Jeder Finanzmarktakteur unterliegt beim Investieren einer großen Ungewissheit, der Zukunft. Da niemand die Zukunft mit Sicherheit kennt, sind Risiken gezwungenermaßen vorhanden. Im Investitionsprozess spielt die Risikoeinschätzung eine wesentliche Rolle. Die Finanztheorie unterstellt Investoren Risikoaversion, was nichts anderes heißt als dass ein niedrigeres Risiko dem höheren Risiko vorgezogen wird. Ein rationaler Investor schenkt dem Verhältnis aus potentieller Rendite und möglichem Risiko große Beachtung. Zur Risikoeinschätzung sind Risikokennzahlen populär und wichtig, dennoch sollte die qualitative Risikobeurteilung, gestützt durch einen gesunden Menschenverstand nicht fehlen. Darüber hinaus spielt in einer ungewissen Zukunft der Zufall und höchstunwahrscheinliche Ereignisse eine entscheidende Rolle. Spätestens seit der weltweiten Covid-19 Pandemie für jeden greifbar.
Aus diesem Grund reicht die theoretische Annahme der ansteigenden Kapitalmarktline nicht aus, die Relation aus Rendite und Risiko zu beurteilen. Hierbei wird unterstellt, dass risikoreichere Investments eine höhere Rendite erzielen werden. Wäre dieser Zustand zuverlässig gegeben, kann die Schlussfolgerung bedeuten, dass risikoreichere Investitionen nicht riskanter sind, da das Ergebnis mit Sicherheit feststeht. Zutreffender ist die Aussage, dass riskantere Investments höhere erwartete Renditen bieten, als risikoarme Möglichkeiten. Gerade in einer Welt von negativen Realzinsen ist diese Überlegung essenziell. Investiert der Investor in Asset-Klassen die relativ zum risikolosen Zins eine höhere Rendite erwarten, steigt das eingegangene Risiko an. Steigendes Risiko führt zur erhöhten Unsicherheit der erwarteten Rendite und damit zum steigenden Verlustrisiko. Das Zitat von Elroy Dimson, einem englischen Wirtschaftswissenschaftler, bringt das Thema auf den Punkt: „Risiko bedeutet, dass mehr Dinge passieren können, als passieren werden.“
Die Frage ist, wie hohe Risiken entstehen? Unabhängig von der Assetklasse ist das Risiko hoch, sobald der Kurs eines Assets deutlich über dem inneren Wert liegt. Geht ein Investor zusätzliche Risiken ein um eine höhere erwartete Rendite zu erzielen, sollte er eine angemessene Risikoprämie erwarten. Gerade in Bullenmärkten vernachlässigen Investoren diese Risikoprämie zu verlangen und setzten sich hohen Risiken aus. Daher entstehen in Boomphasen hohe Risiken für Investoren, wenn die Kurse deutlich über dem inneren Wert liegen, Risikoprämien sinken und über die Zukunft Sorglosigkeit besteht oder extrem optimistische Annahmen getroffen werden. Toleriert der Finanzmarkt die Risiken und sieht diese als gering an, werden Finanzmarktpreise nach oben getrieben. Dies führt langfristig nicht zu hohen Gewinnen, sondern lässt zukünftig erwartete Renditen sinken. Die Kurse entkoppeln sich vom inneren Wert. Wird die sinkende Risikoaversion von Euphorie und gänzlicher Sorglosigkeit abgelöst, entsteht der Nährböden einer Spekulationsblase. Ob eine Spekulationsblase vorhanden ist oder wann diese platzt, ist zum Nachteil der meisten Anleger nur im Rückspiegel erkennbar.
