Marktwert-Buchwert-Lücke & Co. Erkennen Investoren bei steigenden Kursen die Risiken?

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Nachfolgend sehen Sie eine Auflistung aktueller Fakten, Daten und Prognosen, die nicht den Anspruch der Vollständigkeit Rechnung tragen. Bilden Sie sich Ihre eigene Meinung für das Verhältnis zwischen Chancen und Risiken. Wie in jeder Marktphase gibt es bullische und bärische Argumente. Die Frage bei der Risikoeinschätzung ist, welche überwiegen:

  • Covid-19 Impfstoff vorhanden. Aussicht auf sinkende Infektionen und Ende der weltweiten Pandemie.
  • Ultraexpansive Geldpolitik der wichtigen Notenbanken weltweit
  • Finanzielle Unterstützungs- und Konjunkturprogramme der Regierungen in mehrfacher Billionenhöhe.
  • Überdurchschnittlich hohe Konsumausgaben und Nachholeffekte Richtung Ende der Pandemie absehbar.
  • Positiver Vermögenseffekt privater Haushalte durch Konsumverzicht während Pandemie und steigenden Asset-Preisen. Zusätzlich hohe Transferleistungen durch den Staat, vor allem durch Unterstützungsschecks in der USA.
  • Das Aussetzten von Insolvenzregelungen hält Zombie-Firmen am Leben.
  • Die Liquiditätsschwemme unterstützt bonitätsschwache Unternehmen bei der Kapitalaufnahme.
  • Prognostiziertes erhebliches Wirtschaftswachstum weltweit. Asien und USA früher als Europa.
  • Steigendes Umweltbewusstsein der Bevölkerung und neue ESG-Richtlinien
  • Disruptive Technologien und steigende Digitalisierung.
  • Notenbanken signalisieren langfristig niedrige Zinsen, um die Wirtschaft zu unterstützen. Umfassende Instrumente stehen bereit und werden genutzt.
  • Langfristig positives Wirtschaftswachstum, da Lockdown-bedingte Rezession überwindet wird.
  • Politische Unsicherheiten nahmen seit 2020 in der Öffentlichkeit ab. Spannungen bleiben bestehen.
  • Steigende Inflationsprognosen durch Wirtschaftserholung und ultraexpansiven Geldpolitik implizieren steigende Zinsen.
  • Stark steigende Assetpreise seit dem pandemiebedingten Einbruch.
  • Renditen der 10-jährigen Deutschen und amerkanischen Staatsanleihen haben sich innerhalb von wenigen Monaten mehr als verdoppelt.
  • Eine Flut an zusätzlicher Liquidität durch Notenbanken und Staaten.
  • Zukünftige Entwicklung der Covid-19 Pandemie ungewiss (unter anderem (Impfakzeptanz, Wirksamkeit, Mutationen).
  • Heißes Bieten im Anleihegeschäfte, niedrige Anleiherenditen und schwache vertragliche Absicherungen.
  • Buffett-Indikator (das Verhältnis der gesamten Aktienmarktkapitalisierung zum Bruttoinlandsprodukt) weit über seinem bisherigen Höchststand
  • Bewertungskennzahlen wie KGV, KBV, etcetera im historischen Durschnitt sehr hoch.
  • Niedrige/negative Zinsen verursachen Anlagenotstand.
  • Spekulationstendenzen in einzelnen Aktiensegmenten. Vor allem in Zukunftstechnologien wie beispielsweise E-Mobility, Wasserstoff, Erneuerbaren Energien.
  • Enormer Kursanstieg bei Rohstoffpreisen und alternativen Investments wie Kryptowährungen.
  • Seit Pandemie enormer Anstieg privater Anleger an den Finanzmärkten. Teilweise mit dem Ziel „schnell Geld zu verdienen“. Beispielsweise „Robinhood-Trader“ und Kursexplosionen wie beispielsweise bei Gamestopp.
  • Höchste Quote an Wertpapierkrediten jemals.
  • Eine große Anzahl von Börsengängen, auch von unrentablen Unternehmen, und Kurssprünge am ersten Tag von Dutzenden oder Hunderten Prozentpunkten.
  • Höchste jemals gemessene Anzahl von Neuemissionen an Spacs. Ein Spac ist ein Akquisitionszweckunternehmen, welches zunächst Kapital über einen Börsengang einsammelt, um dieses in einem zweiten Schritt in die Übernahme eines (vorher nicht fest bestimmten) Unternehmens zu investieren.
  • Die Arbeitslosenquote könnte langsamer fallen als erwartet.
  • Der Konflikt zwischen der USA und China spielt aktuell keine Rolle, ist jedoch nicht vom Tisch.
  • Hohe Schuldenaufnahme durch Staaten und Notenbanken durch Pandemie.

