Der Abbau sicherer Anlagen Krisen kommen und gehen, Schulden bleiben und wachsen

Karl-Heinz Thielmann ist Vorstand von Long-Term Investing Research

Karl-Heinz Thielmann ist Vorstand von Long-Term Investing Research: Das Wachstum von Staatsschulden durch Regeln zu begrenzen, hält er als Leitlinie der Fiskalpolitik prinzipiell für richtig. Ihre Wirkkraft erscheint jedoch fraglich. Foto: Long-Term Investing Research

Seit Anfang November 2020 gibt es einen starken Kursaufschwung an den Aktienbörsen, der vor allem von zyklischen Titeln getragen wird. Die Finanzmärkte haben begonnen, ein Ende der Corona-Krise und darauffolgend einen globalen Konjunkturaufschwung einzupreisen. Dies scheint berechtigt, denn es gibt gleich mehrere Gründe für Optimismus:

  • Die schnelle Entwicklung von Impfstoffen gegen Covid 19 eröffnet die Möglichkeit einer effektiven Bekämpfung des Virus auch in denjenigen Ländern Europas sowie Nord- und Südamerikas, welche die aktuelle Pandemie bisher nicht in den Griff bekommen haben.
  • Mit der Abwahl von Donald Trump als US-Präsident wurde ein destabilisierender Faktor in der internationalen Wirtschaftspolitik beseitigt.
  • Mit China als Konjunkturlokomotive hat sich in Asien ein kräftiger Wirtschaftsaufschwung entwickelt, der auch bei Exporteuren in Amerika und Europa für steigende Nachfrage sorgt. Hierdurch springt der expansive Impuls der chinesischen Fiskalpolitik auf die Weltwirtschaft über.
  • In den meisten großen Wirtschaftsnationen sind umfangreiche Staatsausgabenprogramme geplant, die in Kombination mit einer aggressiven Geldpolitik die Konjunktur ankurbeln sollen. Investitionen in neue Technologien zur Abbremsung des Klimawandels sollen hierbei eine Schlüsselrolle spielen, um das Wachstum langfristig abzusichern.

Allerdings wird der globale Aufschwung nur dann kräftig, wenn die steigenden Staatsausgaben nicht durch Steuererhöhungen finanziert werden, welche die Konjunktur wieder abwürgen. Stattdessen muss die Staatsverschuldung der großen Wirtschaftsnationen massiv steigen – und auch die nächsten Jahre hoch bleiben. Im nächsten Jahrzehnt dürfte sich somit ein Muster wiederholen, dass wir schon nach der Finanzkrise gesehen haben: Überall wird zur Krisenbekämpfung die Staatsverschuldung erhöht, aber nach dem Ende der Krise nicht mehr zurückgeführt.

Die Bewertung von Staatsschulden hat sich in der Vergangenheit stark verändert

Staatsverschuldung genoss in der Ökonomie früher einen sehr schlechten Ruf: Sie diente zumeist entweder der öffentlichen Verschwendung oder der Kriegsfinanzierung. Nicht selten endete sie in einer inflationären Krise – wie zum Beispiel der Hyperinflation in Deutschland 1923. Dies änderte sich erst, als John Maynard Keynes während der Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren Austerität – also das Paradigma staatlicher Sparsamkeit und Defizitvermeidung – als wesentlichen Krisenverstärker erkannte: Im Abschwung sanken aufgrund fehlender Steuereinnahmen die Staatsausgaben, was den Kollaps der Wirtschaft beschleunigte.

Stattdessen entwickelte er das Konzept, dass ein Staat während eines Konjunktureinbruchs mittels schuldenfinanzierter Staatsausgabenprogramme gegensteuern sollte. So würden der private Nachfrageausfall kompensiert, überschüssige Ersparnis absorbiert und ein neuer Aufschwung eingeleitet, der sich aufgrund von Multiplikator-Effekten selbst verstärkt.

Abbildung 1: Krisen führten zu dauerhaft steigenden Staatsschulden

Quelle: IMF Data-Mapper

Die Grundidee eines antizyklisch und stabilisierend in die Konjunktur eingreifenden Staates – nach Keynes als Keynesianismus bezeichnet – bestimmte seitdem das makroökonomische Denken und Handeln, sowohl bei Befürwortern wie auch bei Kritikern. Anfangs überwogen die Anhänger des Keynesianismus: Denn der rasche Aufschwung der westlichen Welt nach dem Zweiten Weltkrieg ist nicht zuletzt schuldenfinanzierten Aufbauprogrammen wie dem Marshallplan zu verdanken, die in den 50er und 60er Jahren zu einem selbsttragenden Aufschwung führten.

