Analyse mit Fallbeispiel Wie sich Machine Learning für die Asset Allocation nutzen lässt

Vladislav Gounas vom Deutsche Oppenheim Family Office untersucht in einem Fallbeispiel, wie sich Machine-Learning-Algorithmen in der Portfoliokonstruktion einsetzen lassen.

Vladislav Gounas vom Deutsche Oppenheim Family Office untersucht in einem Fallbeispiel, wie sich Machine-Learning-Algorithmen in der Portfoliokonstruktion einsetzen lassen. Foto: Deutsche Oppenheim Family Office

Harry Markowitz hat einst seine Portfoliotheorie damit beschrieben, dass Investoren nicht alle Eier in nur einem Korb tragen sollten. Dass ein effizientes Portfolio hinreichend diversifiziert sein sollte, ist heute Marktstandard. So revolutionär die Theorie von Markowitz zu seiner Zeit (1952) auch war, so veraltet sind heute die Annahmen, auf denen sie aufbaut.

Zum einen impliziert das Modell eine Normalverteilung für Renditen und unterschätzt somit systematisch Extremrisiken wie eine Finanzkrise 2008. Zum anderen wird ein linearer Zusammenhang zwischen Assetklassen postuliert, obwohl Kapitalmärkte hochgradig komplex und nichtlinear sind. Möchte ein Investor nun sein Portfolio langfristig im Rahmen der Strategischen Asset-Allokation (SAA) ausrichten, bedarf es anderer Methoden. Das Gute: die finanzwissenschaftliche Welt hat sich seit Markowitz weiterentwickelt.

Wie Machine Learning helfen kann

Machine Learning ist ein breiter Begriff für mathematische Optimierungsprobleme. Typische Anwendungsbereiche finden sich in der Bilderkennung oder der Wortvorhersage in Sätzen wie bei der KI-Software ChatGPT. Auch in der Finanzwissenschaft werden Machine-Learning-Algorithmen seit Jahren erfolgreich angewendet, um (quadrierte) Renditen vorherzusagen oder Zusammenhänge in Kapitalmärkten zu beschreiben.

Um den Nutzen von Machine Learning in der Portfoliokonstruktion zu demonstrieren, befassen wir uns beispielhaft mit der Frage, wie die Diversifikationseigenschaften von Unternehmensanleihen in der SAA aussehen. Lohnt es sich, Unternehmensanleihen strategisch im Portfolio beizumischen (wie es in einer Markowitz Welt stets der Fall ist) oder gibt es bessere Alternativen? Diese Frage werden wir mittels Machine Learning beantworten.

Als Datensatz verwenden wir die monatlichen logarithmierten Renditen vom iBoxx Euro Corporates, Barclays Euro Treasuries und MSCI Europe. Die klassische Theorie besagt, dass Unternehmensanleihen ein Hybrid aus Zins- und Aktienrisiko darstellen. Je schlechter die Bonität, desto ausgeprägter das Aktienrisiko, das die Risikoprämie von Unternehmens- gegenüber Staatsanleihen erklärt. Ceteris paribus sollte sich der iBoxx Euro Corporates durch den Barclays Euro Treasuries (Zinsrisiko) und MSCI Europe (Aktienrisiko) erklären lassen. Die Verteilungen der monatlichen log-Renditen werden in der folgenden Grafik zusammengefasst.

Verteilungen empirischer monatlicher log-Renditen 

Quelle: Bloomberg Finance L.P., eigene Darstellung, Stand: August 2023 Wertentwicklungen der Vergangenheit sind keine geeigneten Indikatoren für die zukünftige Wertentwicklung.
Wertentwicklungen der Vergangenheit sind keine geeigneten Indikatoren für die zukünftige Wertentwicklung. © Bloomberg Finance L.P., eigene Darstellung, Stand: August 2023

Während wir noch mit dem bloßen Auge erkennen können, dass zwischen Unternehmens- und Staatsanleihen ein positiver Zusammenhang besteht (obere mittlere und mittlere linke Grafik), ist die Beziehung zu Aktien und die Interaktion zwischen Staatsanleihen und Aktien weniger trivial. Machine Learning Algorithmen haben den Vorteil, dass sie völlig befreit von Annahmen und Prognosen sind. Stattdessen lassen sie den Datensatz für sich sprechen, um aus diesem direkt Strukturen und Zusammenhänge abzuleiten.