Für den Investor ist der entscheidende Punkt sich den Zustand steigender Kurse bewusst zu sein und seine Risikotragfähigkeit abzuschätzen. Risiken lassen sich nicht eliminieren, aber transferieren und steuern. Hohe Kurse entstehen, sobald die Risikoaversion immer weiter sinkt und Marktteilnehmer glauben, in einer Welt niedriger Risiken zu leben. Meist wird daraufhin die Angst größere Gewinne zu verpassen bedeutender, als diese tragend werden könnten. Aufgrund bestimmter Annahmen oder Parametern wird davon ausgegangen, diesmal sei es anders als in der Historie, was fatale Folgen haben kann. Dabei werden Aktien mit astronomischer Bewertung, optimistischen Zukunftserwartungen, schwacher Ertragslage und einer minderen Qualität genauso gekauft, wie Anleihen mit schlechter Bonität und schwachem Geschäftsmodell mit niedriger Renditeaussicht.
Die Finanztheorie etablierte die Regression zum Mittelwert. Darunter versteht man das tendenzielle Zurückpendeln zum langfristigen Renditedurchschnitt von Asset-Preisen, nachdem besonders hohe oder niedrige Renditeextremwerte aufgetreten sind. Stark steigende Kurse implizieren hohe vergangene Renditen. Jagt zusätzliches Kapital diesen gestiegenen Kursen hinterher, sinken unausweichlich die zukünftig erwarteten Renditen und die Sicherheit. Die Bewertung ist, ebenso wie das Risiko, hoch. Die steigende Bewertung zeigt sich in hohen Vergleichsgrößen, sogenannten Multiplies, wie dem Kurs-Gewinn-Verhältnis und Kurs-Buch-Verhältnis. Darüber hinaus in engen Kreditspreads, also Risikoprämien, die sich aus der Differenz festverzinslicher Unternehmensanleihen und Staatsanleihen mit gleicher Laufzeit und gleichen Währungen ergeben, undiszipliniertem Verhalten der Marktteilnehmer, massiven Einsatz von Fremdkapital und einer starken Nachfrage nach Investments aller Art. Diese Dinge führen zu erhöhten Preisen, reduzieren die erwarteten Renditen und schaffen ein von hohen Risiken geprägtes Marktumfeld.
Eine Aussage über die Bewertung einer Anlageklasse kann nur getroffen werden, wenn die aktuellen Bewertungen mit erprobten, also empirischen verglichen werden und zusätzlich das Zinsniveau einkalkuliert wird. Der Nachteil, der sich beim Vergleich empirischer Bewertungen von Aktienmärkten ergibt ist darin begründet, dass sich der Anteil der Technologie- und Wachstumsunternehmen in den bekannten Kennziffen zur Darstellung von Veränderungen bestimmter Größen zwischen verschiedenen Zeitpunkten, also Indices in den letzten Jahrzehnten deutlich erhöht hat. Klassischerweise werden diesen Unternehmen höhere zukünftige Wachstums- und Ertragsaussichten unterstellt, was sich in höheren Bewertungen widerspiegelt.
Bei der Bewertung von Assets spielt der risikolose Zins die entscheidende Rolle. Dieser dient bei der Bewertung von Assets als Abzinsungsfaktor der zukünftigen Cashflows. Ist das Zinsniveau niedrig, kann eine höhere Bewertung akzeptiert werden. Wie man sieht, ist der Bewertungsprozess hier vereinfacht dargestellt und trotzdem komplex, welches ein faires Niveau schwer zu bestimmen lässt. Erschwerend kommt die Wahl geeigneter Bewertungskennzahlen hinzu. Die viel beachteten Kennzahlen Kurs-Gewinn-Verhältnis oder Kurs-Buchwert-Verhältnis eignen sich unzureichend für eine Standpunktbestimmung. Auf der einen Seite fließen keine zukünftigen Ertrags- und Wachstumspotentiale in diese Kennzahlen ein, auf dem die Bewertung aus Kapitalmarktsicht beruht. Auf der anderen Seite basiert die Kennzahlenermittlung auf Buchwerten und Marktwerten, wobei der Kapitalmarkt ausschließlich die zukünftige Ertragskraft bewertet. Die aus der Fachliteratur bekannte Marktwert-Buchwert-Lücke sieht die Bewertung von kapitalmarktorientierten Unternehmen kritisch, da Buchwerte aufgrund von bestehenden Rechnungslegungsvorschriften den originären Goodwill und immaterielle Vermögensgenstände unzureichend einkalkuliert.