Großer Sektorenvergleich Anleger werden Risiken neu bewerten

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Energie- und Rohstoffsektor

Unternehmen im Energie- und Rohstoffsektor erzielen aufgrund der operationellen und finanziellen Fortschritte nach dem Verfall der Rohstoffpreise starke freie Cashflows, welche jedoch wieder Wachstumsprojekten und der aktionärsfreundlichen Finanzpolitik dienen. Diese Entwicklung sowie die zusätzliche Unsicherheit einer fortschreitenden globalen Wachstumsabschwächung aufgrund des Handelsdisputs hat uns veranlasst, den Sektorausblick zu reduzieren. Wir senken den Ausblick von Improving (verbessernd) auf Stable (stabil).

Nach der Phase der rekordtiefen europäischen Strompreise von 2014 bis 2017 stellt sich wieder so etwas wie Normalität im Markt der Stromversorger ein. Das bedeutet, dass die vormals arg gebeutelten Stromerzeuger wieder Preise erhalten, welche zu einem positiven Deckungsbeitrag führen. Das gegenwärtige Preisniveau löste hingegen keineswegs einen Investitionsschub aus. Denn Investitionen rechnen sich ohne direkte und indirekte Fördermaßnahmen noch nicht. Aus einer Kreditperspektive bevorzugen wir vertikal integrierte Versorger mit reguliertem Geschäft beziehungsweise mit einem ausgewogenen, diversifizierten Erzeugungsportfolio.

Bankensektor

Im Bankensektor erwarten wir, dass die Differenzierung der Kredite einerseits nach Geografie und andererseits innerhalb der Regionen nach makroökonomischen Umweltfaktoren und Konsolidierungsgrad des Bankensystems im Jahr 2020 Bestand hat. Banken in den USA, Kanada, Australien und Singapur sollten trotz des Gegenwinds aus Zinssenkungen, schwächerem Kreditwachstum sowie Problemen in der Corporate Governance und Compliance weiterhin eine robuste Profitabilität aufweisen.

In Europa dürften vor allem die Banken in Frankreich und Benelux von den oligopolistischen Marktstrukturen profitieren und weiterhin über befriedigende Finanzprofile verfügen. In Skandinavien dämpfen ein intensiver Wettbewerb im Hypothekengeschäft sowie die zu erwartenden Belastungen aus den Geldwäscheskandalen unsere Ertragserwartungen. Am pessimistischsten bleiben wir für die deutschen Groß- und Landesbanken. Bei Finanztiteln empfehlen wir in der Kapitalstruktur tiefer zu gehen und favorisieren Bankanleihen der Kategorie Tier 2 von höher eingestuften Instituten gegenüber gleich bewerteten Senior-non-preferred-Papieren von schwächeren Banken. 

Immobilienunternehmen

Dank tieferen Kapitalisierungssätzen und leicht steigenden Mieten können Immobilienunternehmen immer höhere Bewertungen der Anlageportfolios rechtfertigen, was jedoch teilweise zu nicht nachhaltigen Dividendenausschüttungen führt. Während bei Wohnimmobilien eine scheinbar kaum zu stillende Nachfrage vorhanden ist, verbreiten sich bei Gewerbeimmobilien zunehmend alternative Nutzungskonzepte. So werden nicht mehr benötigte Einzelhandelsflächen kurzerhand in Logistikzentren umgenutzt, zu große Einkaufsflächen in kleinere aufgesplittet oder leerstehende Büroflächen in Angebote umgewandelt, bei denen sich mehrere Nutzer Räume teilen (Shared-Office-Angebote). Das zu billige Geld führt jedoch je länger desto stärker zu Übertreibungen in den Immobilienmärkten.


Über den Autor:
René Hermann ist Partner beim Schweizer Kredit-Analyseunternehmen Independent Credit View. In dem Unternehmen mit Sitz in Zürich verantwortet er den Bereich Research. Bevor er 2009 zu Independent Credit View stieß, war er als Senior-Analyst für die Credit Suisse Group und unter anderem im Bereich Mergers & Acquisitions für Zurich Financial Services tätig. 

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