In der Machine Learning Literatur existieren verschiedene Algorithmen, um Datensätze zu analysieren. Eine der populärsten Methoden ist das neuronale Netzwerk, das wir im Folgenden trainieren, um Unternehmensanleihen in Abhängigkeit von Staatsanleihen und Aktien zu beschreiben. In der unteren Grafik wird das Ergebnis dargestellt. Die schwarze Linie symbolisiert einen perfekten Zusammenhang und wir erkennen, dass die vom Netzwerk prognostizierten log-Renditen sich nahe der Linie befinden.

Neuronales Netzwerk: Modellgüte für Unternehmensanleihen
Neuronales Netzwerk: Modellgüte für Unternehmensanleihen © Deutsche Oppenheim Family Office AG, Stand: August 2023

Entgegen der Intuition wäre es tatsächlich problematisch, wenn alle Punkte genau auf der Linie landen würden. Dies wäre ein Indiz dafür, dass unser Algorithmus den Datensatz auswendig gelernt hätte („Overfitting“), worunter die Prognosekraft bei neuen Datenpunkten erheblich leiden würde. Um Overfitting auszuschließen, ist deshalb eine gewisse Streuung wünschenswert. Mit einer durchschnittlichen absoluten Abweichung zwischen empirischer und prognostizierter log-Rendite von rund 40 Basispunkten liefert das neuronale Netzwerk gute Ergebnisse.

Der Mythos der Black Box

An dieser Stelle stellt sich die Frage, wie vertrauenswürdig die Ergebnisse sind. Immer wieder wird über Machine-Learning-Algorithmen gesagt, es handele sich um eine „Black Box“, deren Entscheidungsfindung für Menschen intransparent ist. Wer Algorithmen einfach nur blind vertraut, ohne sie im Kern zu verstehen, nimmt versteckte Risiken in Kauf. Im schlimmsten Fall kann dies im Totalverlust enden, wie mancher Quant-Fonds am eigenen Leib erfahren musste. Aus diesem Grund ist es notwendig, eine Black Box in eine „White Box“ umzuwandeln. Hierzu bedienen wir uns der kooperativen Spieltheorie: dem sogenannten Shap-Wert.

 

Benannt nach seinem Erfinder Lloyd Shapley (1953) handelt es sich beim Shap-Wert um eine Kennzahl, die den Beitrag einzelner Spieler zum Teamerfolg misst. Je höher der Shap-Wert eines Spielers, desto größer sein Beitrag zum Gesamtergebnis. In unserem Fall ist das Ergebnis die vom neuronalen Netzwerk prognostizierte log-Rendite von Unternehmensanleihen. Bei den Spielern handelt es sich um die log-Renditen von Staatsanleihen und Aktien. Die Shap-Werte für unser neuronales Netzwerk entnehmen wir der folgenden Grafik.

Einfluss von Staatsanleihen und Aktien auf Unternehmensanleihen 

Dummy
© Deutsche Oppenheim Family Office AG, Stand: August 2023

Zunächst sei angemerkt, dass die Spieler – in unserem Fall Faktoren – nach ihrer Wichtigkeit geordnet sind. Das bedeutet, laut unserem Netzwerk weisen Staatsanleihen einen höheren Erklärungsgrad für Unternehmensanleihen auf als Aktien. Weiterhin existiert ein positiver Zusammenhang: hohe/niedrige log-Renditen bei Staatsanleihen und Aktien gehen mit hohen/niedrigen log-Renditen bei Unternehmensanleihen einher. Wie sieht der direkte Zusammenhang aus?

Zwischen Unternehmens- und Staatsanleihen unterstellt unser Netzwerk eine lineare Beziehung. Dies impliziert, dass Änderungen in der Zinsstrukturkurve denselben Effekt auf Unternehmens- wie auf Staatsanleihen aufweisen.

