Echtzeit-Inflation, KI, Demografie Die Zukunft der Rentenmärkte

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Der Handel wird immer wichtiger

Vor dem Zusammenbruch von Lehman Brothers war es für Fondsmanager ganz normal, dass Kauf- und Verkaufsorder sofort umgesetzt werden konnten, die Liquidität am Markt war hoch. Nach der Finanzkrise wurde die Möglichkeit von Investmentbanken, als Market Maker zu agieren, durch striktere aufsichtsrechtliche Regeln aber stark beschnitten.

Mittlerweile halten Investmentbanken fast gar keine Anleihen mehr. Der New York Federal Reserve zufolge fiel das Volumen von Anleihen im Bestand von Brokern innerhalb nur eines Jahres nach Ausbruch der Krise von 200 Milliarden auf nur noch 60 Milliarden US-Dollar. Für Fondsmanager ist es nicht mehr möglich, ohne Weiteres Anleihen zu kaufen oder zu verkaufen. Vorhandelsinformationen wie Multiple Quotes sind mittlerweile rar geworden – und auch schwerer zu finden. Wer als Fondsmanager für sein Portfolio zukaufen will, braucht nun viel Zeit. Manchmal ist es frustrierend, manchmal funktioniert es gar nicht.

Anleihebestand bei US-Brokern

 Quelle: New York Federal Reserve

Die Folgen sind überall am Markt zu spüren, ganz besonders betroffen ist der Markt für Unternehmensanleihen. Es ist unklar, ob sehr große Unternehmensanleihefonds im Bedarfsfall, sofern erforderlich, Anleihen verkaufen könnten. Für Künstliche Intelligenz, Machine Learning und Big Data eröffnen sich dadurch weitere Einsatzmöglichkeiten. Mit ihrer Hilfe können fehlende Informationen zusammengestellt werden, siehe etwa die Bondhändlerinitiative „Project Neptune“.

Dieses Projekt wurde von einem Konsortium von 22 Banken gegründet, die mit Asset Managern zusammenarbeiten. Ziel ist, in Echtzeit Informationen über Angebot und Nachfrage nach Unternehmensanleihen und neuen Bonds zusammzustellen.

Nach dem Start 2017 sollte Neptune Echtzeit-Informationen über mehr als 14.500 unterschiedliche Wertpapiere mit einem Nominalwert von über 131 Milliarden US-Dollar aus über 26.500 Pre-Trade-Kauf- und Verkaufsindikationen am Tag ermitteln. Project Neptune ist damit ein erster Schritt, um die Liquidität wiederherzustellen, die institutionelle Anleger für umfangreiche Transaktionen so dringend benötigen.

Das Projekt ist zwar keine Handelsplattform, sondern ein weiterer Mosaikstein bei der Automatisierung von Transaktionen. Vorerst liegt der Schwerpunkt auf der Sichtbarmachung von Liquidität und der Schaffung von Voraussetzungen für gelungene Transaktionen – als Hilfsmittel für die Entscheidungsfindung für Fondsmanager und ihre Handelspartner.

Auch der niederländische Finanzdienstleister ING setzt auf KI als Hilfsmittel und hat „Katana” auf den Markt gebracht, ein KI-gestütztes Handelssystem zur Unterstützung der Preisfindung. Hintergrund ist die Überzeugung, dass Menschen mit Unterstützung durch KI zu besseren Ergebnissen kommen als ohne.

Allerdings lassen Entwicklungen in anderen Bereichen des Finanzmarktes, etwa im Aktienbereich, vermuten, dass die vollständige Automatisierung auch im Fixed-Income-Bereich nicht mehr fern ist. Es wird vermutlich nicht mehr lange dauern, bis die algorithmen-basierten Technologien von Amazon, Netflix, Youtube und Alibaba mit ihren großen Datenmengen auch bei Asset-Management-Kunden zum Einsatz kommen, denen dann auf Basis ihrer Präferenzen und des bisherigen Kaufverhaltens Angebote gemacht werden.

Der Handel selbst wird damit zu einem immer wichtigeren Teil des Investitionsprozesses, viel wichtiger, als noch vor ein paar Jahren. KI und gesammelte Daten könnten mit Order- und Transaktionssystemen zusammengeführt werden, so dass der eigentliche Investmentprozess immer mehr mit dem Handel zusammenwächst.

Demografie als Schicksal

Ein weiterer Trend ist, dass Anleihen in Zukunft wohl einen immer größeren Teil in den Portfolios stellen werden – allein schon wegen der demografischen Entwicklung. Gleichzeitig wächst das Volumen von Staats- und Unternehmensanleihen. Das heißt, das Management von Ausfallrisiken wird immer wichtiger, so wichtig wie die eigentliche Rendite. Steigende Ausfallrisiken und die Nachfrage nach einem stetigen Einkommen im Alter in Einklang zu bringen, wird für Bondmanager die größte Herausforderung der kommenden Jahrzehnte sein.

Überstrapazierte Staatshaushalte stehen am Anfang einer ganzen Reihe von Veränderungen, auch die Einstellung zu Schulden wird eine andere sein. Die Phase der Einschränkungen in der Nachkrisenzeit, in der der Gürtel enger geschnallt werden musste und die Steuern stiegen, scheint derzeit zu Ende zu gehen. Wähler sind dieser Politik überdrüssig geworden, sie sehen sie als ständigen Angriff auf Arbeitsplätze und staatliche Leistungen.

Man spricht bereits von der „Great Divergence“, also einem großen Auseinanderklaffen zwischen den USA, wo die Finanzpolitik bereits lockerer geworden ist und die staatlichen Ausgaben steigen, und Europa, wo immer noch strenge Ausgabendisziplin herrscht. Dem „Fiscal Monitor“ des Internationalen Währungsfonds zufolge werden die USA 2023 ein Schulden-zu-BIP-Verhältnis von 117 Prozent haben. Das entspräche den Plänen der aktuellen italienischen Regierung für Italien.

Doch auch in Europa beginnt sich der Wind zu drehen: Der Aufstieg populistischer Bewegungen wie die Fünf-Sterne-Bewegung in Italien, die höhere Staatsaugaben und ein bedingungsloses Grundeinkommen versprechen, sind erste Anzeichen. Angesichts dieser neuen Risiken können sich Investoren von Staatsanleihen nicht mehr unbedingt auf eine solide Finanzpolitik verlassen, selbst bei großen Ländern.