ESG im Doppel-Interview „Es besteht die Gefahr des Aktionismus“

Stephan Bannier (l.) und Christina Bannier im Interview:

Stephan Bannier (l.) und Christina Bannier im Interview: Foto: Generali Investments / Katrina Friese

Christina Bannier ist Professorin an der Justus-Liebig-Universität in Gießen und Inhaberin des Lehrstuhls für Banking & Finance. Ferner sitzt sie im Aufsichtsrat der Fondsgesellschaft DWS. Stephan Bannier ist ihr Ehemann und beruflich ebenfalls in der Finanzwelt zu verorten. Er leitet den Vertrieb bei der Fondsgesellschaft Generali Investment. Im Gespräch gewähren sie Einblicke in eines der am heißesten diskutierten Themen der Finanzbranche.

private banking magazin:  Frau Bannier, thematisiert Ihr Lehrstuhl das Thema Nachhaltigkeit schon lange oder ist das erst in jüngerer Zeit aufgekommen?

Christina Bannier: Wir beschäftigen uns in der Wissenschaft schon seit längerer Zeit damit, wenn auch zunächst unter anderen Begriffen wie „Corporate Social Responsibility“. Der Fokus lag damals eher auf Unternehmensverantwortung ganz allgemein. Aspekte wie Umwelt und Klima sind erst durch die gesellschaftlichen Debatten der letzten Jahre stärker in den Vordergrund gerückt. Insofern hat sich der Schwerpunkt etwas verschoben, aber die Grundfrage, wie sich Nachhaltigkeit und Finanzwelt verbinden lassen, steht schon länger im Raum.

Worauf führen Sie die stärkere Betonung von ökologischen Aspekten zurück?

Christina Bannier: Das hängt eng mit den öffentlich geführten Diskursen zusammen, zum Beispiel zum 1,5-Grad-Ziel oder der Fridays-for-Future-Bewegung. Solche gesellschaftlichen Debatten nehmen wir als Forscherinnen und Forscher natürlich wahr und überlegen dann, was das für unseren Untersuchungsbereich bedeutet. Wenn sich der Fokus der öffentlichen Wahrnehmung verschiebt, passen wir auch die Forschungsfragen an. Gleichzeitig braucht die Wissenschaft immer passende Daten, um ein Thema empirisch untersuchen zu können. Gerade im Bereich Klima und Umwelt sind die verfügbaren Datensätze in den letzten Jahren viel umfangreicher und aussagekräftiger geworden. Das ermöglicht erst eine fundierte akademische Auseinandersetzung mit der Materie. Datenverfügbarkeit und gesellschaftliche Diskurse bedingen sich also gegenseitig und führen zusammen zu einer stärkeren Beschäftigung der Finanzforschung mit ökologischer Nachhaltigkeit.

 

Herr Bannier, auch auf Seiten der Finanzpraxis scheint das Thema Nachhaltigkeit aktuell ganz oben auf der Agenda zu stehen. Was sind Ihre Beobachtungen dazu?

Stephan Bannier: Das Thema ist in der Tat sehr präsent. Ich habe kurz überlegt: Wie würde ich die Frage beantworten, wenn sie an meine Frau gerichtet wäre? Meines Erachtens geht die gesteigerte Aufmerksamkeit für ESG und Nachhaltigkeit in zwei Richtungen: Einerseits sehen wir einen deutlichen Wandel im gesellschaftlichen Bewusstsein, vor allem bei der jüngeren Generation. Stichwort Fridays for Future oder Menschen, die sich aus Protest gegen Untätigkeit beim Klimaschutz auf die Straße kleben.

Christina Bannier und Stephan Bannier beim Interview.

In der Breite der Bevölkerung findet ein Umdenken statt. Und zwar nicht nur bei denjenigen, die jetzt aktiv protestieren. Auch der „normale Bürger“ setzt sich verstärkt mit Fragen der Nachhaltigkeit auseinander und hinterfragt seinen Lebensstil. Andererseits ist das Thema stark durch die Regulierung getrieben. Die Politik und Aufseher sehen Handlungsbedarf und setzen die Finanzindustrie unter Zugzwang, Nachhaltigkeitsaspekte stärker in ihre Prozesse zu integrieren. Diese zwei Faktoren zusammen – gesellschaftlicher Wandel und Regulierungsdruck – erzeugen gerade eine enorme Dynamik, die das Thema Nachhaltigkeit weit oben auf die Managementagenda der Finanzbranche katapultiert hat.

„Der konkrete Handlungsdruck kommt ganz klar aus der Regulierung“

Christina Bannier: Dem kann ich grundsätzlich zustimmen. Wobei ich schon den Eindruck habe, dass die Regulierung hier eine sehr aktiv gestaltende Rolle einnimmt. Die Finanzindustrie war vielleicht dazu bereit, sich dem Thema stärker zu widmen. Aber der konkrete Handlungsdruck kommt ganz klar aus der Regulierung, man denke nur an Maßnahmen wie die EU-Taxonomie. Insofern würde ich die Richtung der Kausalität etwas anders betonen: Die Politik fordert und fördert Nachhaltigkeit im Finanzsektor, also springen die Unternehmen auf den Zug auf. Nicht immer ganz freiwillig, aber im Zusammenspiel entsteht eine enorme Dynamik.

Stephan Bannier: Das ist sicher richtig. Die Regulierung gibt sehr konkrete Impulse in Richtung ESG-Integration und Nachhaltigkeit. Ich sehe allerdings auch die Gefahr, dass dieser Regulierungsdruck über das Ziel hinausschießt. Wenn komplexe neue Berichtspflichten eingeführt werden, noch bevor geklärt ist, wie die Anforderungen überhaupt zu erfüllen sind, dann läuft meines Erachtens etwas schief. Einige der neuen Vorgaben erzeugen vor allem erst einmal jede Menge Bürokratie und zusätzlichen Aufwand für die Institute, aber der konkrete Mehrwert bleibt fraglich. Stattdessen wäre es meines Erachtens sinnvoller, über freiwillige Branchenstandards nachzudenken und vor allem die Kunden stärker in den Dialog einzubeziehen. Durch mehr Transparenz und Aufklärung ließe sich meiner Meinung nach mehr Nachhaltigkeit im Finanzsektor erreichen als durch immer neue komplexe Auflagen, die am Ende vielleicht sogar kontraproduktiv wirken.

 

Wo sehen Sie beide die größten Herausforderungen für die Branche beim Thema Nachhaltigkeit?

Christina Bannier: Aus meiner Sicht – und da beruht meine Einschätzung auch auf entsprechenden Studien – besteht eine der Hauptschwierigkeiten darin, dass noch nicht hinreichend klar ist, wie die Regulierung umzusetzen ist. Beispielsweise hat die Politik mit der EU-Taxonomie ja versucht, eine Art Klassifikationssystem für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten zu schaffen. Die eigentliche Definition, was unter die Taxonomie fällt und was nicht, hat sich aber erst nach und nach herauskristallisiert