Zusammenhang zwischen Unternehmensanleihen und Staatsanleihen 

Dummy
© Deutsche Oppenheim Family Office AG, Stand: August 2023

Interessanter ist der Zusammenhang zwischen Unternehmensanleihen und Aktien. Hier erkennen wir ein klares, nichtlineares Verhältnis. Insbesondere in negativen Aktienmarktverläufen steigt das Aktienrisiko von Unternehmensanleihen – genau dann, wenn wir kein Aktienrisiko haben wollen.

Zusammenhang zwischen Unternehmensanleihen und Aktien 

Deutsche Oppenheim Family Office AG, Stand: August 2023
© Deutsche Oppenheim Family Office AG, Stand: August 2023

Erkenntnisse für die SAA

Welche Schlussfolgerungen ergeben sich nun für die Portfoliokonstruktion? Unser Machine-Learning-Algorithmus lehrt uns, dass Unternehmensanleihen sich nur bedingt als Diversifikator im Portfolio eignen, weil die Korrelation zu Aktien in negativen Kapitalmarktverläufen ansteigt. In anderen Worten: für ein effizientes Portfolio ist eine Beimischung von Unternehmensanleihen nicht zwingend notwendig.

Wer der ganzen Mathematik misstraut, kann die obige Kernaussage mit einem simplen Experiment testen. Unser Netzwerk schlussfolgert aus den Daten, dass Unternehmensanleihen ein nichtlineares Aktienrisiko aufweisen, das vornehmlich in Stressphasen zunimmt. Angenommen diese Aussage stimmt, erwarten wir, dass ein Portfolio mit linearem Aktienrisiko ein besseres Rendite-Risiko-Profil aufweist.

Vergleichen wir deshalb die historische Wertentwicklung von Unternehmensanleihen mit einem Portfolio bestehend aus 90 Prozent Staatsanleihen und 10 Prozent Aktien. Wie in der unteren Grafik zu erkennen, hat sich das Portfolio mit linearem Aktienrisiko (orange Linie) über die letzten 25 Jahre besser entwickelt. Gleichzeitig hat das Portfolio in Krisenphasen geringere Verluste als ein breit diversifizierter Index aus Unternehmensanleihen erlitten. Somit bestätigt der historische Vergleich die Ergebnisse des neuronalen Netzwerks.

Historische Wertentwicklung im Vergleich 

Wertentwicklungen der Vergangenheit sind keine geeigneten Indikatoren für die zukünftige Wertentwicklung.
Wertentwicklungen der Vergangenheit sind keine geeigneten Indikatoren für die zukünftige Wertentwicklung. © Bloomberg Finance L.P., eigene Darstellung, Stand: August 2023

Heißt das jetzt, Unternehmensanleihen sind als Assetklasse für jeden Anleger redundant? Keineswegs. Zum einen sind manche Investoren durch Anlagerichtlinien oder interne/externe Kriterien in ihrer maximalen Aktienquote begrenzt. In diesen Fällen kann eine strategische Beimischung von Unternehmensanleihen durchaus sinnvoll sein, um indirekt Aktienrisiko aufzubauen. Zum anderen können Unternehmensanleihen aus taktischer Sicht interessante Opportunitäten bieten. So erkennen wir in der oberen Grafik, dass in den Stressphasen 2008 und März 2020 mit Unternehmensanleihen taktisch hohe Renditen erzielbar gewesen wären.

In dieser Studie haben wir gelernt, wie Machine-Learning-Algorithmen uns dabei unterstützen können, die Komplexität von Kapitalmärkten greifbar zu machen. Assetklassen stehen in nichtlinearen Beziehungen zueinander und mittels Machine Learning können wir diese Beziehungen eruieren. Unternehmensanleihen stellen hierbei nur eine von vielen Assetklassen dar. Um langfristig effizient investiert zu sein, bedarf es einer Gesamtvermögensanalyse, die in der SAA erfolgt.


Über den Autor: 

Vladislav Gounas ist seit 1. April 2023 Abteilungsleiter Quantitative Investment Solutions (QIS) und Teil der erweiterten Geschäftsführung des Deutsche Oppenheim Family Office. In dieser Funktion leitet er die Strategische Asset Allokation und ist für das operative Management der Passiv-Plus-Dachfonds verantwortlich.

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