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Fundamentale vs. Technische Analyse Sorge vor weiterem Dynamikverlust nicht unbegründet

Babak Kiani, Leiter Portfoliomanagement Aktien und Multi Asset bei HSBC Global AM

Zufall oder nicht: Es ist schon interessant, dass gerade jetzt in namhaften Medien der vermeintlich immerwährende Streit zwischen Fundamentalanalyse und Technischer Analyse thematisiert wird. Wir haben keine Präferenz für die eine oder andere Lesart. Letztlich finden Anleger in beiden Segmenten Anhaltspunkte dafür, wohin die weitere Reise gehen kann – Betonung auf kann. Die Kunst liegt in der Kombination.

Interessant ist allerdings auch, dass es tatsächlich mindestens einen markanten Unterschied zwischen diesen beiden Analysemethoden zu geben scheint. Fundamentalanalysten tun sich durchaus schwer damit, spürbar fallende Kurse zu prognostizieren, und sind schon deshalb gelegentlich durchaus berechtigter Kritik ausgesetzt. Technische Analysten dagegen haben meist beide Szenarien im Köcher: auf oder ab. Der Unterschied liegt sodann darin, welche der beiden Bewegungsrichtungen mit höherer Wahrscheinlichkeit bedacht wird.

Die Kunst liegt in der Kombination

Beginnen wir mit einem urfundamentalen Blick: dem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Gegenwärtig lesen und hören wir oft, dass das aktuelle KGV, beispielsweise für deutsche Aktien, im „neutralen“ Bereich läge, also im Bereich längerfristiger Durchschnitte. Daraus lasse sich die Aussage ableiten, der Aktienmarkt sei mehr oder weniger „fair“ bewertet. Gelegentlich kommt hier die Feststellung hinzu, Abweichungen vom „fairen“ Wert auf Basis der durchschnittlichen KGVs hätten in einer gegebenen Periode zwischen X Prozent und Y Prozent gelegen. Was können wir damit anfangen?

Nach unseren Kalkulationen belief sich das durchschnittliche KGV deutscher Aktien seit Herbst des Jahres 2000 auf rund 13. Bei einer aktuellen Gewinnsumme von rund 900 für den Index ergibt sich daraus ein „fairer“ Indexstand von 11.700 Punkten. Doch Achtung: Selbiger Durchschnitt betrug während der letzten Hausse, das heißt seit Frühjahr 2009, nur 11,8 – entspricht einem „fairen“ Indexstand von 10.620. Die Abweichungen von diesen Werten wiederum, das heißt vermeintliche Über- oder Unterbewertungen, beliefen sich auf +90 Prozent und -47 Prozent für die Zeit seit Herbst 2000, aber „nur“ auf +18 Prozent und -45 Prozent für die Zeit seit Frühjahr 2009. Aus den ersten (letzten) Zahlen leiten wir für potenzielle Übertreibungsphasen Indexstände von 22.230 (12.530) beziehungsweise 6.200 (5.840) Punkten ab. Wem soll das helfen?

Natürlich soll dieses Zahlenspiel nur einem Zweck dienen: Vermeintlich einleuchtende und zugleich wenig spektakuläre Mittelwerte können unglaublich rasch in nahezu abstrus erscheinende Extreme umgedeutet werden. Das mag unter Marketing-Gesichtspunkten reizvoll sein. Für unsere Positionierung hilft dies wenig.

Richten wir im zweiten Schritt den Blick auf die Technische Analyse. Auch hier gibt es diverse Blickwinkel und Methoden. Auch hier wird, ganz besonders, mit historischen Zahlen gearbeitet. In diesem Punkt unterscheiden sich diese insoweit nicht vom obigen Beispiel. Wir können jedoch feststellen, dass es „Technikern“ erfahrungsgemäß leichter fällt, auch einmal fallende Märkte zu prognostizieren – sie scheinen weniger leicht zum Opfer des menschlichen Wunschdenkens zu werden.

Unverändert schwache technische Verfassung vieler Indizes

Schon in der Vergangenheit zeigte sich eine schwache technische Verfassung vieler Aktienindizes. Diese hat sich bis heute nicht wesentlich geändert. Das stellt sich auch nach den bisherigen Kursgewinnen des Monats Januar nicht anders dar. Für viele Märkte gelten etablierte Abwärtstrends, fallende gleitende Durchschnitte und markante Widerstandslinien, die sich aus der Historie ableiten lassen.

Aber auch die Anwendung der Regeln des „Goldenen Schnitts“ kann hier helfen. Wir finden die Prinzipien des Goldenen Schnitts in den unterschiedlichsten Bereichen, etwa in der Natur, Architektur und Kunst. Warum also nicht an den Märkten? Wenden wir diese Methodik auf die Märkte an, erhalten wir Erholungspotenziale, die im Bereich der oben schon genannten konservativeren Aufwärtspotenziale liegen. Großzügig formuliert, zwischen 11.500 und 12.000 für deutsche Aktien.

Nach unten allerdings ergibt sich hieraus ein deutlich kräftigerer potenzieller Impuls. Bei dieser generellen Aussage wollen wir es an dieser Stelle belassen und lediglich noch darauf verweisen, dass die jüngsten Erholungsversuche immer wieder nach relativ kurzer Zeit abebbten.

Kein Zeichen der technischen Stärke

Fassen wir zusammen: Der ökonomische Datenkranz spricht weiterhin nicht für wieder rasch anziehendes Konjunktur-Momentum – eher gibt es Grund zur Sorge vor weiterem Dynamikverlust. Das politische Umfeld bleibt angespannt und die sich daraus ergebenden Belastungsmomente weiter virulent – samt möglichen Rückkopplungseffekten auf die Konjunktur.

Die technische Verfassung der Märkte ist mit Sicherheit nicht blendend. Ob ein solches Umfeld geeignet ist, eine spürbare „Übertreibung“ nach oben von den genannten „fairen“ Werten zu begründen, darf ernsthaft bezweifelt werden. Wir mögen zwar auch eine Übertreibung auf der Unterseite im Umfeld historisch niedriger Renditen und ähnlicher Phänomene für wenig wahrscheinlich halten. Ausschließen können wir diese jedoch nicht.

In diesem Gesamtbild sehen wir wenige Gründe, um an einer Übergewichtung von Aktien festzuhalten. Die Belastungsfaktoren haben Bestand. Derzeit befinden wir uns in einem Umfeld, in dem erhöhte Risikopositionen als wenig chancenreich erscheinen. Aktien sollten derzeit deshalb neutral gewichtet werden.

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