Unterschied zwischen fairem Wert und NAV Anleihe-ETFs – liquide in der Krise, aber mit Preis-Discounts

Erklärt, wie sich Anleihe-ETFs in der Corona-Krise hinsichtlich Liquidität und Preisstellung verhielten: Michael Huber, ETF-Spezialist von Invesco

Erklärt, wie sich Anleihe-ETFs in der Corona-Krise hinsichtlich Liquidität und Preisstellung verhielten: Michael Huber, ETF-Spezialist von Invesco

Die Corona-Pandemie hat die Anleihemärkte auf eine harte Probe gestellt, mit Kurseinbrüchen und Spread-Ausweitungen, wie sie die Märkte nur selten gesehen haben. Für Anleihen-ETFs wurde die extreme Volatilität an den Kreditmärkten mit der Massenflucht der Anleger in Liquidität zu einem Worst-Case-Szenario-Test, der die Erfahrung der globalen Finanzkrise klar in den Schatten stellte.

In den Krisenjahren 2007 bis 2009 war der iBoxx Investment Grade Corporate Bond Index über einen Zeitraum von 278 Tagen bis zu seinem Tiefpunkt um 15,7 Prozent gesunken – im März 2020 brach der Index innerhalb von nur 14 Tagen um 23,3 Prozent ein. Mit einem Wertverlust von 5 Prozent war der 18. März der bisher schlechteste Tag in der Geschichte der Investment-Grade-Anleihemärkte. Während Geldmarktfonds inmitten der panikartigen Flucht in Liquidität rekordhohe Zuflüsse verbuchten, meldeten Unternehmensanleihefonds die höchsten je verzeichneten Abflüsse. Besonders hart traf es die Publikumsfonds, da sich die Portfoliomanager in den Wochen vom 19. bis zum 26. März gezwungen sahen, Positionen zu liquidieren, um Anteilsrücknahmen zu bedienen.

Liquiditätstest für Anleihen-ETFs

Unter diesen verheerenden Marktbedingungen hielten sich Anleihen-ETFs vergleichsweise gut. Obwohl auch sie sich dem Verkaufsdruck nicht entziehen konnten, beliefen sich die Abflüsse im März auf lediglich 2,3 Prozent des Anlagevermögens und damit einen Bruchteil der Abflüsse aus Publikumsfonds. Anders als Einzelanleihen, die außerbörslich (over-the-counter, OTC) gehandelt werden, können Investoren Anleihe-ETFs wie eine Aktie jederzeit an der Börse ge- oder verkaufen. Im März trug dies dazu bei, einen Teil des Marktdrucks zu mildern.

Denn: Anders als man vielleicht erwartet hätte, gab es in diesem Umfeld nicht nur Verkäufer. Im März wurden am US-Markt notierte Anleihen-ETFs mit einem Volumen von fast 740 Milliarden US-Dollar an der Börse gehandelt. Gleichzeitig wurden im Primärmarkt nur ETF-Anteile im Wert von 19,8 Milliarden Dollar aufgelöst. Das bedeutet, dass Anteile an Anleihen-ETFs im Wert von 719 Milliarden Dollar den Besitzer wechselten, ohne dass im zugrunde liegenden Markt auch nur eine einzige Anleihe verkauft werden musste. Ohne Anleihen-ETFs, die den Verkaufsdruck abmilderten, unter dem die zugrunde liegenden Anleihen standen, wäre der Kassa-Markt für Anleihen vielleicht sogar zusammengebrochen.

Allerdings wurden einige Anleihen-ETFs während des Kurssturzes im März 2020 mit deutlichen Abschlägen (Discounts) gegenüber ihrem offiziell festgestellten Wert (NAV) gehandelt. Ihre Preise rutschten also deutlich unter den Wert der abgebildeten Indizes beziehungsweise des zugrunde liegenden Fondsportfolios.

Die nachfolgende Grafik verdeutlicht diese Entwicklung: Während der durchschnittliche NAV-Abschlag von Investment Grade Corporate Bond ETFs im März bis auf minus 3,4 Prozent anstieg, waren bei einzelnen Produkten sogar Discounts von mehr als minus 8 Prozent zu beobachten. Käufer sehen bei derartigen Abschlägen vielleicht die Chance auf einen günstigen Einstieg – für die Verkäufer bestehender Positionen stellt sich aber die Frage, ob sie für ihre ETF-Anteile auch einen fairen Preis erhalten.

In den USA notierte ETFs
Durchschnittlicher Auf-/Abschlag gegenüber dem NAV verschiedener Anleihestrategien

[Muni = Municipal Bond ETFs; IG Corp = Investment Grade Corporate Bond ETFs] Quelle: Bloomberg

Angesichts dieser erheblichen Preisabweichungen wurde die Vermutung geäußert, dass die starken Marktbewegungen ETFs an ihre Grenzen getrieben hätten. Kritiker von Anleihen-ETFs sprachen sogar von einer Gefährdung der Stabilität der Finanzmärkte durch das Wachstum der passiven Anlageinstrumente. Das Gegenteil war jedoch der Fall. Der Grund für die hohen Discounts war nämlich nicht in den ETFs selbst begründet, sondern vielmehr in der Ermittlung des NAV.