Digitalisierung der Finanzbranche, Teil 1 Was der digitale Wandel dem Private Banker zurückgibt

Wealthpilot-Chef Marco Richter: „Echte Digitalisierung macht Spaß“.

Wealthpilot-Chef Marco Richter: „Echte Digitalisierung macht Spaß“. Foto: Wealthpilot

Draußen ist es schon hell geworden und Stefan Bauer wird durch sanftes Vibrieren seiner Smartwatch am Handgelenk passend zu seinem Schlafrhythmus aus den Träumen geholt. Nach dem Aufstehen steuert er im Bad per App auf seinem Handy die Sonosbox an, die ihm seine Playlist für den Morgen spielt. Als Stefan später das Haus verlassen will, sagt er Alexa, dass sie die Musik ausmachen soll und erstellt eine Erinnerung, damit sie ihm abends sagt, er soll die Blumen gießen.

Laut Wetter-App scheint heute die Sonne und da kein Car-2-go für ihn in der Nähe ist, entscheidet er sich, für den Weg zur Bank das Rad zu nehmen. So sammelt er gleich umweltfreundlich ein paar verbrannte Kalorien in seiner Health App und steht im familieninternen Wettbewerb mit Sabine um die meiste Bewegung gleich wieder ganz gut da. Am Arbeitsplatz angekommen, fährt er den Desktop-Rechner hoch. Dort erwarten ihn das Ökosystem der Bank und einzelne Hilfsprogramme.

Für jedes einzelne hat er aufwendige Schulungen bekommen und sich im Laufe der Zeit mit ihnen mehr oder weniger angefreundet. Besonders die Einarbeitung in Excel hat ihn als Beziehungsmensch viel Zeit und Nerven gekostet. Daher ist er immer noch ein bisschen stolz, wenn ihm eine gute Präsentation gelingt, die er seinem Kunden zur Verfügung stellen kann. Denn auch Grafiken kann er mittlerweile mühelos in die Vermögensaufstellung einbauen.

Stefan und sein Alltag sind zwar rein fiktiv, aber repräsentativ für hunderte von Geschäftsmodellen, die ich in meiner Position als Marktverantwortlicher bei Wealthpilot in den vergangenen drei Jahren kennenlernen durfte. Allen Beratungsprozessen ist gemein, dass sie in dem Teil, den Mifid II reguliert, hochgradig standardisiert sind. Dabei kommt Software zum Einsatz, die aus den Nullerjahren oder sogar neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts stammt, einer Zeit, als Programme noch hermetisch abgeschlossene Silos waren und das Internet erst laufen lernte. Ihr Fokus liegt meist auf Qualitätsmanagement und Vertriebssteuerung.

Für Stefan und alle Berater in der Finanzindustrie stellt sich daher die Frage, was die Digitalisierung für Sie ganz konkret bedeutet. Schließlich arbeitet er ja bereits mit gut einem halben Dutzend verschiedener Anwendungen und damit irgendwie schon digital. Bedroht die neue Digitalisierungswelle nur seinen Arbeitsplatz oder hält sie möglicherweise sogar Chancen bereit?

Meine Einschätzung deckt sich mit der Mehrheit der Stimmen aus dem Markt: Die Digitalisierung in der Finanzindustrie wird die persönliche Beratung nicht ersetzen, sondern ergänzen. Das Stichwort der Stunde lautet hybride Beratung. Aber wie wird diese Ergänzung aussehen? Beziehungsweise wie muss sie aussehen, damit sie nicht nur alter Wein in neuen Schläuchen ist? Denn durch bloßes Aufpolieren der Bedieneroberflächen oder einer schicken Multi-Banking-App ist es nicht getan.

Aus meiner Sicht muss nur derjenige Angst vor den Umwälzungen des digitalen Zeitalters haben, der auf die Vogel-Strauß-Methode setzt und hofft, dass die Digitalisierung wie ein Sommergewitter schnell vorüberzieht und danach alles so weitergehen kann wie zuvor. Wer so denkt und handelt, verliert erst den Anschluss und am Ende mit den Kunden auch seine Geschäftsgrundlage.