Allerdings wurden in den 70er Jahren zunehmend die Probleme sichtbar: Aus zeitweiser Konjunkturstützung wurde ein Dauerstimulus. Strukturell steigende Staatsschulden, akzelerierende Inflation und wachsende Ineffizienzen durch staatliche Interventionen führten zu einer Schwächung der Wachstumskräfte. Als dann der Ölpreisschock von 1973 kam, funktionierte die keynesianische Therapie nicht mehr, eine jahrelange inflationäre Strukturanpassungskrise war die Folge.

Die Krise der 70er Jahre demonstrierte eindrücklich, dass schuldenfinanzierte Staatsausgabeprogramme zur Bekämpfung von Wachstumsschwächen ungeeignet sind, wenn diesen strukturelle Probleme zugrunde liegen. Sie entfachen nur Strohfeuer, können den privaten Sektor verdrängen (dieses Phänomen ist unter dem Namen „Crowding Out“ bekannt) und haben als langfristiges Ergebnis vor allem Inflation. Als toxisch in Hinblick auf die Geldentwertung erwies sich insbesondere, wenn die Staatsschulden durch Geldschöpfung finanziert wurden.

In den 80er und 90er Jahren kam es zur Renaissance einer auf Geldwertstabilität und Stärkung des privaten Sektors ausgerichteten Wirtschaftspolitik. Weiterhin begünstigten der Zusammenbruch des Kommunismus und die danach akzelerierende Globalisierung die wirtschaftliche Entwicklung, sodass beide Jahrzehnte durch einen weltweiten Aufschwung geprägt waren. Die wichtigsten Wirtschaftsnationen konnten Inflation und Staatsschulden zurückführen, ohne ihr Wachstum zu gefährden. Austerität kehrte als Ideal der Fiskalpolitik zurück. Geldschöpfungsfinanzierte Staatsverschuldung wurde allgemein als wirtschaftspolitische Todsünde angesehen.

Die Jahrtausendwende brachte erneut einen Wendepunkt: An der Börse platzte im Frühjahr 2000 die Technologieblase. Weiterhin zeigte die Aufdeckung von zahlreichen Bilanzskandalen, dass die vorangegangene Deregulierungswelle nicht nur positive Kräfte freigesetzt, sondern auch massiv betrügerisches Verhalten begünstigt hatte. Die Anschläge vom 11. September 2001 sowie der anschließende Kampf gegen den Terror demonstrierten zudem die Nachteile der Globalisierung.

Die Finanzkrise von 2008 und die Eurokrise 2011 führten zu einer Eskalation der Wirtschaftsprobleme, denen ab 2009 vorwiegend mit schuldenfinanzierten Staatsausgaben entgegengewirkt wurde. Seit Anfang des aktuellen Jahrtausends wachsen die Staatsschulden wieder weltweit. Es gab mehrere schwere Krisen, und jede brachte eine Erhöhung der Schulden mit sich. Keine der darauf folgende Erholungen führte jedoch zu ihrer Rückführung. Dies liegt in politischen Mechanismen begründet, die – mit wenigen Ausnahmen wie Deutschland – weltweit Maßnahmen zur Eindämmung der Staatsschuld verhindern.

Ablehnung von Steuererhöhungen + Anspruchsdenken an den Staat = wachsende Staatsschulden (außer in Deutschland)

Die Rückführung der Staatsschulden nach der Finanzkrise ist – global gesehen – weitgehend gescheitert. Denn es hat sich gezeigt, dass Sparsamkeit politisch höchst unpopulär ist: Sie bedeutet in der Praxis, dass entweder die Steuern steigen müssen, oder beliebte Sozialtransfers und notwendige Infrastrukturinvestitionen gekürzt werden.

Sozialtransfers sind aber in einer durch Anspruchsdenken gekennzeichneten Gesellschaft kaum noch rückgängig zu machen. Zudem steigen sie aufgrund der durch Überalterung geprägten Demografie strukturell bedingt immer weiter an. Am einfachsten ist noch bei Infrastrukturausgaben zu sparen. Dies rächt sich allerdings später – wie jetzt in Deutschland, wo die Mängel der digitalen Infrastruktur während der Corona-Krise schmerzlich bewusst geworden sind.