Noch ist allerdings nicht entschieden, ob es überhaupt zu einer Zinsstaffelung kommt. Mario Draghi hatte das Thema am 7. März in der Pressekonferenz im Anschluss an die Sitzung des EZB-Rats erwähnt und am 27. März während einer Konferenz noch einmal aufgegriffen. Der scheidende EZB-Chefvolkswirt Peter Praet sprach sich allerdings bereits einen Tag später gegen solche Pläne aus, da ihnen die geldpolitische Fundierung fehle. Kritiker weisen zudem darauf hin, dass eine praktische Implementierung im Euroraum schwierig sei.
Nach Berechnungen von Goldman Sachs könnte eine Zinsstaffelung, je nach konkreter Ausgestaltung, das Nettozinseinkommen der Euroraum-Banken im Durchschnitt um ein bis zwei Prozent und die Gewinne um zwei bis vier Prozent erhöhen. Am meisten würden die Banken in Deutschland profitieren. Der Deutschen Bank winkt ein Gewinnplus von sieben bis zwölf, der Commerzbank ein Plus von drei bis fünf Prozent. Ob Draghi auch deshalb mit der Staffelung des Einlagenzinses liebäugelt, weil der Bundesbank dann die Zustimmung zu den längerfristigen EZB-Refinanzierungs-geschäften zur Stützung der Peripheriebanken leichter fällt?
Die Auswirkungen einer Zinsstaffelung auf den gesamten Bankensektor dürften überschaubar bleiben. Wesentlich größer wäre dagegen die geldpolitische Signalwirkung, dass die EZB negative Einlagenzinsen als Normalzustand interpretiert. Auch eine Wiederauflage des Anleiheankaufprogramms würde leichter fallen, da der damit verbundene Anstieg der Überschussreserven für die Banken kaum noch negative Folgen hätte. Sogar weitere Zinssenkungen wären möglich. Genau aus diesen Gründen ist die Zinsstaffelung innerhalb der EZB umstritten.
Der Einfluss einer Staffelung der Einlagenzinsen auf das Zinsniveau hängt unter anderem davon ab, ob die Geschäftsbanken die Einlagenzinsen für ihre Kunden ebenfalls anpassen. Im Interbankenmarkt könnten die Zinsen sogar sinken, da sich durch die verbesserte Bankenrentabilität die Gegenparteirisiken verbessern. Auf der anderen Seite würde eine Zinsstaffelung die Kosten der Geldanlage bei der EZB senken und damit weniger Anreiz geben, Gelder an den privaten Sektor zu vergeben, was die Zinsen erhöhen würde. Diese gegenläufigen Effekte dürften dazu führen, dass die Auswirkungen auf das kurzfristige Zinsniveau insgesamt begrenzt bleiben.
Größer könnte der Effekt bei den langfristigen Zinsen sein. Da eine Zinsstaffelung vom Markt als Signal für ein dauerhaft niedriges Zinsniveau gesehen wird, sollten die langfristigen Zinsen, die die Erwartungen des Markts über die zukünftigen kurzfristigen Zinsen spiegeln, weiter sinken. Dazu passt der jüngste Rückgang der Zinsen langlaufender Bundesanleihen. Aus ähnlichen Gründen dürfte auch der Wechselkurs des Euro gegenüber dem US-Dollar seit Mitte März nachgegeben haben.
Wird sich Draghi am Ende seiner Amtszeit einmal mehr im EZB-Rat durchsetzen und die Zinsstaffelung einführen? Vermutlich bedarf es einer weiteren Verschlechterung der konjunkturellen Lage, um die Kritiker in der EZB umzustimmen. In der Geldpolitik zählen jedoch Worte oftmals genauso viel wie Taten. Die EZB hat deutlich gemacht, dass ihr die Munition nicht ausgeht und eine noch expansivere Politik möglich ist. Das wird nicht nur die langfristigen Zinsen weiter niedrig halten, sondern auch eine stärkere Aufwertung des Euro verhindern.
Der Text stammt aus dem aktuellen Marcard-Marktfokus des Family Office Marcard, Stein & Co.
Über den Autor:
Christoph Kind ist Investmentchef beim Family Office Marcard, Stein & Co.