EU-Taxonomie „Es darf sich nicht auf politische Beweggründe stützen“

Sarah Peasey, Nachhaltigkeits-Chefin von Neuberger Berman

Sarah Peasey, Nachhaltigkeits-Chefin von Neuberger Berman: „Kernenergie kann entscheidend zur Dekarbonisierung des Energiesystems beitragen.“ Foto: Neuberger Berman

Mittlerweile ist es beschlossene Sache: Ab 2023 sollen Atom- und Gaskraftwerke unter Auflagen als nachhaltig gelten. Das hat die EU-Kommission trotz Kritik nun umgesetzt. Ihr Ziel ist es, beide Technologien als begleitende Übergangslösungen für die erneuerbaren Energien einzusetzen. Theoretisch könnte das Europäische Parlament ein Inkrafttreten der Regeln zwar noch verhindern, die dafür notwendige absolute Mehrheit gilt aber als unwahrscheinlich. Diese Entwicklung ist richtig.

Die Abkehr von unserem bestehenden globalen Energiesystem ist von größter Bedeutung und wir müssen die damit verbundenen Herausforderungen anerkennen: Soll das 1,5 Grad Ziel noch erreicht werden, so muss die gesamte Weltwirtschaft in weniger als 30 Jahren umgestaltet werden. Gleichzeitig soll dabei wirtschaftliche Stabilität erhalten und fairer Zugang zu Energie in den Entwicklungsländern gewährleistet werden. Der Übergang zu einer neuen, sauberen Energiegewinnung erfordert dabei nicht nur erhebliche Veränderungen in der Technologie, sondern auch in der Politik, der Regulierung und im Verhalten der Nutzer auf der ganzen Welt.

Die Zeit für Gegenmaßnahmen läuft uns unterdessen davon. Die letzte Klimakonferenz COP26 hat die großen Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern in der Verfolgung der Klimaziele deutlich gemacht. Es ist kein Geheimnis, dass die Aufnahme von Erdgas und Kernenergie in das gemeinsame Klassifizierungssystem für einige EU-Länder einen Kompromiss darstellt. Blickt man jedoch über die Schlagzeilen hinaus, sind wir der Meinung, dass die eingeführten technischen Prüfkriterien einen ausreichenden Schutz gegen die Fehlallokation von Kapital für Branchen und Unternehmen bieten, die keine Rolle bei der Energiewende spielen.

Kernenergie und Gas werden nur unter Bedingungen in die Taxonomie aufgenommen. Dazu zählt die Vorschrift, dass alle Kernenergie-Projekte vor 2045 und alle Erdgas-Projekte vor 2030 genehmigt sein müssen. Auch die Einhaltung von Sicherheitsanforderungen im Zusammenhang mit der Entsorgung radioaktiver Abfälle sowie Emissions-Grenzen aller mit Erdgas verbundenen Aktivitäten werden vorgeschrieben. Direkte Emissionen dürfen einen Wert von 270 Gramm Kohlenstoffdioxid pro Kilowattstunde (CO2e/kWh) nicht überschreiten. Wichtig zu betonen ist dabei auch, dass der endgültige Rechtsakt derzeit noch zur Prüfung steht und vor der formellen Ratifizierung durch das Europäische Parlament und den Europarat noch geändert werden kann.

Erdgas kann nicht als dauerhafte Lösung für die Zukunft angesehen werden

Erdgas ist ein fossiler Brennstoff, der im Vergleich zur Kohle sowohl bei der industriellen Anwendung als auch bei der Energieerzeugung unbestreitbar einen deutlich geringeren CO2-Ausstoß aufweist. Erdgas spielt daher in den meisten Modellen für das Energiesystem bis 2050 eine wichtige Rolle. Aber wir müssen auch realistisch betrachten, dass Erdgas keine dauerhafte Lösung für die Zukunft ist, sofern es nicht zusammen mit Carbon-Capture-and-Storage-Technologie (CCS) eingesetzt wird. Mithilfe dieser Technologien kann beispielsweise CO2 aus der Atmosphäre entzogen und in tief liegenden Erdschichten gebunden werden.

Eine der größten Sorgen im Zusammenhang mit Erdgas ist das Austreten von Methan. Können große Methan-Lecks nicht verhindert werden, untergräbt das schnell die Umweltvorteile, die sich gegenüber der Kohle ergeben. Eine der guten Nachricht der COP26 war, dass sich mehr als 100 Länder dazu verpflichtet haben, ihre Methanemissionen in den nächsten zehn Jahren um mindestens 30 Prozent zu senken. China, Russland und Indien waren zwar nicht darunter, immerhin elf der zwanzig Unternehmen mit dem höchsten Methanausstoß fallen aber unter dieses Versprechen.

Kernenergie als Treiber der Dekarbonisierung

Wenn es um die saubere Zukunft der Energieversorgung geht, bietet die Kernenergie ohne Zweifel ähnliche kohlenstoffarme Eigenschaften wie die erneuerbaren Technologien. Ohne direkt verursachte Kohlenstoffemissionen und mit einer hohen Verfügbarkeit von 80 bis 90 Prozent könnte die Kernenergie entscheidend zur Dekarbonisierung des Energiesystems beitragen. Darüber hinaus fängt sie den derzeitigen Nachfrage- und Preisdruck auf das öffentliche Versorgungsnetz ab.

In der Vergangenheit war der Ruf der Kernenergie allerdings durch schwere Sicherheitsmängel und hohe Investitionskosten zu Recht belastet. Budget-Überschreitungen, mangelnde wirtschaftliche Tragfähigkeit und gesellschaftliche Bedenken belasteten die Wahrnehmung der Kernenergie in der westlichen Welt. In Asien dagegen stellte der Kernenergiesektor in dieser Zeit bereits ein attraktives Investment dar. Das Ziel einer autarken Energieversorgung, während gleichzeitig Klimaversprechen eingehalten werden mussten sowie ein großes Wachstumspotenzial dank einer niedrigen Ausgangsbasis des Kernenergieausbaus wirkten vielversprechend auf Investoren.

Dank umfangreich verbesserter Sicherheitssysteme, neuer Technologien zum Schutz der Reaktorkerne und geringeren Mengen radioaktiver Abfälle scheint sich die Wahrnehmung der Kernenergie mittlerweile auch hierzulande zu verändern. Hinzu kommt, dass das Bewusstsein für die Erschwinglichkeit der Kernenergie steigt. Im Vergleich zu den meisten thermischen Lösungen zur Stromerzeugung, – wie zum Beispiel Erdgas – die CCS-Lösungen erfordern, fällt sie kosteneffizienter aus.