Echtzeit-Inflation, KI, Demografie Die Zukunft der Rentenmärkte

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Künstliche Intelligenz gibt neue Antworten

Die Zukunft der wirtschaftlichen Entwicklung vorherzusagen, ist eine Sache. Anleiheinvestoren wollen aber auch ganz konkret wissen, ob Zinsen steigen oder fallen, wie sich die Zinsstrukturkurve entwickelt, ob Unternehmen pleitegehen und wie hoch die Ausfallwahrscheinlichkeit bestimmter Anleihen ist.

Für Fondsmanager von Staatsanleihen sind die Modellierung und Interpretation der Zinsstrukturkurve sowie Prognosen über deren weitere Entwicklung ganz entscheidend. Traditionell ging es bei Theorien zur Zinsstrukturkurve um Erklärungen basierend auf Erwartungen über künftige Zinsen, das Verhalten der Akteure am Bondmarkt oder die Wirkkraft von Informationen.

Doch keine einzelne Theorie konnte diese Fragen allgemeingültig und zufriedenstellend beantworten. Die schwierige Frage hat schon Aufmerksamkeit auf sich gezogen, seit in den 1970er Jahren die Zinsstrukturkurve für das Bondmanagement überhaupt wichtig wurde. Seit die Zentralbanken begonnen haben, die Märkte durch massive Quantative-Easing-Programme zu manipulieren beziehungsweise zu lenken, so dass die freien Finanzmärkte nicht mehr wirklich frei sind, ist die Beantwortung noch schwerer geworden.

Die schiere Gewalt der Computerleistung

Die meisten Modelle über die Zinsstrukturkurve und ihre Höhe beziehungsweise Neigung fußen auf makroökonomischen Faktoren und Transaktionsdaten, über die die zukünftige Entwicklung ermittelt werden soll.

Mittlerweile gibt es aber auch immer mehr adaptive Ansätze. Wissenschaftler der University of Thrace haben ein Machine-Learning-Modell entwickelt, das die US-Zinsstrukturkurve für die Zeit von 1976 bis 2011 zu 67 Prozent korrekt hätte vorhersagen können. Andere Versuche, die Renditeentwicklung unter Verwendung von Machine Learning zu prognostizieren, schnitten deutlich besser ab als klassische Methoden, so dass sie für Anleiheinvestoren, die noch konventionell vorgehen, interessant sein könnten.

Doch im Bondmanagement geht es nicht nur um die Höhe der Rendite und die Neigung der Zinsstrukturkurve, sondern auch um die Entwicklung der Credit Spreads, also des Renditeaufschlags von Unternehmensanleihen gegenüber vergleichbaren Staatsanleihen. Credit Spreads hängen von den Erwartungen des Marktes bezüglich der Fähigkeit eines Unternehmens, den jährlichen Zinsverpflichtungen nachzukommen und das Kapital am Ende der Laufzeit zurückzuzahlen, ab: Je höher die Ausfallwahrscheinlichkeit, desto höher der Credit Spread, den Investoren für das übernommene Risiko erhalten – und umgekehrt.

Es gab wohl nie eine Phase, in der es wichtiger gewesen wäre, diesen Sachverhalt zu kennen: Die weltweite Verschuldung erreichte 2016 mit 164 Billionen US-Dollar einen Rekordstand, die Schulden im Verhältnis zum BIP mit 225 Prozent ein Allzeithoch, so der Internationale Währungsfonds. Diese Summe beinhaltet Schulden von Ländern, Bundesländern und Gemeinden, Unternehmen, Zahlen von internationalen Organisationen, Banken, Kreditkartenanbietern, Immobilien-, Auto- und Schiffsfinanzierern – die Liste kann quasi endlos weitergeführt werden. Das heißt: War die Bonitätsanalyse vor zwanzig Jahren noch eine Nischentätigkeit, ist sie heute von enormer Wichtigkeit für Bondmanager.

Die Frage ist, ob die traditionelle Bonitätsprüfung durch den Menschen, also die Analyse von Bilanzen und die Fortschreibung der Entwicklung in die Zukunft, angesichts des Quantative Easing beziehungsweise der Stützung der Märkte durch die Notenbanken überhaupt noch adäquat ist.

Die Ausfallraten scheinen künstlich niedrig. Unter Umständen sind die Probleme nur aufgeschoben und melden sich zurück, sobald Zinsen und Anleiherenditen wieder deutlich steigen. Um das auch durch die ultraniedrigen Zinsen eng miteinander verwobene System am Anleihemarkt wirklich erfassen zu können, bräuchte es extrem viele Analysten – zu Kosten, die kaum zu rechtfertigen wären.

Ein alternativer Ansatz zur Bonitätsprüfung ist die Nutzung von künstlichen neuronalen Netzen und Machine Learning, entwickelt von der eigenen Belegschaft oder Externen. Was in diese Systeme einfließt, ist für Corporate-Bond-Analysten nichts Neues: Umsatz, Verschuldung, Cashflows, Gewinn, Finanzierungskosten. Was herauskommt, ist ebenso bekannt: Ein Rating, anhand dessen ermittelt werden kann, ob ein Renditeaufschlag angemessen ist oder vielleicht eine Unterbewertung und so ein verborgener Schatz mit einer Anlagechance vorliegt.

Extrem viele und ganz unterschiedliche Daten zu analysieren, käme einer Revolution in Fixed-Income-Abteilungen gleich. Ist die Technologie einmal so ausgefeilt und die wichtigsten Variablen identifiziert, können riesige Mengen von Daten verarbeitet werden. Im neuen Zeitalter der Transparenz, in dem viele Fondsmanager aufgrund der Mifid-II-Regeln die Kosten für externes Research selbst übernehmen, könnte Big Data damit ein Ausweg sein: Das Research würde wieder bei den Asset Managern angesiedelt werden, die sich auf die Entwicklung von Auswahlmechanismen für die Anleihewahl konzentrieren könnten.