Unternehmensanleihen Ist 2023 das Jahr für Investment-Grade-Anleihen?

Tom Murphy ist Leiter Investment Grade Credit US bei Columbia Threadneedle Investments.

Tom Murphy ist Leiter Investment Grade Credit US bei Columbia Threadneedle Investments. Foto: Columbia Threadneedle

Praktisch alle Anleihenmärkte entwickelten sich im vergangenen Jahr so schlecht wie selten zuvor. Grund war vor allem die aggressive Straffung der Geldpolitik durch die US-Notenbank. Vom Rekordtief während der Covid-19-Pandemie im Jahr 2020 hob die Federal Reserve (Fed) die Zinssätze auf ein Niveau an, das die meisten von uns als eher normal ansehen würden. Diese Entwicklung war für Anleihen allerdings schmerzhaft. 

Großteil der Zinssteigerungen überwunden

Glücklicherweise dürften wir den Großteil der Zinsschmerzen nun aber hinter uns haben. Was jedoch noch wichtiger ist: Festverzinsliche Anlageklassen bieten jetzt attraktive Renditen, die einen Puffer gegen einen weiteren Zinsanstieg bieten können. Dies gilt auch für Unternehmensanleihen mit Investment-Grade-Rating (IG). Diese erlitten Rückschläge und erlebten 2022 eine Achterbahnfahrt.  

Zu beachten ist jedoch: Bis November 2022 waren etwa 80 Prozent der schlechten Gesamtrenditen bei den Indizes für Unternehmensanleihen mit Investment-Grade-Rating auf Zinsänderungen zurückzuführen und weniger als 20 Prozent auf Spread-Ausweitungen aufgrund von Bonitätsbedenken.

Fundamentaldaten treiben Renditen 

Die Fundamentaldaten der Unternehmen werden die Renditen entscheidend beeinflussen. Wenn der Markt nicht mehr nur auf die aggressive Straffung der Geldpolitik durch die Fed schaut, sondern auf die Folgen dieser Maßnahmen, wird er stärker differenzieren. Dabei geht es insbesondere darum, wie widerstandsfähig die Unternehmen im aktuellen Umfeld sind.

Dies begünstigt jene Anleger, die ihre Anleihen nach dem Bottom-up-Prinzip wählen, und unterstützt sie dabei, Alpha zu generieren. Wir glauben, dass der Markt 2023 ein Markt für Credit Picker bleiben wird.

Technische Aspekte nicht vernachlässigen

Eine nicht minder wichtige Rolle spielen zudem die technischen Aspekte der Märkte. Die Nachfrage entlang der Fälligkeitskurve war relativ stark, während die Nachfrage im kurzen und mittleren Teil des IG-Credit-Marktes relativ schwach war – mit dem Ergebnis, dass sich die Renditekurve abgeflacht hat.

Das ist unserer Ansicht nach auf die beträchtlichen Zukäufe von Pensionsfonds und Versicherungen zurückzuführen, für die die Renditen am Ende der Fälligkeitskurve verlockend sind – die günstigen Dollarkurse sind ein nettes Bonbon. Demgegenüber stehen die starken Verkäufe von Investmentfonds und ETFs, die sich hauptsächlich auf das kurze Ende und den Bauch der Kurve konzentrieren.

Kennzahlen bleiben gut

Für Investoren, die wissen, wie man Anleihen richtig auswählt, dürften sich noch vielversprechende Anlagemöglichkeiten ergeben. Denn die Kennzahlen der Unternehmen in unserem Research-Universum – Cashflow-Generierung, Gewinnspannen und Verschuldungsgrade – liegen aktuell nahe an den besten Werten der letzten zehn Jahre.

Die jüngsten Trends bei den Rating-Agenturen bestätigen diese Ansicht: In den letzten zwei Jahren war die Zahl der „Fallen Angels“ (IG-Unternehmen, die auf High Yield herabgestuft wurden) auf dem tiefsten Stand seit 1997. Auch der Anteil am BBB-Index war in den letzten zwei Jahren so niedrig wie nie zuvor. Die Ratingagenturen neigen im Gegenteil eher dazu, Unternehmen heraufzustufen. 

Hohe Liquidität, durchschnittliche Spreads und hohe Unternehmensrenditen

Darüber hinaus begaben IG-Unternehmen im Jahr 2020 Anleihen im Volumen von 2,1 Billionen US-Dollar, um ihre Liquidität angesichts der unsicheren Geschäftslage im Zusammenhang mit der Pandemie zu erhöhen. 2021 nahmen sie dann weitere 1,8 Billionen US-Dollar auf, da sowohl die Zinssätze als auch die Spreads günstig waren. Ein Großteil dieser zusätzlichen Liquidität befindet sich immer noch in den Bilanzen der Unternehmen. Das verschafft ihnen eine enorme finanzielle Flexibilität in diesen unsicheren wirtschaftlichen Zeiten.

Zusammen mit Spreads, die ungefähr dem langfristigen Durchschnitt entsprechen, und Unternehmensrenditen, die den höchsten Stand seit 2009 erreicht haben, sehen wir eine Fülle solider Relative-Value-Chancen, aus denen sich Kundenportfolios zusammensetzen lassen.

