Fluch oder Segen? Bei Aktienrückkäufen müssen Anleger den Einzelfall abwägen

 Karl-Heinz Thielmann ist Vorstand von Long-Term Investing Research – Institut für die langfristige Kapitalanlage.

Karl-Heinz Thielmann ist Vorstand von Long-Term Investing Research – Institut für die langfristige Kapitalanlage.

In den vergangenen Wochen haben wir einige wilde Tage an den Aktienmärkten erlebt. Ausgangspunkt der Turbulenzen waren die USA: Der Zinsanstieg bei US-Treasuries, massive Rückgaben von ETFs durch Privatanleger, die Drohungen bezüglich eines Handelskrieges durch Donald Trump sowie der Facebook-Datenschutz-Skandal verdarben die Stimmung. Auffällig war allerdings, dass sich trotzdem US-Aktien besser halten konnten, während der Verkaufsdruck europäische und asiatische Börsen stärker ins Minus drückte.

Der Hauptgrund hierfür lässt sich schnell finden: Auf den Kurseinbruch reagierten viele große US-Unternehmen mit umfangreichen Kaufprogrammen für eigene Aktien. Alleine im Februar wurden nach Berechnungen von Trimtabs neue Rückkäufe in Höhe von 153,7 Milliarden US-Dollar angekündigt. Dies ist ein Plus von 157 Prozent gegenüber den Ankündigungen vom Januar 2018 (59,9 Milliarden US-Dollar) und stellt den bisherigen Rekord von 133 Milliarden US-Dollar aus April 2015 deutlich in den Schatten.

In Europa haben bislang nur wenige Konzerne wie Münchner Rück oder Novo Nordisk in erheblichem Umfang Aktien zurückgekauft. In den USA hingegen gehören umfangreiche Aktienrückkaufe seit Jahren zum Standardinstrumentarium von Finanzvorständen. Jüngste Ankündigungen von Nestlé, Adidas, Philips und anderen Firmen zur Auflage von Rückkaufprogrammen zeigen jedoch, dass verstärkt dem amerikanischen Vorbild gefolgt wird – mit zumeist positiven Folgen für die Kurse.

Rückkäufe: ein vielfach abgelehntes Instrument zur Marktstabilisierung

Bei aller Freude über die kursstützende Wirkung von Aktienrückkäufen stellt sich jedoch die Frage, ob sie nicht auf Kosten der langfristigen Performance gehen. William Lazonick, Professor an der University of Massachusetts Lowell, forscht hierzu schon seit Längerem und lehnt sie kategorisch ab. Steigende Aktienrückkäufe sind für ihn ein Symptom eines Paradigmenwechsels bei vielen großen US-Firmen in den vergangenen Jahrzehnten.

Statt einbehalten und reinvestieren (retain and reinvest) sei schrumpfen und ausschütten (downsize and distribute) zum Leitmotiv für viele Managemententscheidungen geworden: Anstatt produktive Investitionen in Wachstum vorzunehmen, würde das Geld lieber an Aktionäre zurückgegeben. Seit 2007 wurden 94 Prozent der Nettogewinne laut Berechnungen von Lazonick durch Dividenden und Rückkäufe an die Anteilseigner transferiert. Investitionen wurden, sofern sie überhaupt stattfanden, vorwiegend durch Kredite finanziert.

Seit 1998 bewegt sich in den USA der Umfang der Aktienrückkäufe ungefähr auf dem Niveau der ausgeschütteten Dividenden. Sie sind damit eine gleichberechtigte Art und Weise geworden, Geld an Aktionäre zurückzugeben. Abgesehen von einem steuerlichen Vorteil für einige Aktionäre haben sie vor allem den Effekt, dass sie ein Gewinnwachstum je Aktie zeigen, das deutlich höher erscheint, als das tatsächliche Ertragswachstum im Unternehmen selbst ist.

Dies ist insbesondere aufgrund der Bonus-Regelungen für viele Manager bedeutsam: Wenn ihre leistungsbezogene Vergütung an die Steigerung des Gewinns je Aktie oder die Aktienkursentwicklung gebunden ist, ist es für sie oftmals der einfachste Weg zu einem hohen Gehalt. Aktienanzahl vermindern anstatt für eine nachhaltige Gewinnsteigerung zu arbeiten. Insbesondere bei operativ stagnierenden Firmen ist für Manager die Verführung groß, durch Rückkäufe ihren Gewinn je Aktie künstlich zu steigern und so ihre Erfolglosigkeit zu überspielen.