ESG-Kriterien und Klimakonformität Wie Immobilieninvestoren Wertverluste verhindern

Steffen Schaack (links) und Jonathan Schott

Steffen Schaack (links) und Jonathan Schott: Wer bei Bestandsimmobilien jetzt nicht in die ESG-Offensive geht, riskiert Wertverluste bis hin zur Unverkäuflichkeit.

Seit einiger Zeit gelten erstmals EU-weite und messbare ESG-Kriterien für Immobilien, die der Branche viel abverlangen. Unter anderem trat im März 2021 mit der sogenannten Offenlegungsverordnung eine europäische ESG-Regulierung in Kraft, die umfassende Informations- und Offenlegungspflichten für die Nachhaltigkeitsrisiken von Investments festlegt. Auch die Bestimmungen der EU-Taxonomieverordnung, die seit Anfang dieses Jahres teilweise in Kraft ist, legen fest, wann eine Investition als nachhaltig gelten kann.

Und das ist erst der Anfang. Die Immobilienwirtschaft erwartet in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weiter steigende Anforderungen aus dem ESG-Regelwerk. Auch für Investoren und Bestandshalter, deren Fokus nicht auf Nachhaltigkeit liegt, wird das ganz konkrete ökonomische Konsequenzen haben.

ESG steht für Environmental (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung) und war lange Zeit nicht rechtlich definiert. Zwar gab es unterschiedliche Zertifizierungssysteme für sogenannte Green Buildings. Doch in der gelebten Praxis konnte jeder Investor und Bestandshalter eigene Maßnahmen entwickeln – oder sich auch nur an das Mindestmaß der baugesetzlichen Vorschriften halten.

Die neuen Vorgaben betreffen die Themenfelder Bau, Umbau und Sanierung. Bei Letzterem liegt die größte Problematik in der klimabezogenen ESG-Umsetzung, weil voraussichtlich 80 Prozent des aktuellen Gebäudebestands auch im Jahr 2050 – also zum Zeithorizont für die Umsetzung der Pariser Klimaziele – noch in Nutzung sein werden.

Der neue politische Fokus auf nachhaltige Immobilien kommt nicht von ungefähr: Schließlich ist rund ein Drittel aller CO2-Emissionen auf Gebäude zurückzuführen, entsprechend gigantisch ist das Potenzial der Energieeinsparungen auf gesamtwirtschaftlicher Ebene. Die klimabezogenen Regularien stellen somit ein ziemlich riesiges Puzzlestück dar, das sich in die bestehende Baugesetzgebung einfügt. Bereits jetzt müssen Sanierungen eine Energieersparnis von mindestens 30 Prozent erreichen oder im Einklang stehen mit der nationalen Umsetzung der EU-Gebäuderichtlinie, in Deutschland also mit dem Gebäudeenergiegesetz.

Klimaneutralität: 98 Prozent der Bestandsimmobilien droht der Stranded-Asset-Status

Wer vor diesem Hintergrund den Ist-Stand der deutschen Immobilienbestände betrachtet, erkennt sofort, wie enorm der Handlungsdruck ist. Beinahe der gesamte Gebäudebestand (98 Prozent) entspricht nicht den Ansprüchen für eine klimaneutrale Nutzung, wie sie bis 2050 erreicht werden muss.

Wer Bestandsimmobilien klima- und taxonomiekonform saniert, wird definitiv dafür belohnt werden. Im Umkehrschluss: Wer nicht zeitnah handelt, wird massive Wertverluste in Kauf nehmen müssen. Nichts zu unternehmen, wird sich rückblickend als fahrlässig erweisen, unter anderem schweben die sich ankündigenden CO2-Bepreisungen wie ein Damoklesschwert über sämtlichen Immobilienbeständen. Für Investoren und Bestandshalter, die nicht direkt unter die Regulierungen der großen Fondsmanager und institutionellen Investoren fallen, wird die Situation letztlich genauso angespannt werden.

Nicht-klimakonformen Bestandsimmobilien droht die Veräußerung mit empfindlichen Wertabschlägen an professionelle Investorengruppen und damit die Entwicklung zu sogenannten Stranded Assets. Weiterhin kann es bei längerer Bestandshaltung und durch immer klimabewusstere Nutzer aus dem Wohn- und Gewerbesegment in zweiter Instanz auch zu langfristigen Leerständen kommen.

Diese Ausgangslage ist aber kein Grund, um in Panik zu verfallen. Denn es gibt viele Optionen, um Gebäude zukunftsfest zu machen. Eine besonders große Bedeutung hat die Umstellung alter Baubestände auf eine nachhaltige Wärmeversorgung.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Installation von energieeffizienterer Gebäudetechnik verringert die Betriebskosten. Eine genaue Kenntnis über den Umwelt-Ist-Zustand eines Gebäudes kann zudem die Wahrscheinlichkeit unvorhersehbarer Rechtsstreitigkeiten minimieren. Und wer den gesetzlichen Anforderungen zeitlich voraus ist, verringert das Risiko, strengere Vorschriften zu verletzen.

Die Klimabilanz kann sich zudem nicht nur negativ, sondern auch positiv auf die möglichen Verkaufspreise auswirken. Wer eine Immobilie aus dem zweiprozentigen Anteil der vollständig klimakonformen Objekte sein Eigen nennt, kann bei der anhaltend hohen Nachfrage seitens institutioneller Investoren so gut wie sicher sein, dass einige dieser Akteure durchaus zu Preisaufschlägen bereit sein können.