IG-Rendite im Vergleich zum Index   

IG-Rendite im Vergleich zum Index
Die durchschnittliche Rendite neu emittierter Investment-Grade-Schuldtitel liegt derzeit rund 230 Basispunkte über dem durchschnittlichen Kupon des Bloomberg-Index, was sich möglicherweise negativ auf neue Angebote auswirkt.
© Columbia Threadneedle Investments auf der Grundlage des Bloomberg US Corporate Bond Index, einer Kennzahl für den US-Investment-Grade-Markt. Daten von Januar 2023

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Spread-Ausweitung und Pessimismus der Märkte übertrieben

Die Märkte funktionieren als vorausschauender Diskontierungsmechanismus. Heute scheint es, als positionierten sich Investoren allmählich für die Zeit nach den Zinserhöhungen der Fed und es sieht so aus, als sei das passendere Szenario in Bezug auf die Fed eine Pause der Zinserhöhungen und kein Kurswechsel. Dies dürfte Anleihen zugutekommen – es sei denn, die Marktteilnehmer bekommen das Gefühl, dass die Fed zu weit gehen und der Wirtschaft schaden könnte. In diesem Fall würden die Renditen der US-Staatsanleihen anziehen. Das würde wiederum Titeln mit längerer Laufzeit zugutekommen.

Nicht nur die Zinsen, sondern auch die Gesamtwirtschaft beeinflussen die Spreads: In einer Rezession etwa weiten sie sich für gewöhnlich aus – das ist wohl keine Überraschung. Allerdings ist das Faktenmuster in jedem Fall anders. Niemand kann einfach auf eine Linie in einem Diagramm schauen und sagen, dass die Indexspreads auf einen Wert „x“ steigen werden. Unserer Meinung nach nähern sich die Märkte dem Maximum an Pessimismus, und anekdotisch betrachtet scheint die Positionierung bei den Risikoanlagen recht defensiv zu sein. 

Entwicklung der Investment-Grade-Spreads 2022

Spreads im Investment-Grade-Segment haben sich im Laufe des Jahres 2022 ausgeweitet und verengt, aber sie sind seit ihrem Tiefstand Anfang Oktober auch um 10 Prozent angestiegen. So gab es vor dem vierten Quartal Befürchtungen, dass die Weltwirtschaft infolge einer übermäßigen Straffung durch die Zentralbanken einen schweren Abschwung erleben könnte. Die nachlassenden Inflationserwartungen und die sinkenden Energiepreise führten dazu, dass sich die Markterwartungen in Richtung eines Szenarios mit geringem Wachstum und leichter Rezession verschoben, was sowohl die Anleihen- als auch die Aktienmärkte unterstützte. Die Credit Ratings wurden außerdem dadurch gestützt, dass der Markt auf das Ende des aktuellen Zinserhöhungszyklus und mögliche Zinssenkungen vorausschaute.

Die inzwischen höheren Renditen und Spreads wirken als Puffer gegen weitere Ausweitungen. Darüber hinaus finden wir auf Emittentenebene viele Anleihen, deren Spreads sich viel stärker ausgeweitet haben als der Index mit ungefähr 60 Basispunkten. In vielen Fällen halten wir diese Ausweitung aufgrund der spezifischen Fundamentaldaten dieser Emittenten jedoch für nicht gerechtfertigt.

Die Gewinner von morgen

Für Investoren lohnt es sich, nach gut positionierten Unternehmen mit exzellenten Managementteams mit guten Führungskräften zu suchen, die eine glaubwürdige Strategie verfolgen und einen guten relative Value im Vergleich zu anderen Emittenten bieten. Bereits vor zehn Jahren, als verantwortungsbewusstes Investieren im Investmentprozess fest verankert wurde, zeigte sich, dass diese Analyse oft mit ESG-Überlegungen (Umwelt, Soziales und Governance) korreliert. Das bedeutet, dass diese Faktoren seit langem berücksichtigt werden, auch wenn dies damals noch nicht im Kontext eines expliziten ESG-Rahmens erfolgte. ESG fungiert dabei also als eine weitere wichtige Linse, durch die die Risiken und Chancen für Unternehmen und Branchen betrachtet werden können.

 

 

Warum die Bottom-up-Analyse überlegen ist

Es gibt es durchaus Trends im Markt, die nur durch eine Bottom-Up-Analyse sichtbar werden. So fällt auf: Zwar befindet sich die US-Wirtschaft schätzungsweise bis 2023 aus unzähligen Gründen in einer besseren Lage als die europäische Wirtschaft; dennoch sind viele interessante Emittenten nicht in den USA ansässig. Auswirkungen einer potenziell schwächeren Nachfrage von europäischen Kunden sowie Gegenwind durch einen stärkeren US-Dollar sollten Investoren daher im Auge behalten.

Zudem kristallisieren sich Branchenthemen heraus, die sich besonders lohnen können: Beispielsweise Emittenten in den Bereichen Stromversorger, Lebensversicherungen, Banken, Gesundheitswesen, Nahrungsmittel und Getränke, Luft- und Raumfahrt/Verteidigung, Medien und Unterhaltung.

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Tom Murphy ist Leiter Investment Grade Credit US bei Columbia Threadneedle Investments.

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