Milliarden-Fondsmanager im Gespräch „Cash is King gilt mehr denn je“

Justin Leverenz vom Asset Manager Invesco

Justin Leverenz vom Asset Manager Invesco: Der Asien-Experte sieht große Chancen in China, Indien und Russland. Foto: Oppenheimer

Herr Leverenz, was sind aus der Anlegerperspektive die wichtigsten Lehren aus dem Umgang mit Covid-19?

Justin Leverenz: Die für Friedenszeiten beispiellosen wirtschaftlichen Verwerfungen durch die Maßnahmen zur Eindämmung dieses Virus werden für viele Branchen schmerzhaft sein und nicht alle Unternehmen werden überleben. Vielen kleineren Unternehmen droht die Insolvenz. Andere werden einschneidende Entscheidungen treffen und ihre Investitionen in Kapazitäten, Produktentwicklung, Marken und Talente kürzen müssen.

Mit welchen Konsequenzen?

Leverenz: In jedem Fall werden die Starken noch stärker werden, Marktanteile hinzugewinnen und künftig vermutlich noch profitabler sein als ihre schwächeren Konkurrenten. Das alte Motto „Cash is King“ gilt aktuell mehr denn je. Unternehmen, die dank exzessiver geldpolitischer Interventionen der Zentralbanken, billige Finanzierung genutzt haben, um ihre Bilanzen auszuweiten, könnten unter dem Liquiditätsdruck zusammenbrechen. Dagegen werden sich einigen Unternehmen mit starken Bilanzen attraktive Möglichkeiten für Zukäufe zu günstigen Preisen bieten.

Welche Länder sind für Sie aktuell die größten Sorgenkinder und welche werden zu den Gewinnern gehören?

Leverenz: Wir glauben, dass China der dominante Wachstumsmotor ist – nicht nur in den Schwellenmärkten, sondern weltweit. Außerdem sehen wir in Indien zunehmend interessante Anlagemöglichkeiten. Das könnte die nächste große Anlage-Story in den Schwellenmärkten sein. Zu den Ländern, die strukturell unter Druck stehen oder nur ein schwaches Wirtschaftswachstum verzeichnen dürften, zählen wir Südafrika, Brasilien und die Türkei. Der Dekarbonisierungstrend wird Auswirkungen auf Russland, die Golfstaaten, Nigeria, Kolumbien und Mexiko haben.


Die Lockdowns bedeuten für einen Großteil der Welt mehr Schulden und werden viele Industrien dauerhaft schädigen. Zu welchen Verschiebungen in der Weltwirtschaft und an den Kapitalmärkten wird das führen?

Leverenz: Anfang 2020 sah alles so gut aus. Europa schien seine größten Herausforderungen überwunden zu haben, in den USA herrschte Vollbeschäftigung und Asien befand sich ungeachtet der Spannungen zwischen den USA und China auf Kurs. Aber dann kam Covid-19. Was folgte, war eine massive fiskalische Expansion mit entsprechenden Risiken für die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen. Interessanterweise sind es vor allem Schwellenländer, die das Virus erfolgreich eingedämmt und die wirtschaftlichen Folgen am besten bewältigt haben.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

Leverenz: Durch seine Resilienz und Wachstumsstärke ist China für viele Aktienmanager, die nach „sicheren“ Anlagen suchen, interessant geworden,  aber auch für diejenigen, die einfach nur Sorge haben, etwas zu verpassen. Wir beobachten ein stark wachsendes Anlegerinteresse an China, vor allem bei Investoren, die bislang wenig Erfahrung mit China-Anlagen haben.

Dadurch ist es an den Märkten stellenweise zu Übertreibungen gekommen. Außerdem wird der klassische Mean-Reversion-Ansatz bei Value-Anlagen künftig wahrscheinlich nicht mehr funktionieren, da viele traditionelle Branchen vor erheblichen strukturellen Herausforderungen stehen, zum Beispiel der Bankensektor durch Fintech, der traditionelle Einzelhandel durch den Onlinehandel und der Energiesektor durch saubere Energien.


>>Liste aller Aktienfonds Asien


Manche hoffen, dass die Welt in der Folge von Covid-19 ökologisch nachhaltiger und sicherer werden kann. Wie lautet Ihre Prognose?

Leverenz: Covid-19 war ein unvorhersehbares Ereignis mit enormen Auswirkungen. Ein sogenannter „schwarzer Schwan“. Trends, die bereits im Gange waren, sind, insbesondere in geschwächten Branchen, verstärkt worden und haben die Dynamik in Bereichen wie E-Commerce, Fintech, Lebensmittellieferung, Fahrdiensten, Gaming, Cloud und anderen ähnlichen digitalen Geschäftsmodellen beschleunigt. Viele dieser Umbrüche könnten dazu führen, dass die Welt ökologisch nachhaltiger und sicherer wird.

