Nischenanlageklasse Mit Prozessfinanzierung das Anlagespektrum erweitern

Marc Syz ist Mitbegründer und geschäftsführender Gesellschafter von Syz Capital.

Marc Syz ist Mitbegründer und geschäftsführender Gesellschafter von Syz Capital. Foto: Syz Capital

Bereits in den Wochen vor Ausbruch der Coronavirus-Pandemie deutete unser Modell der Asset-Allokation auf ein spätzyklisches Konjunkturumfeld hin. Viele Anleger stiegen in den Private-Equity-Markt ein oder erhöhten bereits bestehende Engagements, obwohl in dieser Assetklasse die Bewertungen bereits überzogen und die Verschuldungsraten der Unternehmen hoch waren. Sowohl bei traditionellen Anlageklassen als auch bei alternativen Investments zeigten die Modelle: Bei einer Reihe von Risikoanlagen bestand eine Diskrepanz zwischen den Bewertungen und ihrer Renditeerwartung. Dies veranlasste uns zu einer Überprüfung der Asset-Allokation und des Risikoengagements. Dabei richten wir unser Augenmerk auf Segmente des Privatmarkts, die die meisten traditionelle Anleger aufgrund ihrer Größe, Komplexität oder Laufzeit nicht beachten. Bei der Suche nach Anlagechancen konzentriert sich unser Research daher auf unkorrelierte und niedriger bewertete Anlagen.

Ein anschauliches Beispiel für diese Vorgehensweise ist unser Engagement im Bereich Prozessfinanzierung: Hierbei handelt es sich um eine schnell wachsende Anlageklasse, deren Renditen nicht mit den Kapitalmärkten korrelieren. Eine Drittpartei übernimmt hier die Kosten für die Durchsetzung von Rechtsansprüchen eines Klägers. Im Gegenzug erhält der Finanzierer entweder ein Vielfaches der Kosten oder einen prozentualen Anteil am erstrittenen Betrag.

Die Ursprünge dieser Vorgehensweise reichen bis in die Antike zurück. Athener unterstützten als unbeteiligte Dritte eine der Prozessparteien in einem Rechtsstreit. So war beispielsweise Apollodorus, ein reicher Bankierssohn, dafür bekannt, dass er Anteile an Prozessen kaufte und professionelle Redner anheuerte, um Plädoyers zu verfassen.

Klassische Praxis

Die Prozessfinanzierung gewann Ende der 1990er Jahre in Australien erneut an Beliebtheit und breitete sich schnell in Großbritannien, den USA und anderen Ländern wie Brasilien und Singapur aus. Ein wachsender Bedarf an Prozessfinanzierungen besteht aus buchhalterischen Gründen. So werden Interessenkonflikte vermieden und Kosten gespart.

Diese Vorgehensweise hat es ermöglicht, dass in den letzten Jahren David-gegen-Goliath-Fälle in die Schlagzeilen kamen. Beispielsweise erhielt das kleine britische Unternehmen Miller eine riesige Schadenersatzsumme vom US-Baumaschinengiganten Caterpillar, dem eine Verletzung geistigen Eigentums bei einem wichtigen Bauteil einer Schwermaschine vorgeworfen wurde.

Der Markt für Prozessfinanzierung

Die Anlageklasse erfordert ein hohes Maß an Fachwissen, weist eine geringe Konjunkturabhängigkeit auf und verfügt über einen reproduzierbaren Rahmen. Das alles ermöglicht attraktive und stabile Renditen. Der Anteil der globalen Anwaltskanzleien, die Prozessfinanzierung anbieten, ist von 7 Prozent im Jahr 2013 auf 36 Prozent im Jahr 2017 gestiegen. Großbritannien ist der reifste Markt für Prozessfinanzierung, während die USA den größten Markt darstellen. In den USA herrscht auch der größte Wettbewerb, da die Kläger im Falle der Niederlage nicht für die Kosten der Beklagten aufkommen müssen und die Anwaltsfirmen das finanzielle Risiko der Rechtsstreitigkeiten übernehmen.

Derzeit wird nur ein Bruchteil der Rechtsstreitigkeiten finanziert, sodass hohes Wachstumspotenzial besteht. Allerdings ist es wichtig, mit erfahrenen Prozessfinanzierern zusammenzuarbeiten, die über ein ausgedehntes Netzwerk, eine nachgewiesene Erfolgsbilanz, einzigartigen Marktzugang und gut strukturierte Abläufe verfügen. Sie müssen daher sorgfältig ausgewählt werden. Diversifizierung ist auch bei dieser Strategie entscheidend. Denn die Verteilung der Renditen ist leptokurtisch, was ein hohes Maß an höheren und niedrigeren Renditen impliziert.

Die Dynamik dieser Anlageklasse ähnelt der bei der Vorfinanzierung von Musikprojekten, wie David Bowie sie in den 1990er Jahren vorangetrieben hat. Die Prozessfinanzierung stellt eine Form der Verbriefung in einer neuen Anlageklasse dar. Sie ist nicht mit Finanzmärkten wie den Aktien- oder Anleihemärkten korreliert und bietet daher große Diversifizierungsvorteile im Portfoliokontext. Die Branche weist zudem keine Korrelation mit der Gesamtwirtschaft auf – ganz im Gegenteil: Marktabschwünge führen im Allgemeinen zu einer Zunahme der Rechtsstreitigkeiten und damit der Transaktionen.

Hohes Potenzial

Der Markt für Prozessfinanzierung ist noch weitgehend unerschlossen, und nur bei wenigen Fällen herrscht harter Wettbewerb. Hedgefonds und andere Akteure verfügen nicht über das Fachwissen, um Einzelfälle zu finanzieren. Dies erfordert enge Beziehungen zu Anwaltskanzleien, Humankapital, einen effizienten Due-Diligence-Prozess und Expertise. Dennoch wächst die Nachfrage stark, und die Finanzierer sind gut aufgestellt, um auf absehbare Zeit überdurchschnittliche Renditen zu erzielen. In dieser Hinsicht ist Prozessfinanzierung mit Private-Equity- oder Private-Debt-Strategien vor 10 bis 15 Jahren vergleichbar.

 

Über den Autor:
Marc Syz ist Mitbegründer und geschäftsführender Gesellschafter von Syz Capital, der 2018 von der Syz-Gruppe gegründeten Investmentgesellschaft für Privatmarktanlagen. Er begann seine Karriere als Analyst bei der Credit Suisse, bekleidete danach verschiedene Positionen bei der Union Bancaire Privée in Genf und war zuletzt Geschäftsführer von ACE & Company, einer globalen Co-Investment-Gruppe. 

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