Komplex, aber gewinnträchtig In der Immobilienkrise vom Investor zum Projektentwickler

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Komplex, aber gewinnträchtig
In der Immobilienkrise vom Investor zum Projektentwickler
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Silvia Wolf von Rosa Alscher

Silvia Wolf von Rosa Alscher: „Dass der Boom nicht schon 2015 oder 2016 seinen Höhepunkt überschritten hat, war in weiten Teilen zinsgetrieben. Auch das wussten alle: Eine Zinswende beendet die Party.“ Foto: Rosa Alscher

Egal ob Fonds, Family Office oder Versicherung – in der Immobilienanlage ist die Grenze zwischen passiver Vermögensverwaltung einerseits und aktiver Projektentwicklung andererseits längst durchlässig. Bei sich bietender Gelegenheit werden die jeweiligen Asset-Manager immer wieder zu Entwicklern und Bauherren. Das gilt auch perspektivisch. Denn die kommenden Monate werden weiterhin von vermehrten Notverkäufen und Opportunitäten mitbestimmt sein.

Sei es der einleitend genannte Fonds, der auf Eigenkapitalbeteiligung an Projektgesellschaften abzielt und so die Neubauprojektpipeline unterschiedlicher Entwickler übernimmt. Das Familienunternehmen, das den Einstieg in ausgesuchte Projekte plant, oder die Versicherung, die ausdrücklich auf Notverkäufe wartet respektive über die Rettung von Projekten nachdenkt, wenn sich dementsprechende Preise bieten. Es ist kein Geheimnis, dass eigenkapitalstarke Anleger günstig in stockende Entwicklungen einsteigen, die sie dann zu Ende bringen, oder ihr Engagement dort ausbauen. Die benannten Fälle sind alle öffentlich bekannt und nur die Spitze des Eisbergs. Die meisten Notverkäufe werden aktuell bewusst unter dem Radar gehalten.

Es geht darum, Flächenpotenziale zu nutzen

Beim Einstieg in Projektentwicklungen stehen einerseits Neubauten im Fokus, die geplant sind oder sich in der Realisierung befinden: Sie bieten besondere Chancen auf Taxonomiekonformität. Neubauten können insofern positiv auf das Gesamtportfolio aller Anlageklassen wirken. Hinzu kommen die mit Immobilien assoziierten Vorteile wie Inflationsschutz. Andererseits dürfte es auch vermehrt Übernahmen von Projektentwicklungen im Bestand geben: Dort liegt die Chance darin, noch Flächenpotenziale wahrzunehmen und dadurch die entsprechenden Immobilienwerte zu schöpfen. Durch Umbau nicht mehr zeitgemäßer Bürogebäude beispielsweise – eine derartige Projektentwicklung im Bestand wurde jüngst in Berlin von einem Familienunternehmer übernommen, der dort bereits Anteilseigner war und – wie berichtet wurde – schließlich auch sämtliche übrigen Anteile mit einem Abschlag vom Buchwert erworben hat.

Die Weiterentwicklung neuer Projekte und das Heben besagter Potenziale im Bestand dürften allerdings in der Breite nur selten über eigene Projekt- und Bauteams erfolgen. Gerade dann, wenn es sich um gute, aber eben auch um komplexe Mixed-Used-Quartiere oder -Einzelobjekte handelt, die mit ihren Abhängigkeiten der Nutzungsarten untereinander zu einer besonders komplexen Disziplin der ohnehin anspruchsvollen Projektentwicklung gehören.

Eher dürfte man in solchen Fällen auf vorhandene Expertise am Markt zurückgreifen und erfahrene Unternehmen als Umsetzungspartner hinzuziehen. Viele Entwickler sind darauf vorbereitet, dass man auf sie zugeht. Es war schlicht und ergreifend ausreichend Zeit, sich auf derartige „Service Development“-Dienstleistungen einzustellen. 

Alle sahen die Immobilienkrise kommen

Denn anders als in früheren Krisen, die durch einen zentralen Schockmoment mehr oder weniger schlagartig ausgelöst wurden, hat sich die aktuelle Situation durch mehrere, sich überlagernde Momente zeitversetzt – wenngleich mit großer Dynamik – aufgebaut. Der Branche war bereits Mitte der vergangenen Dekade bewusst, dass die Kombination dieser Faktoren nicht mehr lange anhält. In den jährlichen Trendbarometern von EY Real Estate äußerten die Umfrageteilnehmer immer wieder aufs Neue, dass sie bestenfalls mit einer Seitwärtsbewegung oder eben einem Abschwung für die kommenden zwölf Monate rechneten.