Einige Schwellenländer scheinen sich mit guten Fundamentaldaten rasch von der Krise zu erholen. Wie stark werden die asiatisch-pazifischen Staaten vom Wiederanziehen der Konjunktur profitieren?

Leverenz: China befindet sich am Beginn eines enormen strukturellen Bullenmarkts, angetrieben durch die Stärke des Renminbi, eine solide Fiskal- und Geldpolitik sowie strukturelle Reformen der Wirtschaft und Kapitalmärkte. Chinas enorme inländische Ersparnisse dürften künftig zunehmend in den Aktienmarkt fließen. Dadurch sollte auch die bis dato ungewöhnliche Beziehung zwischen Chinas beträchtlichem wirtschaftlichem Fortschritt und dem volatilen, von den realwirtschaftlichen Vorgängen abgekoppelten chinesischen Aktienmarkt durchbrochen werden.

Experten reden von einem zweiten Aufstieg Asiens – Sie auch?

Leverenz: Wir rechnen 2021 neben einer breiten wirtschaftlichen Erholung in Asien mit einer Rückbesinnung auf stärker nuancierte Investmentansätze. Mit solchen lassen sich unserer Ansicht nach Unternehmen und Länder identifizieren, die gut aufgestellt sind, um sich rasch wieder vom pandemiebedingten Wachstumsschock zu erholen, und Branchen, in denen eine Konsolidierung zu besseren Preisstrukturen, Margen und Renditen führen kann. Sehr interessante Anlagemöglichkeiten sehen wir in Branchen, die von der Pandemie am stärksten getroffen wurden, da die wirtschaftliche Erholung hier mit einer Branchenkonsolidierung zusammenfällt.

Ist China auf dem Weg, in Wirtschaft und Politik die neue Führungsmacht der Welt zu werden?

Leverenz: Wir sind davon überzeugt, dass China schon jetzt zu den neuen wirtschaftlichen Führungsmächten der Welt gehört. China hat einen Anteil von 16 Prozent an der weltweiten Marktkapitalisierung und dem globalen Bruttoinlandprodukt (BIP). Chinas Gewicht im MSCI EM Index beträgt über 40 Prozent. China wird in den nächsten zwei bis drei Jahren voraussichtlich für den Großteil des weltweiten Wachstums verantwortlich sein. Schon in ein paar Jahren könnte China die USA beim nominalen BIP eingeholt haben.

China möchte bis 2060 CO2-neutral werden. Wird sich das Reich der Mitte tatsächlich vom Klimasünder zum Umweltschützer entwickeln?

Leverenz: Die Länder, die heute zur entwickelten Welt zählen, wurden in der Phase ihrer Industrialisierung weder für die von ihnen versursachte Umweltverschmutzung noch für ihre Kohlenstoffemissionen zur Verantwortung gezogen. Ob China wirklich zum Umweltschützer wird und seine Ziele für 2060 erreicht, lässt sich nicht voraussagen. Wir sehen aber viel Potenzial für Investoren in zahlreichen geschwächten Industriesektoren.

Sprechen wir von der neuen Seidenstraße. Die sogenannte Belt and Road Initiative der Chinesen gilt mit dem Ausbau von Straßen und Schienen zwischen dem Fernen Osten und Europa als das größte Infrastrukturprojekt der Welt. Inwieweit wird von dieser globalen Verästelung auch Afrika profitieren?

Leverenz: Die Belt and Road Initiative zielt auf eine bessere Vernetzung und Zusammenarbeit auf transkontinentaler Ebene ab und umfasst heute drei Kontinente und 60 Prozent der Weltbevölkerung. Chinas Regierung hat die Wiederbelebung der Handelsrouten entlang der antiken Seidenstraße, die China mit Ostafrika verbinden, als Symbol für Chinas Bekenntnis zu Afrika bezeichnet.

Afrika wird von One Belt One Road profitieren, weil die Entwicklung des Kontinents vor allem durch die defizitäre Infrastruktur vor Ort gehemmt wird. Befürworter der Initiative verweisen auch auf das Potenzial für positive Nebeneffekte der Infrastrukturprojekte wie höhere private chinesische Investitionen in den Tourismus, die Immobilienwirtschaft und den Agrarsektor. One Belt One Road wird auch zunehmend als Katalysator für Afrikas regionale wirtschaftliche Integration und Wettbewerbsfähigkeit betrachtet.