlagen zurückgewährt werden, deren Wert insgesamt über ein Viertel des Beteiligungswerts zum Zeitpunkt des Wegzugs beträgt.

Was hat sich damit also verändert? Die Regelung galt ursprünglich nur für Wegzüge ab dem 1. Januar 2022. Nun gilt sie rückwirkend auf bis zum 31. Dezember 2021 erfolgte Wegzüge. Damit ist die Wegzugssteuer auch für solche Steuerpflichtige wieder Thema, die noch die Ewigkeitsstundung nutzen konnten, als sie weggezogen sind.

Die Wegzugsbesteuerung im Sonderfall Schweiz

Einen Sonderfall stellte ein Umzug in die Schweiz dar. Denn: Paragraph 6 des Außensteuergesetzes gewährte für Wegzüge in die Schweiz auch vor dem 1. Januar 2022 keine Ewigkeitsstundung. Dagegen wehrte sich ein deutscher Steuerpflichtiger, der im Jahr 2011 in die Schweiz umgezogen war. Nach weitgehend erfolglosem Einspruch klagte er vor dem Finanzgericht Baden-Württemberg dagegen, dass in seinem Einkommensteuerbescheid die Wegzugssteuer festgesetzt wurde – die Rechtssache ist inzwischen bekannt geworden als Wächtler-Verfahren.