Dass der Boom nicht schon 2015 oder 2016 seinen Höhepunkt überschritten hat, war in weiten Teilen zinsgetrieben. Auch das wussten alle: Eine Zinswende beendet die Party. Und dass die Europäische Zentralbank reagieren würde, war schon nach der ersten Inflationswelle infolge der Corona-Pandemie und spätestens durch die zweite nach dem russischen Angriff auf die Ukraine abzusehen. Dafür sorgten nicht zuletzt die enorme Baukostensteigerung und die unterbrochenen Lieferketten.

 

Aber zurück zum Service Development: Die Dienstleistungen, die jetzt gefragt sind, umfassen anders als früher kein „Bestellen“ von Immobilien. Stattdessen bezieht sich die Dienstleistung auf die komplette Organisation aller Prozesse und Gewerke aus einer Hand – Fee-basiert – sowie auf das Verstehen des genauen Anforderungsprofils, das sich von Auftraggeber zu Auftraggeber stark unterscheidet. Die möglichen gefragten Leistungen beginnen bei der Akquisition des richtigen Projekts und führen über die Kalkulation bis hin zur Realisierung gemäß neuen Bautechniken. Solche Modelle sind beispielsweise in den USA seit Jahren Praxis. 

Die Auswahlkriterien der Anleger für ihre Dienstleister dürften darüber hinaus mehrere weitere wesentliche Punkte berühren. Erstens: einen vertrauensbildenden Track-Record. Zweitens: nachweisbare Entwicklerkompetenz. Drittens: die Fähigkeit des Dienstleisters zur flexiblen und modularen Projektstrukturierung.

Immobilienentwicklung bleibt Königsklasse

Ein aktuelles Beispiel für die Übernahme von Teilleistungen findet sich in Frankfurt am Main. Dort wurde ein Entwickler für die bereits begonnene Revitalisierung und Umnutzung eines Bürogebäudes im Frankfurter Westend engagiert, die gesamte technische Projektleitung und die Planung der ESG-Maßnahmen zu koordinieren. Beim Bauherrn verbleibt in diesem Fall lediglich die kaufmännische Abwicklung.

Gerade das Thema Modularität ist keine Überraschung: Immobilienentwicklung ist und bleibt die Königsklasse innerhalb der Immobilienwirtschaft und viele Unternehmen nähern sich diesem Thema mit einer unterschiedlichen Schwerpunktsetzung. Das macht es umso wichtiger, in herausfordernden Zeiten Kooperationen einzugehen.

ESG-Kompetenz macht den Unterschied

Noch dazu ist die Immobilienentwicklung ein „People Business“. Und letztendlich bietet die modulare Beauftragung, die sich beispielsweise zunächst auch auf die Optimierung des Bauplanungsrechts beschränken kann, die Chance, die Verlässlichkeit des Partners im laufenden Projekt zu überprüfen – ohne sich gleich bis zur gemeinsamen baulichen Umsetzung oder zur Vermarktung zu verpflichten. 

 

Ein weiterer wichtiger Punkt ist sicherlich die eben genannte erforderliche ESG-Kompetenz: Verständnis und Ansätze, wie Immobilien im Hinblick auf die einzelnen ESG-Felder optimiert werden können, unterscheiden sich von Eigentümer zu Eigentümer und natürlich von Projekt zu Projekt enorm. Wo steht eine Immobilie auf dem Pfad zur Klimaneutralität? Wie steht es um die Lieferkettensorgfalt rund um den (Um-)Bau, Stichwort Governance?

Das sind alles große Fragen, ohne die es definitiv heute nicht mehr geht. Und die für jeden konkreten Fall operationalisiert und schnellstmöglich in geeignete Zielkennziffern überführt werden müssen. Schon weil immer mehr Unternehmen ESG-Reporting-Pflichtig werden, es bislang aber oft an der Datenerhebung und -auswertung mangelt. Für den Entwickler, der als Service Developer dazukommt, bedeutet das: ESG-Grundlagenarbeit und -Maßnahmenfindung müssen aufgrund des Drucks durch Regulatorik und Markt oft Hand in Hand gehen. 

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Über die Autorin

Silvia Wolf ist seit 2020 Leiterin Akquise und Geschäftsentwicklung (Head of Acquisition and Business Development) bei der Rosa-Alscher Group. Der Projektentwickler hat seit der Gründung vor knapp  40 Jahren Projekt im Wert von gut einer Milliarde Euro realisiert und Büros in München und Miami.

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