Digitalisierung der Finanzbranche, Teil 2 Wie die Digitalisierung ganz neue Kundenerlebnisse schafft

Marco Richter ist Mitgründer und Geschäftsführer von Wealthpilot

Marco Richter ist Mitgründer und Geschäftsführer von Wealthpilot Foto: Wealthpilot

Hans-Peter König sitzt mit seinem Freund vom Rotary Club in der neuen Rooftop-Espressobar seines angestammten Bekleidungsgeschäftes und unterhält sich über den gestrigen Abend, von dem er noch immer begeistert ist: Seine Kinder haben ihm zu Weihnachten einen Grillkurs mit dem Motto „Best Of Grill Academy – Around the World Special“ geschenkt. Und so hat er gestern vier Stunden lang gelernt, was er mit seinem semiprofessionellen Gasgrill, den er sich zu seinem 55. geleistet hat, noch alles zaubern kann. Gerade zeigt er seinem Freund ein kleines selbstgedrehtes Video von dem Event, auf dem zu sehen ist, wie er in Schürze und mit Grillgabel bewaffnet einen Fleischspieß flambiert, als sein Smartphone klingelt.

Auf dem Display erscheint der Name von Stefan Bauer, seinem Bankberater. Sicher will er ihn an den Termin morgen Nachmittag erinnern. So richtig Lust auf das Treffen mit seinem Banker hat Herr König nicht, aber einmal im Jahr fühlt er sich doch verpflichtet, sich mit seinen Finanzen auseinander zu setzen. So ähnlich wie der Routinetermin beim Zahnarzt. Also wischt er den Regler auf dem Display zur Seite, der Klingelton mit seinem Lieblingssong „Ring of Fire“ verstummt und er bestätigt ihm kurz, dass er kommen wird.  

So oder so ähnlich könnte eine Szene aus dem Leben eines Ihrer Kunden aussehen. Und sie steht symptomatisch dafür, wie Ihre Kunden heute die Welt als Konsument erleben. Als zahlungskräftige Babyboomer sind sie im Sweet Spot der Marketingindustrie und werden als solche auf mannigfaltige Weise umgarnt. Aus ihrem Kaffee ist ein Lifestyle-Produkt mit italienischem Touch geworden und aus dem Würstchengrillen im Garten ein Outdoor-Kitchen-Erlebnis.

Erlebnis – das Schlüsselwort unserer Zeit. Längst geht es nicht mehr darum, bloß ein Produkt zu verkaufen. Im Jahr 2019 geht es darum, dem – potentiellen – Kunden eine ganze Welt an Erlebnissen zu eröffnen und ein Lebensgefühl zu vermitteln. Man muss ihn überraschen, begeistern und so einen Fan aus ihm machen. Doch welche Maßnahmen muss ich als Finanzdienstleister ergreifen, um in einer Welt der Erlebnisse zu bestehen und welchen Beitrag kann die Digitalisierung dabei leisten?

Im Silicon Valley wird das Mantra der Customer Experience schon seit längerem gebetet. Man hat dort schon früh erkannt, dass man für ein Erlebnis bereit ist, viel mehr zu bezahlen. Und dass man durch Erlebnisse eine Beziehung zum Kunden aufbaut, ihn loyal macht. Die Finanzindustrie wirkt im Vergleich zu Nespresso, Apple und Co. abgeschlagen, was das Bereiten von Kundenerlebnissen angeht.

Ja, da gibt es zum Beispiel das Q110-Konzept der Deutschen Bank mit der Flagship-Filiale „Quartier Zukunft“ in Berlin. Aber das ist eine Ausnahmeerscheinung und auch die Deutsche Bank weiß das, wenn sie auf der Website des Quartiers schreibt: „Was erwarten Sie von Ihrer Bank? Vermutlich nicht das, was Sie im Quartier Zukunft der Deutschen Bank bekommen. Hier ist vieles anders, vor allem ist vieles weiterentwickelt und zeigt, wie Banking der Zukunft aussehen kann.“ Bedeutet: Ein Kunde im Private Banking nimmt heute eine Bank oder einen Vermögensverwalter nicht als besonders innovativ oder inspirierend wahr.