Echtzeit-Inflation, KI, Demografie Die Zukunft der Rentenmärkte

Joubeen Hurren, Senior-Portfoliomanager von Aviva Investors

Joubeen Hurren, Senior-Portfoliomanager von Aviva Investors Foto: Aviva Investors

Vor der Finanzkrise glich der Blick von Ökonomen und Unternehmensanalysten auf die Welt dem von Physikern. Es ging um Ursache und Wirkung: Ein umgelegter Hebel hier, führt zu einer vorhersehbaren und wiederholbaren Konsequenz dort. 2008 brachen diese Überzeugungen aber zusammen, die Vorstellung, dass sich in einem Preis alle Informationen widerspiegeln, wurde widerlegt.

Nach der Krise begannen Investoren daher nach neuen Methoden zu suchen, um die Welt zu beschreiben – Methoden, die sich verändern, die lernen und mit der Zeit anpassen. Die also nicht mehr auf starren Regeln basieren, die unbemerkt veralten. Wichtig wurde vor allem aber auch, dass Prognosen besser und Renditen stabiler werden sollten. Ein neuer Typus von Investor entstand, offen für den technologischen Wandel, Neuerungen gegenüber aufgeschlossen, und immer auf der Suche nach kreativen Lösungen.

Es gibt drei wichtige Trends, die sich in der jüngeren Vergangenheit abzeichnen und die deutlich machen, wohin sich die Fixed-Income-Welt bewegt: alternative Datenquellen, Künstliche Intelligenz, kurz KI, und sich verändernde Kapitalströme.

Digitale Datensammler: Wirtschaftsexperten der neuen Art

Eine ganze Generation von Managern von Anleiheportfolios wuchs mit der Vorstellung auf, dass es im Bondmanagement um die reine Volkswirtschaftslehre geht: Dass Zinssätze vom Konjunkturzyklus abhängen, Anleiherenditen und die Renditekurve vom aktuellen Zinssatz und den Erwartungen für die Zukunft. Bondmanager präsentierten endlose Grafiken zu Geldangebot, Inflation, Arbeitslosigkeit, ISM-Einkaufsmanagerindizes und BIP. Bei der kleinsten Ermutigung setzten sie Zahlen für die vergangenen zehn, wenn nicht gar hundert Jahre in ihre Spread-Sheets ein, um die nächste Leitzinserhöhung vorherzusagen.

In der Makroökonomie drehte sich schon immer alles um Daten. In den 1970er Jahren war alles noch etwas einfacher, wie etwa beim Müll durchsuchen von William Laurens Rathje. Der Wissenschaftler von der Universität Arizona zeigte damals erstmals, dass auch Gegenstände neueren Datums eine ganze Menge über die Menschen erzählen, die diese benutzt und weggeworfen haben. Garbologie, die Wissenschaft vom Müll, wurde eine wichtige Methode, um soziale Trends auszumachen.

Datenwissenschaftler setzen nun die Tradition des „Mülldurchsuchens“ fort. Dafür durchforsten sie aber nicht Abfalleimer, sondern sammeln in Echtzeit Daten aus vielerlei Quellen. Daten, die in keinem offensichtlichen Zusammenhang zueinanderstehen. Aus ihnen leiten sie Prognosen für die wirtschaftliche Entwicklung ab. Aus augenscheinlich nicht zusammenhängenden digitalen Brotkrümeln wird also ein Verhaltensprofil erstellt.

Die sozialen Medien sind für diesen neuen Analystentypus eine unverzichtbare Datenquelle für Vorhersagen. Plattformen wie Facebook, Youtube, Instagram, Twitter und Pinterest werden beobachtet, um Vorlieben oder die Akzeptanz bestimmter Marken, Unternehmen oder auch Parteien kennenzulernen. Was immer es auch ist, man findet heraus, was jemand über ein Thema denkt. Und wir tendieren dazu, Daten freiwillig und gerne herauszugeben. Auf Twitter werden am Tag schätzungsweise zehn Milliarden Tweets gepostet, eine Milliarde Facebook-Nutzer generieren vier Petabyte Daten pro Tag. Das entspricht vier Millionen Gigabyte, zuzüglich vier Millionen „Likes“ pro Minute.

Transaktionsdaten von Unternehmen wie Ebay, Amazon, Kreditkartenanbietern oder Online-Shops werden in Massen gesammelt und gespeichert. Verwendet werden sie vor allem, um Verbraucherverhalten vorherzusagen. Target, der große US-Einzelhändler, kann mittlerweile ganz genau prognostizieren, wann eine Kundin ein Kind bekommen wird – nur auf Basis ihrer persönlichen Daten und typischer Lebensläufe. Andere haben begonnen mittels Luftaufnahmen die Belegung von Parkplätzen zu überwachen, um die Umsatzentwicklung im Einzelhandel vorherzusagen.

Den allergrößten Vorteil spielt der Ansatz aber im Bereich Business Intelligence aus, in dem es um Prozesse und Verfahren geht, die zur systematischen Datenanalyse in elektronischer Form eingesetzt werden. Die Modelle basieren auf Social-Media- und Transaktionsdaten und reagieren auf veränderte Präferenzen. Sie können sogar Preise an neue Angebots- und Nachfragemuster anpassen – Micro-Managing ist hier das Schlagwort, etwas, was mit monatlichen Zahlen schwer vorstellbar wäre.

Inflation in Echtzeit

Selbst anerkannte makroökonomische Größen weisen Schwächen auf, denen man mit dem neuen Algorithmus-Ansatz beikommen kann. Ein Beispiel ist die Kennzahl, die Bondmanager wohl am meisten beschäftigt: die Inflation.

Am Massachusetts Institute of Technology (MIT) wurde das „The Billion Prices Project” entwickelt, mit dem auf Basis von Hunderten von Webseiten aus der ganzen Welt die Echtzeit-Inflation errechnet wird. Da Preise on- und offline in der Regel nicht groß voneinander abweichen, können die Echtzeitdaten die Monatsdaten, die oft mit großer Verzögerung veröffentlicht werden, in der Tat gut vorhersagen.

Für Fixed-Income-Manager, für die solche Informationen enorm wichtig sind, können solche Daten den entscheidenden Unterschied machen und ihnen helfen, erfolgreiche Portfoliostrategien zu entwickeln. Google Trends bietet schon jetzt umfangreiche Daten über die Suchbegriffe, die Nutzer eingeben. Twitter ist seit 2006 damit beschäftigt, hunderte Milliarden von Tweets, die Erlebnisse und wichtige historische Ereignisse abdecken, zu indizieren, so dass sie mit zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklungen korreliert werden können.

Sich eine Welt vorzustellen, in der Echtzeitstatistiken die traditionell monatlichen oder quartalsweise veröffentlichten Daten aus der Wirtschaft ersetzt haben, ist nicht schwer. Damit wird eine Revolution im Bondmanagement einhergehen.