40 sind die neuen 30 Wie sich der Charakter des deutschen Leitindex Dax verändert

Dr. Christian Jasperneite von der Privatbank M.M. Warburg & CO

Dr. Christian Jasperneite von der Privatbank M.M. Warburg & CO: Der Investmentchef nimmt die veränderten Eigenschaften des neuen Dax 40 genauer unter die Lupe. Foto: M.M. Warburg & CO

Selbst Menschen, die sonst kein großes Interesse an Kapitalmärkten haben, wissen in den meisten Fällen, dass der Dax kein orthografisch verunglücktes Tier ist, sondern der wichtigste deutsche Aktienindex. Aber wozu braucht man eigentlich Aktienindizes?

Aktienindizes erfüllen heute gleiche mehrere Funktionen. Sie ermöglichen es, das Marktgeschehen auf einen Blick in eine einzige Kennzahl zu fassen und geben Marktteilnehmern einen Überblick über die Wertentwicklung eines Marktes. Gleichzeitig dienen Indizes als Vergleichsmaßstab, auch Benchmark genannt, mit deren Hilfe sich die Leistung von Portfolios und Fondsmanagern messen lässt.

Darüber hinaus erfüllen Aktienindizes auch operative Funktionen, indem sie als Basisinstrument und Referenzwert für Finanzprodukte dienen. Das weltweit in ETFs investierte Vermögen, die Indizes in ihren Portfolios nachbilden, belief sich laut Statista Research Department Ende 2020 auf gigantische 7,737 Billionen US-Dollar. Daneben existieren Index-Derivate, die in erster Linie institutionelle Investoren nutzen, um Marktpositionen schnell und kostengünstig aufzubauen oder durch Verkauf ganze Märkte und Portfolios abzusichern. So gesehen kann es nicht überraschen, dass Indizes an den Finanzmärkten nicht mehr wegzudenken sind.

Auslöser für die Dax-Reform

Gerade weil Indizes eine so zentrale Bedeutung aufweisen, ist es umso wichtiger, dass sie ihre Rolle bestmöglich erfüllen. Das setzt insbesondere voraus, dass Indizes in ihrer Struktur hinreichend repräsentativ für den Markt sind, den sie beschreiben sollen. Und hier ist der DAX zuletzt ein wenig ins Hintertreffen und gleichzeitig die Deutsche Börse in Kritik geraten.

Hauptauslöser war der Skandal um die Pleite des Zahlungsdienstleisters Wirecard, der mit gefälschten Bilanzen die Mitgliedschaft im Dax zunächst behaupten konnte, Ende Juni 2020 aber Insolvenz anmelden musste. Trotzdem blieb die Aktie von Wirecard bis Ende August 2020 im Dax, bevor sie dann von Delivery Hero ersetzt wurde — ein Unternehmen, das bis dato noch kein Geld verdient hatte.

Um solche Vorfälle in Zukunft zu vermeiden, hat die Deutsche Börse ihr Regelwerk grundlegend überarbeitet. Damit künftig nur noch nachweislich profitable Unternehmen zugelassen werden, müssen Index-Anwärter zum Beispiel bereits seit Dezember vergangenen Jahres vor der Aufnahme in den Dax mindestens zwei Jahre hintereinander einen operativen Gewinn (EBITDA) erwirtschaftet haben.

Außerdem sind alle Dax-Mitglieder seit März 2021 dazu verpflichtet, Quartalsmitteilungen und testierte Geschäftsberichte zu veröffentlichen — und zwar spätestens 90 Tage nach Ende des Geschäftsjahres. Diese Frist kann einmalig um 30 Tage verlängert werden. Sofern bis Ablauf keine Geschäftszahlen vorliegen, erfolgt unmittelbar der Index-Ausschluss. Zudem wird ein Prüfungsausschuss im Aufsichtsrat für alle Mitglieder Pflicht.

Was sich konkret ändert

Die bedeutendste Änderung ist aber die Erweiterung der Anzahl der Indextitel von bisher 30 auf nun 40 Werte. Hintergrund dafür ist, dass der Dax sehr viele Aktien aus der „alten Welt“, der sogenannten Old Economy, und wenige Unternehmen aus den Branchen Internet und Gesundheit enthält. Dadurch mutet der deutsche Leitindex im wahrsten Sinne des Wortes „überaltert“ an. Da gerade dynamisch wachsende Unternehmen nur schwer in den auserwählten Kreis der Indexkandidaten aufsteigen können, beschreibt der Dax die ganze Breite der deutschen Volkswirtschaft und des deutschen Aktienmarktes nur noch unzureichend. Dies macht ihn Kritikern zufolge anfälliger für Kursschwankungen.

Der große Anteil an Industriewerten begründet zudem eine höhere Konjunktursensibilität. Die Auf-stockung der Indexwerte soll dem entgegenwirken und für ein diversifizierteres Indexportfolio sorgen. Um stark wachsenden Unternehmen eine schnellere Chance zum Indexeintritt zu ermöglichen und dabei gleichzeitig die Indexrichtlinien zu erleichtern und transparenter zu gestalten, berücksichtigt die Deutsche Börse in Zukunft bei der Identifikation von Aufnahme- und Austauschkandidaten nur noch die Rangordnung des sich im Umlauf befindlichen Streubesitzes der Unternehmen (Free-Float-Marktkapitalisierung).

Die reguläre Überprüfung erfolgt statt bisher einmal zukünftig zweimal pro Jahr — in den Monaten März und September. Daneben gibt es „Fast-Entry“ und „Fast-Exit“-Regeln, die einmal pro Quartal überprüft werden und auf der Basis der Rangordnung nach dem Streubesitz rein regelgebunden zu einem Austausch von Indexunternehmen führen.

Neuer Charakter des deutschen Leitindex

Mit der Aufnahme von zehn weiteren Titeln ändern sich auch die „Charaktereigenschaften“ des Index. Die finale Auswahl der Aktien gab die Deutsche Börse schon am 3. September bekannt, um dann diese ab dem 20. September in der neuen Indexstruktur zu berücksichtigen. Wir haben das neue Indexportfolio bereits überprüft und seine Eigenschaften mit dem des „alten“ Dax 30 verglichen. Dabei sind wir zu folgenden Erkenntnissen gelangt:

  • Der Dax 40 ist hinsichtlich seines fundamentalen Profils etwas weniger Value-lastig, verfügt über marginal höhere Bewertungskennzahlen wie beispielsweise ein höheres Kurs-Gewinn-Verhältnis und ist damit etwas teurer.
  • Die Profitabilität und Bilanzqualität des neuen Indexportfolios erhöhen sich.
  • Die historische Rendite des Dax 40 wäre ebenfalls etwas höher als die des Dax 30 in seiner aktuellen Struktur gewesen.
  • Erwartungsgemäß verbessern sich auch die Risikoeigenschaften über die höhere Diversifikation marginal, wobei sich dies nur in den Verlustrisiken äußert, während die Volatilität unverändert bleibt.
  • Bei der Überprüfung der Anfälligkeit gegenüber einem Stress-Szenario, bei dem wir die Portfoliostruktur gegenüber einem krisenbedingten massiven Rückgang der Renditen von Bundesanleihen gestresst haben, konnten wir ebenfalls etwas geringere Verluste beobachten.