Als Fazit kann festgehalten werden, dass Risiken immer dann entstehen, sobald das grundlegende Verhalten der Finanzmarktakteure den Markt verändert. Verschwindet nach und nach das Risikobewusstsein der Anleger durch Sorglosigkeit und einer zu optimistischen Zukunftserwartung, werden die Asset-Preise nach oben getrieben. Die steigendenden Kurse locken neues Investitionskapital an, welche die Kursanstiege weiter beschleunigen lassen. Dabei koppelt sich der Kurs von dem zu Grunde liegenden Wert ab, was zu niedrigeren erwarteten Renditen und einer abnehmenden Risikoprämie führt. Das mutige und optimistische Sentiment der Marktteilnehmer verursacht durch die gegenwärtige Aufwertung das Vorwegnehmen der in Zukunft stattgefundener Kursanstiege, welche mit fundamentaler Wirtschaftskraft untermauert wären.

Die Psychologie der gesamten Marktteilnehmer spielt eine entscheidende Rolle an den Finanzmärkten. Angst und Euphorie steht in ständiger Wechselwirkung zueinander. Antizyklisches Handeln stellt deshalb den überlegenden Investitionsprozess dar. Die Ausführungen zeigen, dass Paradoxerweise steigende Asset-Preise zu einer sinkenden Risikoaversion der Marktteilnehmer führt. Die Sorge, bei steigendenden Kursen nicht dabei zu sein, überwiegt die erhöhten Risiken und beschleunigt die Markttendenz. Nachhaltig hohe Renditen werden erzielt, wenn Marktteilnehmer ängstlich sind und glauben Asset-Preise sind riskant. Das führt zu allgemeinem Unwillen in Assets zu investieren und unweigerlich zu Preisrückgängen, in der Regel bis an den Punkt, an dem es überhaupt nicht mehr riskant ist. Eine allgemein negative Meinung kann es zur risikoärmsten Sache machen, weil jeder Optimismus aus dem Preis gewichen ist. Schlussendlich liegt der Kurs unter dem inneren Wert des Assets und ein Sicherheitspuffer liegt vor.

Jedoch zeigen die aufgelisteten Punkte, dass es unheimlich schwer ist, die aktuellen Gegebenheiten richtig einzuschätzen und zu bewerten. Ausschließlich die Beachtung von Risikokennzahlen bietet keinen Verlass in einer ungewissen Zukunft. Zusätzlich ist eine hohe Finanzmarktbewertung kein Timing-Indikator oder Gradmesser eines Börsenabschwungs. Jedoch ist die Fallhöhe deutlich höher und die Risiken sollten einem rationalen Finanzmarktteilnehmer bewusst sein. Historisch niedrige Zinsen plausibilisieren als Abzinsungsfaktor, also Diskontierungsfaktor von Asset-Preisen eine empirisch betrachtete Höchstbewertung.

Vor allem unter dem Aspekt einer voraussichtlich starken konjunkturellen Entwicklung in den nächsten Jahren, ist die Annahme nicht abwegig, dass Unternehmen durch die steigenden Wachstumsraten und Ertragsüberschüsse in die vom Kapitalmarkt vorweggenommen Bewertungen hineinwachsen. Dabei stellt sich die Frage: Ist das niedrige Zinsniveau und der prognostizierte wirtschaftliche Aufschwung garantiert und sind vorhandene Bewertungen gerechtfertigt? Die Risikoidentifikation, das messen, bewerten und kontrollieren von Risiken stellt den überlegenden Investitionsprozess dar und ist Grundlage für ein geeignetes Risikomanagementsystem.




Über den Autor:

Jonas Köberle ist seit 2020 beim Beratungs- und Anlageunternehmen KC Risk tätig. Sein Schwerpunkt liegt im Bereich Banken-Treasury und Beratung.

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